Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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und betrachtete mich still mit einer gewissen Wehmut voll Empfindung; wir saßen allein, und sie sagte nun leise mit Engeltönen zu mir: »Was hab ich getan! was hast du getan die vorige Nacht!« Inzwischen holt ich einen Ring hervor mit dem größten strahlendsten Diamant unter denen vom Diagoras und schob ihn ihr unbemerkt an den vorletzten Finger ihrer linken leichten Charitinnenhand und antwortete Aug und Aug in süßem Liebesgenuß: »Nimm hin, du Braut meiner Seele!« Sie erschrak und war zwischen Weigern und Zärtlichkeit, und blickte darauf und um sich; und verbarg dann die Hand im Schoß, und zitterte und glühte.

      »Sag mir nur noch, mein Leben«, fragt ich sie flüsternd, »ob der alte Schiffer aus Antibes hier ist und wie er heißt, damit ich ihn ausfragen kann, wo man den Florio in Konstantinopel findet.«

      »Er heißt Gabriotto«, versetzte sie hastig, »und liegt mit seinem Schiff im Hafen.« Dabei stand sie behend auf, trat zu Fulvien an deren Spieltisch, die eben einen feinen Streich machte, worüber gelacht wurde, und verlor sich dann aus dem Saale und kam nicht wieder zum Vorschein.

      Mit Fulvien hatt ich noch vor Mitternacht eine kurze Zusammenkunft, die sich den ganzen Tag bedachtsam aufführte und nichts merken ließ, und erzählte ihr, daß ich nicht übers Herz habe bringen können, Lucinden Gewalt anzutun, und es auch vergebens gewesen sein würde. Machte ihr eine ganz andre Beschreibung, wie sie mir ihren Geliebten entdeckt hätte, der in der Sklaverei lebe; und, mit einem Wort, daß ich das himmlische Mädchen zu hoch schätze, um es zu verführen und unglücklich zu machen. Ich bat sie ihrer selbst wegen, von diesem alle stille zu sein.

      Sie war's gar wohl zufrieden und antwortete, daß sie die Geschichte wisse; sie habe aber geglaubt, daß der Bräutigam in der Schlacht geblieben und alles längst vorbei sei. Auch sie woll ihr möglichstes beitragen, daß der Armen geholfen werde; sie liebe sie als ihre beste Freundin und eine der vollkommensten Personen ihres Geschlechts: nur könne sie ihre allzugroße Frömmigkeit, Eingezogenheit und Kälte nicht vertragen; die Jugend unsers Lebens, besonders beim Frauenzimmer, sei zu kurz, um sie so ungenossen wegstreichen zu lassen, und in diesem Punkt Lucinde gewiß immer albern.

      Darauf ging es an das Catullische Da mihi basia mille, wovon ich mich bald losmachte. In solche neckende Händel geraten wir Liebesritter! Aber ich stelle mich auch auf keinen philosophischen Lehrstuhl, wo man zu sein befiehlt, was der Mensch nie war.

      Den andern Morgen sucht ich den Gabriotto auf und traf ihn endlich gegen Mittag in einem Weinhause, nachdem ich ihn im Hafen nicht gefunden hatte. Es ist ein herrlicher Alter, in seinem Leben von mancherlei Schicksalen durchgearbeitet. Dreimal war er in Sklaverei, in Ägypten, Mauritanien und Griechenland; und sah Mekka und das Heilige Grab, zog mit seinen Patronen über den Kaukasus und Atlas und kam jedesmal wunderbar wieder los; führte nun ein Kauffahrteischiff und ließ sich's wohl sein in seinen letzten Tagen. Was ist eines Königs Leben, der seine Zeit durchgähnt, gegen die Wanderungen und Gefühle eines solchen Erdensohns? O gütiger Himmel, laß mich nur nie auf einer Stelle klebenbleiben!

      Ich machte bald mit ihm Bekanntschaft, er liebte die lehrbegierige Jugend: wir setzten uns in einen Winkel allein, und ich sorgte dafür, daß wir nicht Durst litten.

      Ich verschwieg im Anfange mein Geschäft, und wir kamen auf die ägyptischen Pyramiden zu sprechen. Er machte die gescheite Bemerkung dabei, daß die Leute damals entsetzlich unter der Zucht ihrer Könige müßten gestanden haben, um so ungeheure Steinhaufen aus ferner Gegend her zusammenzutragen, die am Ende doch nur eine Kleinigkeit gegen die vielen Felsen des Kaukasus, Atlas und der Alpen wären, welche die Regen des Himmels binnen den Jahrtausenden zu ebensolcher unzerstörbaren Form gespült. Ich erzählte ihm dabei zum Scherz aus dem Herodot das Märchen von der reizenden Königstochter, die bloß durch ihre Liebhaber sich eine erbaut habe, der sie für jede Gunst doch nur einen Stein herbeischaffen durften; und daß folglich bei allen die Arbeit nicht gleich sauer gewesen sein möge. »Wer den letzten lieferte«, antwortete er lachend, »und dem Werk die Krone aufsetzte, muß wenigstens guten Mut gehabt haben.«

      Er machte mir alsdenn eine angenehme Beschreibung von den Sitten mancher Länder, die er durchstrichen war. Zum Exempel von Georgien und Cirkassien, wo die schönsten Menschen leben, sagt' er, daß die Kinder da hervorkämen wie die Blumen und Früchte auf dem Felde und man von keiner Eifersucht wisse. Die Männer hielten sich bloß für das Mittel ihrer Entstehung, und bildeten sich nicht ein, als ob sie dieselben etwa selbst verfertigten, wie ein Kunstwerk, und wären dabei eitel auf ihren Verstand oder ihre Geschicklichkeit wie bei uns; und alle Welt lebte glücklicher ohne die Ketten und Fesseln.

      Von der Schönheit, besonders der Weiber dort, gingen wir auf unsre Landestöchter über; und von diesen behauptete er doch, daß sie mehr Geist und Form in ihrer Gestalt hätten, obgleich nicht die Zartheit und die Blüte des Fleisches jener. »Als hier in Genua«, fügte er hinzu, »ist ein junges Frauenzimmer, Lucinde von Montefeltro, die ich allem Reiz vorziehe, den ich dort gesehen habe.«

      Diese Reden gingen mir, wie Du leicht denken kannst, gar süß vom Ohr zum Herzen durch all mein Wesen. Wir tranken dabei mit durstigern Zügen. Der Zaubertau des Weinstocks setzte ihn in meine Jugend zurück und durchglühte seine Adern wieder mit der ersten Lebenswärme. Ich fragte ihn darauf, ob er diese Lucinde von Montefeltro genau kenne.

      »Wie oft hab ich den Engel als Kind auf meinen Armen getragen, und ihr Leibchen rundum bepatscht und gestreichelt, was ich noch immer tun möchte, ohn ihr mehr Schaden zuzufügen!« fuhr er lieblich zu sprechen fort. »Ihr Vater war ein heruntergekommner Edelmann, der, um sich wieder zu erholen, hernach Handlung trieb. Mit seiner ersten Frau zeugte er keine Kinder; alsdenn schon in die funfzig, vermählte er sich mit einer armen, aber jungen und äußerst schönen Anverwandtin der Mutter der Fulvia Fregosa, die nun in das Haus S*** getreten ist, bei welcher sich Lucinde aufhält. Sie hieß Sophia und lebte mit dem alten Montefeltro schier an die drei Jahr in Ehe, als sie wider Verhoffen schwanger wurde und mit Lucinden niederkam.

      Jedoch unter den Rosen der Gastfreundschaft! Es hielt sich damals zu Nizza wegen des milden Winterklimas unter fremdem Namen ein wunderschöner und tapfrer portugiesischer Prinz auf, der eine Wunde im Krieg mit den Sarazenen bekommen hatte, die in seinem Lande nicht recht heilen wollte. Dieser mietete sich einen Garten neben dem des Montefeltro auf dem Weg über den Berg nach Villafranca; und wir alle haben nie anders gemeint, als er habe mit Fug und Recht getan, was der Alte nicht konnte. Und so ward ein süß verlassen Weib glücklich gemacht, und es lebt ein himmlisch Geschöpf auf der Welt mehr, aller Augen zu entzücken.

      Als Lucinde ohngefähr zehn Jahr alt war, starb ihre Mutter, die sie als ihr einzig Kind mit aller Zärtlichkeit liebte; ihr Vater tat sie darauf zur Erziehung in ein adelig Nonnenkloster. Nachher ward ich von einem schrecklichen Sturm verschlagen, zum drittenmal gefangen und diente bei einem reichen Kaufmann in Griechenland. Wie ich nach einigen Jahren wieder loskam, hatte sich alles verändert; dem Montefeltro waren etliche reiche Schiffe nacheinander teils weggenommen worden, teils zugrunde gegangen, zu gleicher Zeit brachen einige starke Bankerotte in Marseille aus, wobei er so viel einbüßte, daß die Gläubiger sich seines übrigen Vermögens bemächtigten. Er flüchtete zuvor mit wenigem hieher, da der Reichtum der Kaufleute mehr in Forderungen als barem Gelde besteht, und gab binnen kurzem vor Kummer seinen Geist auf; Lucinden nahmen aus dem Kloster ihre mütterlichen Anverwandten zu sich. Und so strahlt sie denn wie der Morgenstern, der bei einer Nacht ohne Mond aus den stürmischen Wellen der See aufgeht und Glanz von sich träufelt, am genuesischen Himmel.

      Aber o wäre sie auch so glücklich, als sie schön ist und alle weibliche Tugenden besitzt! Sie könnt es sein, wenn das Schicksal ihr nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Florio Branca liebte sie und ihn Lucinde; und sie lebten schon in seliger Ehe miteinander, wenn er nicht in Sklaverei geraten wäre. Er wuchs an den Ufern des Varo auf, kam in das Haus ihres Vaters, ging alsdenn zur See und bildete sich zu einem Helden.

      Im Dienste von Spanien lief er mit einem Geschwader nach der Neuen Welt aus und streifte in Mexiko und Peru

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