Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Empfindungen und Gedanken mit der Sprache ausdrücken, wo sich besonders bei den Vortrefflichen am wenigsten die Gebärden ändern, die, wie man sogar bei Gelegenheit des Laokoon bemerkt hat, auch bei den heftigsten Gefühlen sich selten von außen regen, läßt sie ihnen vielleicht gerade das Schlechteste übrig; und der größte Künstler kann oft so wenig von einem Sokrates, Lykurg und Epaminondas darstellen als von einem unvergleichlichen Sänger oder Geiger.

      Nehmen wir vollends, wie sauer, und selbst nach dem Ausspruch des alten Michelangelo, kinder- und weibermäßig auch dies Schlechteste muß nachgeahmt werden, und welch eine unerträglich mechanische Übung auch für Menschen von der höchsten Fähigkeit dazu gehört, ehe sie es zur Vollkommenheit bringen; und daß das meiste Wirkliche der bildenden Kunst in den Sälen der Großen jämmerlicher Wust und Unsinn ist: so gehört wahrlich ein starker Entschluß dazu, sich in ihr Feld zu wagen. Ihre besten Gegenstände bleiben gewiß die andern Tiere und Pflanzen, Gras und Bäume; diese können sie darstellen, die Künstler! den Menschen sollen sie dem Dichter überlassen. Die Landschaftsmalerei wird auch endlich alle andre verdrängen. Und also können wir gewissermaßen die Griechen übertreffen, weil wir uns gerad an die wahren Gegenstände machen, die sie verfehlt haben.

      Nichts wirkt recht auf den Menschen, was stillesteht; aller Stillstand wird bald Tod.

      Es bleibt gewiß eine Kleinigkeit, einen Cäsar, einen Brutus von außen auch vertrefflich zu malen und zu bildhauen, gegen das herauszuholen, was in ihnen steckt. Auf der Oberfläche kann man den Menschen leicht kennenlernen: aber im Innern, in der Tiefe? Da gehört ganz andrer Gehalt und Stand dazu.

      Kapitel 24

       Inhaltsverzeichnis

      Wer behaupten wollte, daß die bildende Kunst über Poesie, Beredsamkeit und Philosophie ginge, müßte behaupten: daß eine Statue oder Brustbild vom Homer, Pindar, Demosthenes, Aristoteles, oder nehmen wir Neuere, daß ein vollkommen, wie möglich auch, getroffnes Bild in Farbe oder Stein von Ariost, Machiavell über ihre Schriften ginge. Und gewiß möcht ein Gott mehr daran haben, wenn sie mit Haut und Haar so wären wie sie selbst; welches jedoch menschlicher Hand unmöglich: aber ein Sterblicher muß eine gigantische Einbildung von seinem physiognomischen Sinn haben, um dies zu wollen. Ein solcher versuch es einmal und ersetz uns aus dem übriggebliebnen Kopfe des Sophokles seine hundert verlorne Trauerspiele!

      Man schaue einen Sokrates an, einen Plato, einen Euripides: wer wird ihre Marmorbüsten für ihre lebendigen Reden und Gedichte nicht gleich weggeben? Wir können an uns selbst nicht im Spiegel wahrnehmen, auch in dem nämlichen Moment, was wir denken und empfinden; und sogar verschiedne Leidenschaften zeigen sich bis auf ihre hohen Grade im Gesicht überein. Die ganze bildende Kunst ist ein vages unbestimmtes Wesen, das seinen Hauptwert eigentlich von der Schönheit der Formen und Umrisse enthält; und dann außerwesentlich ist sie eine große Zierde der Poesie und Geschichte, die aber ganz natürlich ohne sie bestehen können. Poesie ist das innre Leben selbst: Bild von Farbe oder Stein bloß das Zeichen; wer jenes nicht schon in sich hat, kann bei diesem wenig fühlen und erkennen.

      Wo hat in aller Welt je ein Gemälde die Wirkung hervorgebracht, die die Ödipe und Iphigenien hervorbrachten? Und wo wird es je möglich sein, daß eins solche hervorbringen könne, wenn man auch den Raffael, Correggio und Tizian in ein Wunderwesen zusammenschmelzte? Es versteht sich wahrlich, daß hier nicht davon die Rede sei, was päpstliche Neffen und Mönchs- und Nonnenklöster teurer bezahlen.

      Ich leugne übrigens gar nicht, daß eine erstaunliche Phantasie und Fülle von Leben dazu gehört, sich einen Alkibiades, Perikles oder die Aspasia so vorzustellen und ihre Bilder durch die spätere Kunst lange Zeit nach ihnen so wirklich zu machen, aus bloßen Geschichtbüchern, wie sie lebendig waren und handelten; denn in der Tat – hat es auch keiner noch getan. Allerlei Gestalten träumen mag man sich wohl, und wer sich an leerer Spreu satt ißt, mag darnach gaffen und hinlaufen: aber Wahrheit, physiognomische mit Leib und Leben wie Wirklichkeit, ohne Miene und Gebärde Punkt für Punkt von der Natur selbst abzukonterfeien, diese aus bloßen Erzählungen und selbst eignen Reden der Menschen zu erfinden: geht über des Menschen Kräfte; dazu haben wir noch keine Wissenschaft, keine Gründe und Regeln, weder Ja noch Nein. Unser Bestes sind noch die allgemeinen Züge der Leidenschaften und andern Empfindungen, die sich in Bewegungen besonders von außen zeigen, durch öftre Wiederholung bei wirklichen Menschen sich in die Gestalt prägen und nach und nach Charakter bilden; aber mit dem Allgemeinen wird man bald fertig, und es entsteht endlich ein rasendes Einerlei.

      Kurz, ich habe von dem Menschen, außer der wirklichen Vermischung, hauptsächlich Genuß durch seine Reden und Handlungen, durch Worte und Bewegungen; beides kann mir die bildende Kunst nicht geben. Man stelle sich seinen Freund auch in dem interessantesten Moment der Freundschaft auf einmal wie zu einer Büste versteinert, unveränderlich mit seinen Mienen und Gebärden vor! Mit Erinnerung der Worte aller vor und nach dem Moment wird das Bild gewiß lieblich in die Seele leuchten und anfangs einen Freudenschauer erregen. Aber wie die Erinnerung sich schwächt, wird es nach und nach immer weniger bedeuten und bei den Gedanken an hundert andre Szenen endlich leer und sogar Spott werden: statt daß nur ein herzlicher Brief von demselben immer neu die Seele erquickt, sooft man ihn nötig hat wieder durchzulesen. Was soll nun so ein Bild auf andre für Wirkung machen, die sich dabei platterdings nichts Gewisses vorstellen können, die die Person nicht kennen, nicht gekannt haben, nichts von ihr aus der Geschichte wissen?

      Geschieht dies bei wirklichen Menschen: was wollt Ihr mit Euren Idealen, wovon Ihr nicht eine Form als wahr beweisen könnt? Die schönsten Bilder sind weiter nichts als ein geistig Licht in die Seele, die sie aufheitern und allerlei unbestimmte süße Gefühle in ihr erregen, wie ein reiner, vollkommner Akkord auf einem wohlklingenden Instrumente. Und solche Schönheit ist das eigentliche Wesen der bildenden Kunst, und keine Handlung, die die Poesie weit wahrer und lebendiger vorstellt. Die Handlung kann höchstens nur dienen, der Schönheit den besondern Charakter zu geben; das ist, die Handlung ist des Körpers wegen und der Körper nicht der Handlung wegen da.

      Es ist wahr, die Schönheit ist ein momental Gefühl und unterscheidet sich dadurch von bloßer Vollkommenheit, die für den Verstand, so wie jene für den Sinn, gehört. Wo sie aber in der Zeit folgt, wie bei Tanz und Melodie und Gedicht, ist sie hauptsächlich für die Seele, eigentliche Seelenschönheit, tiefe, lebendige; denn die Seele hat die Kraft, eine Folge sich wie ein Beisammen auf einmal vorzustellen und zu denken. Daraus die Regel: daß ein solches Ganzes nicht zu verwickelt sein müsse, damit man wie in einem Atem alle dessen Teile und ihre Verbindung im Geist übersehe. Dies erregt dann, was man Begeistrung nennt. Ein schönes Gedicht, eine schöne Musik, ein schöner Tanz muß diese allezeit auf die Letzt hervorbringen: so wie der Dichter, Tonkünstler, Tänzer sie vorher in der Seele haben muß, ehe er sie in einen Strom dahinwallt; eine volle Seele, die sich ausschüttet und eine andre wieder schwängert.

      Alle bloß bildende Kunst macht auch den stärksten Liebhaber und Besitzer über kurz oder lang zum Tantalus. Das schönste Bild, sei's auch eine Venus vom Praxiteles, wird endlich ein Schatten ohne Saft und Kraft, es regt und bewegt sich nicht und verwandelt sich nach und nach wieder in den toten Stein oder Öl und Farbe, woraus es gemacht war; und für den lebendigsten Menschen am geschwindesten. Ich glaube, daß, wenn die goldnen Zeiten der Griechen länger gedauert hätten, sie endlich alle Statuen würden ins Meer geworfen haben, um des unerträglich Toten, Unbeweglichen einmal ledig zu werden. Und wir finden auch nicht, daß Themistokles, Plato und Euripides und die andern großen Griechen der ersten Zeiten sich schon viel darum bekümmert hätten: die Bildsäulen gingen immer die Religion und das gemeine Volk an. Alkibiades schlug sogar vor Überdruß einer Menge öffentlicher Hermen die Nasen entzwei; und hernach gehörten sie mit den Gemälden zum Luxus der Reichen, die vor ihrer gewöhnlichen Langenweile nicht wußten, was sie anfangen sollten. Plutarch fragt ehrlich in seinem Perikles: ›Welcher gutartige Jüngling wird Phidias oder

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