Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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etwas beschreibe und dieser getäuscht dasselbe dabei sich vorstellt? Bei jedem Genusse sind wir ewig und scheinen die Zeit nicht mehr zu fühlen.

      Unser Leben ist kurz: wer uns ein Ganzes täuschend am geschwindesten in die Seele bringt, erhält den Vorzug.

      Wenn einer inzwischen gar zu große Begierde hat, ein neues Ganzes zu wissen: so behilft er sich auch mit dem mangelhaftesten Mittel, bis er ein bessers vorfindet.

      Ein Dichter muß dem Maler immer in Schilderung körperlicher Gegenstände unterliegen: und geradeso geht's dem Maler im Gegenteil mit Handlungen. Nichtsdestoweniger ragt doch die Poesie mit ihren willkürlichen Zeichen über alle ihre Schwestern hervor. Kein Maler kann die Größe der Alpen, das unendliche Meer, den unendlichen Himmel schildern auf seinem Läppchen Leinwand; und kein Tonkünstler Kanonenschall, Donner und Orkan, ob er gleich das seelenergreifendste Mittel unter allen hat, da das Lebendigste, woraus wir bestehen, selbst Luft und Feuer ist.

      Die Musik überhaupt geht ganz aus der sichtbaren Welt hinaus und wirkt mit bloßen verschiednen Arten von Bewegung, die von der Materie nur den Punkt zu ihrem Aufflug nehmen und durch ihre Proportionen Empfindungen erregen: und ich glaube schier nach dem Pythagoras, daß das eigentliche Element, worin die Geister existieren, reiner Klang und Ton ist.

      Geschichtmaler ist ein wahrer Widerspruch, da ein Maler nur einen Moment vorstellen kann und Geschichte notwendig eine Reihe von Begebenheiten erheischt. Es versuch es nur einer und erzähle mir mit seiner Malerei Begebenheiten, die ich nicht schon weiß, von Menschen, die ich noch nicht kenne! Und gesetzt auch, einer stellte mir eine Geschichte zum Beispiel vom ältern Scipio mit lauter Porträten dar, so wahr und vortrefflich, als ob sie alle Tizian gemacht hätte: was weiß ich dadurch mehr als den Moment? Weiß ich, was entweder vorher oder nachher geschehen ist, da keiner auch von seinem bekanntesten Freunde zuversichtlich mit einem momentanen Blicke weiß, was er vorher getan hat oder nachher tun wird? So tief im Verborgnen lebt der Urquell unsrer Wirkungen. Und wo ist der Zauberer, der mir aus einer Tat oder aus tausend Taten das Gesicht nur eines Mannes darstellt, das er noch nicht sah, mit allem seinem Eigentümlichen? Dazu gehört der Gott Platons, um den sich das Weltall rollt, und kein Sterblicher. Alles, was der Maler erfinden kann, ist Ideal von Gestalt dieser oder jener Klasse von Menschen, oder Gattung von Geschöpfen im allgemeinen.

      Jedes Werk der bildenden Kunst mit dem Ausdruck von Leidenschaft ist alsdenn doch nur eine unaufgelöste Dissonanz. Das vollkommenste historische Gemälde, das ist, wo der interessanteste Moment aus einer Begebenheit gewählt ist und man das Vorhergehende und Nachfolgende am besten erkennen kann, bleibt also immer an und für sich schon ein quälendes Fragment, das weder Herz noch Geist befriedigt.

      Um hierüber nicht zu streiten, so bleibt ausgemacht: das Vortrefflichste derselben ist das schöne Nackende; mit dem Ausdruck geht's hernach wie bei der Musik: er ist die Blüte der Vollkommenheit, aber nicht eigentlich die Vollkommenheit selbst. Jeder Sinn hat sein eignes Element, worin der Ausdruck nur schwimmt. Die Poesie arbeitet zwar für alle, aber doch ist auch die Sprache und Harmonie derselben für das Ohr ihr Grundstoff. Die schlechten Künstler meinen, sie hätten genug getan, wenn sie nur eine rührende interessante Geschichte mit ihren Wechselbälgen ausstaffieren und ein schmachtend Auge hineinbringen: Ihr Toren! eine einzige vortreffliche griechische Statue ohne Kopf und allen Ausdruck von Leidenschaft geht bei dem Kenner von kunstfertigem Sinn über all euer Fratzenwesen von unreifen Gesichtszügen, noch so affektiert geworfnen Gewändern und tausenderlei nachgeäfftem Kostüme. Aber auch im Gegenteil ist's nicht genug getan, wenn einer einen Haufen nackender Körper hervorheckt, die weiter nichts haben als ihre gehörige Anzahl von Rippen und Knochen, und Muskeln, und Augen, Mäulern, Nasen, Ohren.

      Mit einem Worte, die Schönheit nackender Gestalt ist der Triumph bildender Kunst; viel für Auge und den ganzen körperlichen Menschen, wenig für den innern. Sie allein ergreift das Unsterbliche nicht; dazu gehört etwas, was selbst gleichwie unmittelbar von der Seele kömmt und ihrer regenden unbegreiflichen Kraft: Leben, Bewegung. Und dies haben unter allen Künsten allein Musik und Poesie: neigt euch, ihr andern Schwestern, vor diesen Musen.«

      Kapitel 23

       Inhaltsverzeichnis

      Ich sahe wohl, mit was für einem Feind ich's hier zu tun hatte; ein Federmesserstich von ihm verwundete tödlicher als der Schlag von einer Keule; doch wollt ich ihn erst ganz herauslocken und bat: er möchte die Grenzen jeder Kunst näher bestimmen, und insbesondere von Bildhauerei und Malerei, und alsdenn uns seine Begriffe von der Schönheit entdecken. Und freute mich unaussprechlich, einen solchen Meister so unvermutet plötzlich anzutreffen. Er wollte abbrechen: allein wir ließen ihn nicht. Ich setzte mich ihm gegenüber, und wir stutzten die Gläser an, die von dem besten Monte Giove schäumten.

      »Die Bildhauerei ist eigentlich für einzelne Figuren«, fing er vom neuen an; »die Malerei hat die Not emporgebracht, mehrere vorzustellen. Sie hat dies den Siegen der Griechen zu verdanken, besonders nach der Schlacht bei Marathon. Der Bruder des Phidias, Panäos, malte dieselbe, da dieser selbst sie in Stein nicht vorstellen konnte, weil kleine Figuren darin nicht wirken und die Materie fürs Weitläuftige zu unbehülflich ist.

      Es ist wohl keine Frage, welche von beiden Künsten die Formen des Menschen besser darstellen kann. Die Malerei ist eine beständige Lüge und ihre Erhobenheit und Tiefe erkünstelt. Wir lassen uns täuschen, weil völlige Wahrheit und Wirklichkeit wie bei Bildhauerei unmöglich ist, und geben uns zu unserm eignen Vergnügen alle Mühe, die Köpfe und überhaupt das Nackende zum Beispiel vom Tizian rund und hervorgehend und die Fernen und Mittelgründe seiner Landschaften im gehörigen Abstand zu sehen. Ihre eigentlichen Gegenstände sind, wo die Farbe, leichte Bewegung und zarter Stoff einen vorzüglichen Teil ausmacht. Die Neuheit hauptsächlich und dann die überwundne Schwierigkeit machten sie unter dem Zeuxis und Apelles so reizend; und gewiß ist's, daß die Farbe viel zur Täuschung, im ganzen genommen, beiträgt. Auf den ersten Blick wirkt ein gemaltes Bild auch auf den Verständigen mehr als eine ebenso vortreffliche Statue in ihrer Art; aber wenig Zeit und Besinnung macht die Malerei dagegen ganz verschwinden. Unter tausend Gesichtern findet man ferner in einem guten Klima nur äußerst wenige für den Marmor, aber weit mehrere für die Farbe. Die Bildhauerkunst ist die echte Probe schöner Form und geht ins Wesentlichre und das Erhabne: die Malerei gibt sich mit allem ab, wo sie nur ein wenig Reiz findet.

      Die letztere muß sich also vor allem hüten, was schon die Bildhauerei vollkommen darstellen kann; und beide müssen sich davor hüten, das Reich der Poesie zu beschreiten: denn jede bleibt überwunden, sobald sich nur ein gewöhnlich guter Meister der andern Kunst an den Kampf macht. Poesie enthält sich der Formen und Farben; Bildhauerei enthält sich der Farben und Geschichten von vielen Figuren; Malerei enthält sich alles dessen, was sich bloß durch Form zeigt, und so wie die Bildhauerei noch der Geschichten, wo man das Ganze nicht mit einem Blicke herausnehmen kann. Dienste und Gefälligkeiten mögen sie sich übrigens gern erzeigen. Rom allein ist voll von Beispielen, wie gute und wackre Meister verunglückt sind, indem sie über diese Regeln hinauswollten, und den schönsten Teil ihres Lebens umsonst dagegen kämpften.

      Apelles nahm sich wohl in acht, kein bloßes Porträt vom Alexander zu machen; hierin mußt er allezeit dem Lysipp wegen seiner Formen nachstehen. Er bildete ihn also mit dem Blitz in der Hand; mit dem Kastor und Pollux und der Victoria; auf einem Triumphwagen mit dem Krieg hinterdrein, diesem die Hände auf den Rücken gebunden. Dies mußte Lysipp so natürlich wohl bleiben lassen. Aber Bildhauerei behält doch immer den Rang; denn sie zeigt das Edelste der bildenden Kunst, nämlich die Form, am vollkommensten. Bei Weibern, es ist wahr, und bei Knaben ist die Farbe auch sehr reizend; allein sie ist doch bloß ein seichter Augengenuß, der nicht in den ganzen Menschen so eindringt wie die Form.

      Das Klassische überall ist das gedrängt Volle, wenn einer alles Wesentliche

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