Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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und die aufgeheitertsten Kaiser zu Rom, Antonin und Mark Aurel, waren wirklich schon des steinernen Volkes satt: und so ist das steinerne und gemalte Volk bei den heutigen Römern bloßer Prunk, und man sieht es den besten an, daß auch sie dessen von Herzen satt sind. Die Natur übt ihr Recht aus und zeigt ihnen mit Gewalt, daß es doch nur eitel Träumerei ist.

      Die beste Kunst ist ein bloßes Denkmal verfloßnen Genusses oder Leidens für den Künstler selbst, das ihm lediglich Anlaß gibt, sich das Ganze wieder vorzustellen und in sein Gedächtnis zurückzurufen. Welch ein Abstand von Poesie und ihrer Gewalt über die Herzen! Überhaupt ist die bildende Kunst eine jugendliche Sache, wo der Mensch noch an der Hülle herumschwebt. Ein alter Maler, ein armer Sünder! Wenn einer innen ist, kann er nicht mehr außen sein. Es käme darauf an, ob Raffael nicht den Pinsel würde weggeworfen haben, wenn er älter geworden wäre! Wenigstens sind seine ersten Gemälde im Vatikan die besten, und er trachtete nicht umsonst nach dem Kardinalshut.«

      Sein Mund glich einem vollen Springbrunnen, so goß er hervor. Mir riß endlich die Geduld, und ich ergrimmte. »Bist du noch nicht fertig, Barbar, Bilderstürmer?« zürnt ich ihm entgegen.

      »Was du wahr gesagt hast, trifft alle menschliche Kunst. In der Natur haben wir freilich alles beisammen, und die verschiednen Künste teilen sich nur in sie. Jede muß dagegen ihre Mängel, ihre Schranken erkennen. Die Malerei hat keine wirkliche Bewegung, nur den Schein davon, Zeichen; die Poesie kann keine Gestalt, keine Schönheit für den Sinn darstellen, bleibt ewig unglückselig blind; und Musik an und für sich ist ohne bestimmten Ausdruck und nur eine Magd der Musen.

      Der Dichter ahmt und stellt im Grunde nicht einmal etwas Wirkliches selbst dar, sondern nur Mittel, nämlich die Reden der Menschen; und wie weit liegt die erste Natur der Sprache in den Abgründen der Zeit verborgen! Für uns Schaumblasen auf ihren Tiefen ist sie meistens bloß willkürlicher Schall. Wir haben allen unsern Genuß durch Körper, und von diesen kann er nichts Individuelles darstellen; alles ist bei ihm allgemein, bis auf die Namen schier Peter, Paul, und Lukas und Johannes, wenn ihm gute Schauspieler nicht zu Hülfe kommen. Dafür hat er freilich ein weitschweifig Reich und flattert überall an, wo die Malerei und Bildhauerkunst wegen enger Schranken ihrer unbeweglichen Mittel nicht hin kann.

      Das höchste Leben ist das schwerste in allen Künsten, sowohl in den bildenden als Poesie und Musik: Sturm in der Natur, Mord zwischen Mann und Mann, Seelenvereinigung zwischen Mann und Weib, und Trennung, Abgeschiedenheit verliebter Seelen. Das Tote kann auch der bloße Fleiß darstellen, aber das Leben nur der große Mensch. Wen beim Ursprung seiner Existenz nicht die Fackel der Gottheit entzündet, der wird weder ein hohes Kunstwerk noch eine erhabne Handlung hervorbringen. Schönheit ist Leben in Formen und jeder Regung, und nichts Totes ist schön, außer in einem Verhältnis von Leben.

      Warum ist der Torso schön, warum die Kolossen auf dem Monte Cavallo, warum unsre Venus? Weil sie in höchster Vollkommenheit menschlicher Kraft im freudigen Genuß ihrer Existenz sich befinden. Warum Apollo, warum der Fechter? Weil ihr Leben in der Vollkommenheit seiner Kraft sich in hoher Wirkung zeigt. Warum Laokoon, Niobe? Weil auch ihr höchstes Leben einer stärkern Macht unterliegt. Der Dichter deutet's mit Worten an, der bildende Künstler stellt's mit dessen Oberfläche selbst dar.

      Zu der Zeit, wo die Menschen am mehrsten lebten und genossen, war die Kunst am größten: zu der Zeit, wo sie am elendesten waren, am schlechtesten; dies ist die Geschichte derselben in wenig Worten.

      Wie bis zum bloßen Tier herabgesunken, kalt und gefühllos muß der Mensch sein, den es nicht ergreift, dessen Herz es nicht erhebt, wenn er in die Hallen tritt, wo die Helden unsers Geschlechts, die Weisen, die Dichter von Phidiassen und Praxitelen aufgestellt wie lebendig atmen! Der Armselige wird erschrecken wie in einer Götterversammlung, der Edle-Schüchterne aber begeistert werden, die glorreiche Bahn zu verfolgen; welche Kunst kann ihr hohes Leben sinnlicher in die Seele blitzen? Und eine Fromme, die alle Morgen die schönen himmlischen Figuren an den Wänden im Tempel mit inniger Freude schaut, kann kein häßliches und böses Kind gebären.

      Die Griechen mußten dann doch mehr Leben in der Malerei finden als Bildhauerkunst, weil sie dieselbe, wo sie am verständigsten waren, mehr als diese belohnten und beförderten. Ein Bild in Stein war ihnen nur Zeichen einzelner Wahrheit, nämlich der Form: die Malerei aber Zeichen aller Wahrheit und Wirklichkeit und von ungleich größerm Umfange; jenes gleichsam nur Dämmerung, Ding im Mondschein: Gemälde von Apelles, Gestalten wirklicher Welt in ihrem Tage; und Zeichen bleibt immer weiter nichts als Zeichen, sei's von Stein oder Farbe. Und eben dies ist es, warum die Bildhauerei sank, nachdem die Malerei emporstieg, und bei uns nun nie wird fortkommen können, solang es noch gleich gute Maler als Bildhauer gibt.

      Welcher Bildhauer wollte zum Exempel die Waffenläufer des Parrhasius übertreffen, wo der eine im Lauf zu schwitzen schien, der andre aber die Waffen ablegte und keuchte? Freilich kannte dieser Wollüstling den höchsten Reiz des Eigentümlichen seiner Kunst.

      Für Gestalt gibt es keine mathematische Wissenschaft, wo man alles und jedes mit Zirkeln und Linien und Zahlen beweisen könnte; das geläuterte Gefühl erfahrner hoher Menschen entscheidet hier allein endlich und hat zu aller Zeit jedem Kunstwerk seinen Rang angewiesen. Deswegen aber beruht Ideal nicht auf bloßen Hirngespinsten, sondern die Natur selbst ist die ewige Regel: und ein Künstler muß von ihren Quellen schöpfen, wenn er neue Schönheit und neuen unsterblichen Reiz hervorbringen will. Durch Übung gewinnt man nach und nach doch auch sichre wissenschaftliche Fertigkeit.

      Was bildet den lebendigen Körper von innen hervor, vom ersten Stoff zum Dasein an, so wie er ist? die erste regende Kraft; hernach sein Leben in der Welt.

      Kann ich von der äußern Bildung auf die Art des Geistes schließen?

      Warum nicht? Vom Werk auf den Meister; nur gehört Erfahrung und Verstand genug dazu und Adlerheit über andre, es mit Gewißheit zu können und nicht eine Ursache für die andre zu halten. Jede Gestalt zeigt Ursprünglich-Innres, wenigstens was jung in Tätigkeit war, das Leben in der Welt und die Begriffe und Einbildungen darüber. Und wer das Innre nicht kennt, kennt gewiß auch schlecht das Äußere.

      Warum soll der Künstler keine Handlungen darstellen dürfen? Körper und Handlungen machen hier eins aus, das ist: Leben; und beides ist dafür da; hohes edles Leben; dies ist sein letzter Endzweck. Bei einzelnen Figuren gibt dies Schönheit; bei mehrern zu Darstellung einer Begebenheit kann und muß er zuweilen gar die Häßlichkeit abbilden, wie zum Beispiel den Maxentius in einer Schlacht vom Konstantin, einen Attila, einen Heliodor. Vollkommenheit zeigt sich von außen durch Schönheit, Unvollkommenheit durch Häßlichkeit; und die mehrsten Begebenheiten in der Welt sind ein Kampf zwischen Tugend und Laster. Soll er das Laster schön darstellen? Und ist er deswegen ein Kotmaler, wenn er es häßlich darstellt? Häßlichkeit verändert hier seinen Namen und wird zu Schönheit der Kunst. Die Geschichte soll auch bei dem Maler nicht bloß Augenweide sein, sondern tiefer dringen. Der Kunst dieses nehmen wollen heißt sie zum schalsten Zeitvertreib machen. Außerdem sind immer diese dreierlei Gattungen getrieben worden, wie schon in Griechenland, wo, nach dem Aristoteles, Polygnot die Menschen besser malte, als sie waren, Pauson schlechter und Dionys nach der Wirklichkeit.

      An Ausdruck und Bewegung von Leidenschaften wird die Natur hoffentlich immer ebenso unerschöpflich bleiben als an neuen Gesichtern und Gestalten.

      Kapitel 25

       Inhaltsverzeichnis

      Kurz, der Künstler stellt wie ein Zaubrer für den Verständigen mit einem Blick auf einmal die wirkliche Tat dar, wo der Augenschein über alle andre Vorstellung hinreißt; und darüber macht der Geschichtschreiber und Dichter für die Unwissenden nur eine Brühe darum her, gleichsam seines

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