Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder страница 135

Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

Скачать книгу

dem Johannes, sie rechts, dieser links; und an den Armen des Gekreuzigten schweben zwei Engel in einem Gewitterhimmel voll Dunkelheit und Feuergewölk.

      Christus und die Madonna sind die erhabensten tragischen Gestalten, die ich je in Malerei gesehen habe. Christus ist ein leidender Alexander, Hannibal, Cäsar und was man Großes und Erhabenes von Menschheit kennt. Ein göttlicher Jüngling voll Güte für den großen Haufen, welcher der Menge unterlag: ein Tiberius Gracchus, und die Mutter eine Cornelia, voll Geistesstärke und Größe.

      O wie verschwinden alle Madonnen und wie ist selbst Raffael, den ich bewundre und liebe wie den neuern Apelles, klein dagegen und gewöhnlich! Stellung von ihr, Blick zu ihm, zu seinem schmerzenbändigenden scharfen Aug und hohen Angesicht; herabgehaltne Rechte, voll Kraft und Zorn angehaltner linker Arm, Daum und Zeigfinger nach dem Jünger hin gerichtet; der Wurf des blauen Mantels über das rote Gewand: alles harmoniert und macht ein Ganzes. Johannes sinkt vor Schmerz zusammen mit übereinandergeschlagnen auf die Brust gelegten Händen.

      Welch Meisterwerk von Zeichnung ist der Körper des Gekreuzigten! Wahrheit bis in die kleinsten Teile und zugleich Leben und Leiden durchaus in Einheit.

      Man fühlt wirklich hier etwas von dem, was Vasari im allgemeinen sagt, der zuweilen so golden beschreibt, ob es gleich wahr ist, daß ihn seine antike Vaterlandsliebe zu Ungerechtigkeiten gegen die drei großen Apostel der Kunst, Raffael, Tizian und Correggio, verleitet: es ist, als ob ein himmlischer kraftvoller Genius heruntergekommen wäre und Mitleiden mit allen den Stümpern gehabt und denselben gezeigt hätte, wie ein Christus am Kreuz und eine Madonna und ein Johannes dabei vorzustellen sei. Er ist bis zur Täuschung angenagelt und bewegt sich gerade dazu, wie es sich schickt.

      Die Mutter ist ein hohes Weib, noch in unverwelkter Schönheit, ihres Adels bewußt, die über die Grausamkeit zürnt, welche man an dem Sohn ausübt, sein ganzes Leiden fühlt mit dem weinenden Feuerblick: aber in der Zerknirschung noch solche Festigkeit und Erleuchtung hat, um erhabner als eine Niobe dabeizustehen und anzuschauen.«

      Der junge Künstler fuhr auf, drückte mir beide Hände, freudig und verschämt im Gesichte glühend, und sprach freundlich zu mir: »Ich habe nur gelästert, um den dort zu schrauben; und überhaupt erfährt man mit den bittersten Widersprüchen am besten die Wahrheit, die man sonst selten aus den verborgnen Tiefen eifersüchtiger Virtuosen hervorholt. Ich kenne das kleine Gemälde von Michelangelo wohl; wievielmal ist es nicht kopiert worden! Nur wünscht ich, daß die Figuren in Lebensgröße wären. Ich kann das Kleine nicht leiden, es geht mir wider den Sinn; und ist ein Schlupfwinkel, wohinein sich Mittelmäßigkeit und Schwäche verbirgt und bei Weibern und Kindern und Unverständigen großtut.«

      Ich antwortete ihm, daß ich hierin gar sehr seiner Meinung wäre, daß aber doch am Ende alle Kunst bloß Zeichen sei und Verstand und Geist am mehrsten von einem Menschen entscheide; und daß, wer keinen Verstand habe, nirgendwo obenan stehen könne. Michelangelo hätte sich übrigens mit seinen Enakskindern, den Propheten und Sibyllen genug gerechtfertigt. Unterdessen sei wieder wahr, es könn einer außerordentlich viel Verstand und Erhabenheit in der Denkungsart haben und doch ein schlechter Maler sein.

      Hier tat einer in der Ecke mit hämischem Blick und boshaftem Lächeln den Mund voll gerader weißer scharfer Zähne aus einem prächtigen schwarzen Bart auf, streckte die rechte Hand hervor aus einem abgetragnen grauen Mantel, fuhr in meiner Rede fort und sagte:

      »Und einer blutwenig Verstand haben und ein sehr berühmter, vielleicht auch guter Maler sein.

      In dieser Kunst kann es einer ohne Schöpfungskraft, Erfindungsgeist, ohne eigentlichen Verstand, oder wie Ihr das heißt, was im Leben einen Menschen über den andern setzt, nach dem allgemeinen Urteile weiter bringen als in irgendeiner andern, wenn er nur ein gutes Auge hat, sich eine fertige Hand erwirbt im Schweiße seines Angesichts und überdies Achtung gibt, was denen gefällt, die reich sind und kaufen. Und je mehr er bloßer Kopist der Natur ist, desto mehr wird er gefallen. Und er muß behaupten, dies sei das Wahre, und alle Überflüge der Einbildungskraft, die nur hie und da einige Sonderlinge aufhielten, als leeres Zeug verachten und fragen, was nennt ihr erhaben?«

      Ich wußte nicht, ob ich dies für Mutwillen, Satire oder Ernst aufnehmen sollte; doch hetzt' es mich schnell auf, und ich antwortete geradezu, wie es die Lage der Sachen erheischte.

      »Erhaben?« versetzt ich, »ist ein höher Wesen, das in uns eindringt mit Empfindungen, Gedanken, Gestalt, Gebärde, Handlung; und man bedarf da keiner weitläuftigen Schreiberei von Sophisten. Wer nicht über andre ist, soll sie nicht zu Paaren treiben und ihnen vorpredigen wollen, es sei, worin es sein mag. Pracht läßt sich wohl damit vereinigen, aber Pracht ist nicht Erhabenheit. Überall füllt es die Seele mit Entzücken und Erstaunen, daß sie die Zeit vergißt, und versetzt den Menschen unter die Götter.«

      »Wir werden nie mit der Kritik nur einigermaßen ins reine kommen«, erwiderte er darauf kalt und trocken, »wenn wir nicht die Grenzen jeder Kunst bestimmen und feststellen, was sie überhaupt selbst ist. Und wir sind jetzt da, uns zu freuen, und nicht, den Weg durch dieses Labyrinth auszuspähen. Lassen wir es also bei dem Gesagten bewenden.«

      »Nein, nein!« riefen hier einstimmig verschiedne, »es ist noch hoch am Tage und die schönste Zeit dazu; setzen wir das angenehme Gespräch weiter fort.« Und so baten sie ihn: und der so heftig gegen Michelangelo sprach, streichelte ihn liebkosend am Barte, bis er folgendermaßen anfing:

      »Das erste und heftigste Verlangen der Seele, welches sie nie verläßt, ist Neuheit, und dann Durchschauung, und endlich Vollkommenheit oder Zerstörung der Dinge. Dies treibt die Unsterbliche durch alle Welten. Sie schafft und wirkt, ihre Schwingen sind unermüdlich und verlieren ihre Kraft nie, und sie kann nicht aufhören, sich zu bewegen und bewegt zu werden; so bescheiden gegen sich, daß sie von sich selbst nichts weiß: aber die Iliade zeugt überall genug von Homeren.

      Nun ist der Mensch selten in der Lage, daß seine Seele in der Wirklichkeit hienieden nach diesen ihren Neigungen glücklich sein könnte: sie wirft sich also aus Verzweiflung in die Kunst und treibt damit ihr Spiel. Wohl derjenigen, die lange in den seligen Träumen hinschwebt, ohne zu erwachen!

      Alle Kunst ist Darstellung eines Ganzen für die Einbildungskraft. Sie unterscheidet sich nach den Mitteln, die sie dazu braucht; und diese sind in jeder Art ihre notwendigen Schranken, wohinein sich ein Weiser leicht bequemt und worüber nur die Unklugen hinauswollen.

      Aristoteles, und wer ihm folgt, schränkt die Poesie auf Handlungen ein, als ob die Sprache nichts anders sinnlich vorstellen könnte: aber selbst die griechischen Dichter haben sich nie diesem Gesetz unterworfen; und Virgils Georgica und die Natur der Dinge des Lukrez und manche hohe Hymne bloßer Empfindung werden Meisterstücke bleiben.

      Die meisten haben wunderliche Begriffe von Poesie und meinen, sie könne ohne Nebel und Wolken nicht bestehen, und müsse platterdings ein Rausch, eine Raserei sein, und scheue das Licht der Vernunft; und die albernsten Pöbelmärchen und Kinderfabeln wären ihr Bestes und Wesentliches, und würdigen sie so herab von ihrem Adel. Wenn sie nur den Sophokles und Euripides wollten sprechen hören, die diese Kunst zur Vollkommenheit gebracht, so könnten sie sich leicht von ihrem Wahn befreien.

      Die Bildhauerei und Malerei stellt Oberflächen von Körpern dar, die letztere, insoweit sie sich durch Farben zeigen.

      Ein neues Ganzes, wie schon gesagt, oder ein altes neu auf die wahrste und lebendigste Weise den Menschen in die Seele bringen ist Kunst. Das Schicklichste für den Dichter sind Handlungen, oder Bewegungen im Zeitraum, weil seine Zeichen, das sind Worte, nur nach und nach können gehört werden; aber doch kann er immer auch damit Dinge nebeneinander oder Körper darstellen, und der Zuhörer denkt sie sich zusammen, wie er am Ende bei den Begebenheiten selbst muß. Homer würde wohlgetan haben, wenn er die Gegend von Troja nicht

Скачать книгу