Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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sind ihm fremd. Sein Fehler ist seine Gefälligkeit überall, auch wo sie nicht sein soll. Es scheint, als ob er nie ein widerwärtig Gesicht recht habe ansehen können; in seinen Köpfen von Attila und Heliodor, und Mördern schier, ist Grazie und Gefälligkeit. Heldencharakter, welche für sich bestehen, einen Apollo, Herkules, Jupiter, und diesen Ähnliche unter Menschen hat er nie oder höchst selten durch bloße Kopie erreicht. Sein Nackendes in den Teilen, die man nach unsern Sitten nicht sieht, ist wie aller andern Neuern meist Abschrift eines Modells; doch freut einen darin seine feste Hand. Die Vollkommenheit unsrer besten Antiken kannt er nicht; und sein Vortrefflichstes ist wahrlich nicht das wenige, worin er sie nachgeahmt hat. Dies Nackende, wenn er sich auch noch so sehr plagte, tut wenig Wirkung; es ist nicht wieder andre Natur geworden wie bei den Griechen, ausgenommen Kinder, Arme, Beine, Brüste, Hände, Füße.

      Übrigens sieht man recht im Vatikan, daß er mit den vorzüglichsten Personen seines Zeitalters umging und ihre Gestalten, Mienen und Gebärden, Stellungen und Bewegungen und den Reiz in den Gewändern seiner Kunst eigen machte. Welche Meisterstücke Archimed, Aristoteles, Plato, Pythagoras, seine Theologen und Kirchenlehrer! Um sie so wohl zu fassen, dazu gehört gewiß ein verliebter Umgang mit großen Männern. Sappho, Laura, die drei Musen neben dem Apollo im Parnaß, Pindar, Horaz, welche Gestalten! Und wieder welch ein unschuldiges unbehülfliches und doch unbesorgtes Wesen in seinen Kindern zum Beispiel im Burgbrande!

      Die Schönheit von Ausdruck und Empfindung hat er verstanden wie keiner. Auch dem Gemeinsten hat er immer einen Anstrich von Empfindung gegeben, ihn wie in Seele getunkt. Er konnte fast nichts anders machen; und die gefühligen Gebärden von inniger Rührung sind bei ihm zuweilen für den scharfen Denker bloße Manier und finden sich, wo sie sich nicht hin schicken. Seine wahrhaftig schöne Seele hat sich von Kindheit an dazu gewöhnt.

      Gefühlvolle Gestalten, die nicht sprechen, sind aber auch der eigentlichste Gegenstand der Malerei; wo diese nicht das Hauptwerk in einer historischen Komposition ausmachen, ergreift das andre wenig.

      Die vorige Woche war eine Seligsprechung zu Sankt Johann im Lateran, und dabei wurden Raffaels Tapeten ausgehängt, das Fest zu schmücken. Sie machen die andre große Reihe von Gemälden aus, wenn man sie so nennen will, die sich von ihm hier befinden, und belaufen sich an die zwanzig Stücke. Es sind Bilder aus dem Leben Jesu und der Apostelgeschichte. Raffael malte die Kartons dazu, wenig Jahre vor seinem Tode, auf Verlangen Leo des Zehnten, und sie wurden in Flandern unter Aufsicht zwei seiner guten dortigen Schüler gewirkt.

      Man trifft darunter Vorstellungen an von hoher Vortrefflichkeit und Schönheit: bei einigen aber gab er sich freilich nicht viel Mühe; doch erblickt man auch hierin einzelne Figuren, die entzücken. Er mußte sich darauf einschränken, was auf Tapeten Wirkung tut, und konnte nicht ins Feine gehen, in die zarten Züge, die oft soviel entscheiden. Deswegen hat man vermutlich auch aus einer schändlichen Nachlässigkeit die Originale zurückgelassen; und der Himmel weiß, wo sie in den Nebelländern hingeraten sind.

      Der Kindermord, die Auferstehung, die Austeilung der Schlüssel, wo man dem Paulus opfern will, derselbe im Areopag, Petrus, der einen Gichtbrüchigen heilt, der blinde Zaubrer, der Fischzug gehören unter die besten. Es ist wunderbar, wie das Leben aus der groben Materie hervorbricht und die Herzen ergreift; und man wird selbst zum glücklichen, seligen Kinde, wann das Volk so daran vorbeizieht, da und dort stillesteht und sich dieses und jenes Schöne zeigt, sich dabei der Religion freut und fromm und gut nach Hause geht.

      Vor seinem Kindermorde muß jeder andre Künstler die Segel streichen. Ich habe manches schöne Weib davor Tränen vergießen sehen, so rührend ist die Mutterliebe und die Unschuld der Kinder auf mancherlei Art ausgedrückt. Die Mutter, welche mit ausgebreiteten Armen und flatternden Haaren im Schrecken flieht; welche sitzt und über ihr totes Kind weint; welche den Mörder wütend fortstößt, indes das Kind sich an sie festklammert: sind göttliche Gestalten. Es ist ein unendlicher Reiz von Leben, Bewegung und Schönheit in diesem Stücke, das aus drei großen Tapeten besteht.

      Wie Petrus den Gichtbrüchigen heilt, ist ein gleiches Meisterstück und hat die trefflichsten Naturgestalten zur Begebenheit und macht noch ein vollkommner Ganzes. Ein gleiches, wo dem Paulus geopfert wird und wo Petrus die Schlüssel empfängt.

      Wie Christus aufersteht, ist äußerst sinnlich erfunden. Die Wache erschrickt und flieht davon, wie vor einem Gespenste. Der Hauptmann mit dem Spieße, der im Entsetzen noch tapfer aushalten will, und der Soldat, der sich vor Furcht an ihn schmiegt, und ein andrer mit Schild und Armen über dem Kopfe, und der, welcher ausreißt, sind Meisterwerk. Die drei Marien in der Ferne vollenden die Heiterkeit des Ganzen.

      Es läßt sich wenig darüber sagen, wenn man nicht selbst davorsteht und auf die Schönheiten hindeuten kann. Auch muß man vieles aus einer nähern Bekanntschaft mit Raffaelen nur ahnden.

      Unter allen seinen theologischen Werken behält aber doch immer den Preis sein letztes, die Verklärung, weil es gewissermaßen die Quintessenz aller seiner heiligen Gefühle in sich hält, den Zuschauer in den Mittelpunkt der christlichen Religion zaubert und die Vollkommenheit seiner Kunst ist. Schade nur, daß das Gemälde die Haltung verloren hat, die Schatten alle schwarz geworden, die feinen Tinten verschwunden sind und die Luft keine gute Wirkung tut. Inzwischen müssen die Gestalten der hohen Menschen, die hier versammelt sind, schon an und für sich ergreifen. Jeder von den untern Aposteln möchte gern voll Gutherzigkeit helfen, aber kann nicht. Auch die Notleidenden sind edle Seelen, und die kniende Jungfrau mit dem königlichen Profil erhebt besonders die Szene. Der beseßne Bube ist ein gutes Kind; der Kopf hat in der Tat den Ausdruck, als ob ihm ein böser Geist etwas angetan hätte, und sein Arm ist ein Meisterstück von Wut der Qual. Der Kopf des Weibes, welches ihn mit der Hand hält, voll Angst und blasser Melancholie, rührt bis zur Bangigkeit.

      Oben auf dem Berge wird der göttliche Jüngling, der das menschliche Geschlecht von seinem Elende befreit und auf welchen die untern Gefährten zeigen, in Verzückung emporgehoben vom Boden, und ihn umschweben die größten Geister der Vorwelt herab vom Himmel. Die eingeschlummerten Begleiter erwachen auf der Anhöhe von der Glut der Begeisterung.

      Jede Gestalt ist äußerst rein und bestimmt, individuell, voll Physiognomie und Schönheit in großen Formen. Dabei sind die Köpfe doch fast alle Natur aus der römischen Welt und täuschen deswegen so sehr. Ein Fremder kann es nicht so genießen wie einer, der diese kennt.

      Mit einem Wort, es ist, was es sein soll: eine wahre Verherrlichung und Verklärung; die Doppelszene, so vereinigt, füllt den Moment so mächtig, als die Malerei nur leisten kann; und was leere Kritiker tadeln, entzückte gerade den Meister bei der Erfindung und macht den Triumph der Kunst für den Menschen von Gefühl aus.

      Kapitel 28

       Inhaltsverzeichnis

      Man muß gewiß erstaunen über die große Anzahl seiner Werke bei so kurzem Leben und seinem Hange zur Wollust, besonders wenn man das meiste so gefühlt und ausempfunden sieht. Bei bloßer Manier und Fabrik läßt sich große Anzahl leicht begreifen, wo arme Sünder denselben Puppenkram, den kein Vernünftiger mehr erblicken mag, nur in andre Stellungen versetzen: aber alles Vollkommne, aus der Natur hergeholt, will reine volle Seele und kostet Anstrengung.

      Raffael hat sich innig, von zarter Kindheit an, als einzig liebes Künstlersöhnchen voll frischer Kraft selbst zum Maler in der Einsamkeit und beim Leben in der Welt gebildet und früh sich angewöhnt, Gestalten und Bewegungen derselben sich in der Phantasie zu sammeln und vorzustellen; und diese Übung und Gewohnheit ist nach und nach bei ihm zur stärksten Fertigkeit geworden. Seine Hand hat er gleichfalls geübt wie Auge und Phantasie, und dabei seines Geistes Sphäre erweitert; und so ist der göttliche Jüngling zum Vorschein gekommen. Die Hauptsache, worin er alle übertrifft,

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