Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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und himmlisch! Trunken und lechzend taumelt ich von dannen. Wohl recht hatte jener Weise: wenn man die Wollust dem Leben abzieht, so bleibt nichts als der Tod übrig. Sie hat so ganz das, was Sappho bei Weibern allein Grazie nennt, das Liebreizende, was so oft den schönsten und verständigsten fehlt. Diese versteht die Kunst, zu lieben, und kennt die Wirklichkeit der Sache mit allen ihren Mannigfaltigkeiten; sie ist eine Virtuosin darin, und andre wissen dagegen kaum die Anfangsgründe. Bei ihr könnte Sokrates mit allem seinem unendlichen Verstande noch in die Schule gehen; Natur selbst übersteigt alle Einbildung. O wie sie so bloß als erquickende Frucht an einem hängt, als volle süße Traube, woran man mit durstigen Zügen saugt: und dann wieder bezaubernde unüberwindliche Tyrannin ist des Herzens und des Geistes! Sicher bei ihrer Vollkommenheit, bedarf sie die Zierereien der andern nicht. Die Grausame begnügt sich, gleich der Spinne, nicht an einer Seele und verlangt nicht, wie sie sagt, gegen die Unmöglichkeit zu streben; o ich möchte töricht werden!

      »Laß uns aufrichtig sein!« sprach sie an einem andern Abend im Spazierengehen nach Saitenspiel und Gesang bei meinen Liebkosungen und Klagen der Eifersucht.

      »Jedes muß sich selbst am besten der Kräfte zu seiner Glückseligkeit bedienen, womit es auf diese Welt ausgesteuert worden ist, und der Lage und Sphäre, wohinein es bei seiner Geburt gesetzt wurde. Dies hebt den Menschen über Menschen und macht einen weit größern Unterschied zwischen den Graden ihres Genusses, als zum Exempel zwischen den verschiednen Weinen und ihrem Geschmack ist, wo man nicht glauben sollte, daß sie alle von derselben Rebe herkämen. So wären die Könige Halbgötter und Löwen unter Rindern, wenn sie ihre Stelle zu gebrauchen wüßten.14

      Ein Frauenzimmer ist unklug, das mit einer Gestalt, die gefällt, erwuchs und Vermögen besitzt, wenn es sich das unauflösliche Joch der Ehe aufbinden läßt. Eine Göttin bleibt es unverheuratet, Herr von sich selbst, und hat die Wahl von jedem wackern Manne, auf solange sie will. Es lebt in Gesellschaft mit den verständigsten, schönsten, witzigsten und sinnreichsten; erzieht seine Kinder mit Lust, als freiwillige Kinder der Liebe; erhöht sich zum Manne: da es hingegen im Ehestande wie eine Sklavin weggefangen worden wäre, nichts mehr vermöchte nach Gesetz und Gewohnheit, und sich endlich von dem kleinen Sultan selbst, welchem es sich aufgeopfert hätte, verachtet sehen müßte, ohn einem andern Vortrefflichen seine Hochachtung wirklich auf eine seelenhafte Art, nicht bloß mit Tand und Worten, erkennen geben zu dürfen.

      Ich werde dies einem Prospero nicht weiter auseinanderzusetzen brauchen, und ferner nicht, ob das Wohl des Staats oder Ganzen dadurch gewinnt oder verliert. Die etwanige Sünde kann man sich ja vergeben lassen! und eigentlich ist es bei uns nicht einmal eine gegen das sechste Gebot, sonst würden diese Lebensart fromme Regierungen nicht gestatten.

      Kapitel 29

       Inhaltsverzeichnis

      Was die Eifersucht betrifft, so ist sie gewiß, wenigstens auf eurer Seite, eine unnatürliche Leidenschaft und entsteht ganz allein aus armseliger Schwäche, Mangel oder Vorurteil; Brüder und Helden, jeder wert, ein Mann zu sein, sollten sich eine Freude daraus machen, ein schönes Weib gemeinschaftlich zu lieben. Der geringste Genuß wird durch Anteilnehmung mehrerer verstärkt und gewinnt dadurch erst seinen vollen Gehalt: warum sollt es nicht so sein bei dem größten? Und ist eine junge Schönheit nicht imstande, ihrer viele zu vergnügen? Verliert der eine etwas, wenn der andre auch von der Quelle trinkt, woran er schon seinen Durst gelöscht hat? In einer guten bürgerlichen Gesellschaft sollte platterdings auch gesellschaftliche Liebe und Freundlichkeit sein; allein wir können uns von dem Krebsschaden der Vorurteile vieler Jahrtausende noch nicht heilen. Eins und eins ist wahrlich nicht viel mehr als einsiedlerisch und gegen die Natur; sie behauptet deswegen auch immer ihre Rechte, wie jeder weiß, der nicht ganz blind ist. Bei der großen Mannigfaltigkeit wär es Unsinn, jederzeit von bloßem Brot zu leben. Jeder Mensch existiert für sich und in keinem andern; wenn dies die Natur gewollt hätte, so wären wir zusammengewachsen. Und geht's nicht so unter allen andern Gattungen von Tieren, Gras und Kraut und Bäumen? Jedes vereinigt sich mit dem andern nach Gelegenheit. O ihr Armseligen, die ihr keinen Begriff von Leben und Freiheit habt und Großheit des Charakters! Daß dies die reine wahre Lust ist, mit seiner ganzen Person, so wie man ist, wie ein Element göttlich einzig unzerstörbar, lauter Gefühl und Geist, gleich einem Tropfen im Ozean durch das Meer der Wesen zu rollen, alles Vollkommne zu genießen und von allem Vollkommnen genossen zu werden, ohne auf demselben Flecke klebenzubleiben. Sobald etwas ganz genossen ist, weg davon! Dies ist das allgemeinste Gesetz der Natur, wodurch sie sich ewig lebendig und unsterblich erhält.«

      Ich erschrak und erstaunte über diesen pindarischen Schwung; so weit hatt ich meine Philosophie noch nicht getrieben. Was lernt man nicht in Rom! Es bleibt gewiß in jeder Rücksicht die Hauptstadt der Welt. Ich sah sie an wie ein junges arabisches Roß, das nie Zügel und Gebiß erfahren, mit flatternden Mähnen durch die Fluren schweift und mit üppiger Kraft über alle Hecken und Gräben setzt.

      Sie lächelte über meine Verwunderung, milderte ihren feurigen kühnen Adlerblick, faßte mich zärtlich bei der Hand und fuhr fort:

      »Wenn man mit euch Weisen spricht, so muß man wie Zeno und Plato reden und sich dem Höchsten nähern, sonst habt ihr nur Mitleiden mit uns Schwachen. Glaube nicht, daß mein Herz aus mir sprach; es waren nur Abstraktionen kalter Vernunft und leichte Flüge mutwilliger Phantasie, dich zu necken und zu warnen. O du bist mein Abgott, ich werde dich immer lieben, solange du mir getreu bleibst; und ich habe keine Furcht vor einem andern, solange du es sein wirst. Kennst du etwa einen, der so viel über mich vermöchte als du? so viel über mich vermocht hätte? Nur schweig und verbirg, und laß uns unsre Glückseligkeit im stillen genießen; denn du siehst, ich bin von Feinden umringt, die mich und meine Güter zur Beute machen wollen.«

      Alles dies ist Schatten und nichts schier gegen das, was und wie sie es gesagt hat, mit einer Leichtfertigkeit, und einem Spiel von Mienen und Gebärden, und Pausen und Fragen und Antworten und Errötungen und Wegwendungen des Gesichts, und als ob ihr manches nur entschlüpfte, daß ich mich schäme, es hingeschrieben zu haben. Doch mag der bloße Inhalt allein Deiner Moral, wenn Du noch die alte hast, genug zu schaffen geben; ich wenigstens bin mit meinem Latein am Ende und denke keine Spanne weiter mehr darüber hinaus, von den Wonnestrudeln des paradiesischen Lebens bei meiner Zauberin ergriffen und festgehalten.

      Nach diesem sonderbaren Liebesgespräch ist noch sonderbarer, daß sie keiner Ausschweifungen beschuldigt wird und alle Abbati nichts wissen, die sich an ihr blind schauen. Sie hält sich eingezogen in ihrem Palast auf, wenn sie sich nicht auf ihren Landgütern befindet, und hat eine alte Base bei sich; und so führt sie die Wirtschaft mit ihren Kammerweibern und Bedienten. Sie weiß sich so von jedem Ehrerbietung und Gehorsam zu verschaffen, daß sie keines Mannes dazu bedarf und ihr alter Vormund, den sie noch erbt, gute Muße hat. Entweder ihr Vater oder ihre Mutter müssen außerordentliche Menschen gewesen sein: sonst kann ich es nicht begreifen. Beide sind erst vor wenig Jahren nacheinander gestorben.

      Etwas von dem Rätsel kann Dir noch das erste Gespräch aufschließen, wodurch ich mit ihr bekannt wurde, welches wir zusammen in einer Gesellschaft hielten, wohin ich kurz nach meiner Ankunft den Kardinal begleitete. Es betraf die drei großen Lichter der welschen Literatur, den Dante, Petrarca und Boccaccio. Von dem letztern behauptete sie, daß er am mehrsten Mensch und der Klügste und, gegen die gewöhnliche Meinung, am mehrsten Dichter gewesen wäre. Aus seinen Novellen allein leuchte unendlich mehr Erfindungsgeist hervor als in den Werken der beiden andern, und dies bestimme doch hauptsächlich den Rang der Dichter. Vers und Reim sei nur Verzierung, wie Licht und Schatten bei der Malerei, und nicht das Wesentliche. Und auch in Charakter und Sprache dürfe man ihn den guten Klassikern an die Seite setzen.

      Ich wandt ihr dagegen verschiednes ein und scherzte über ihre Verteidigung dieses gefährlichen weiblichen Moralisten. Sie zog sich mit unbeschreiblicher Anmut und leichtem Witz

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