Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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aus der schönsten Blüte der Kunst stammt.

      Sonderlinge wollten sie im Schwindel des Paradoxen, um vielleicht dem Vatikan wehe zu tun, jedoch gar zur bloßen Kopie machen, weil Plinius ferner sagt, die allervortrefflichsten Künstler hätten nach gemeinschaftlich gepflognem Rate den Laokoon, Kinder und Drachen, alles aus einem Block Marmor verfertigt; und sie bestehen offenbar aus zwei Stücken, und wenn Agesander und seine Freunde nicht Zeit und Arbeit vergebens verschwenden wollten, aus mehrern, da der Sohn zur linken Seite sonst um einer Taschenspielerei willen unsinnige Mühe würde gekostet haben. Plinius sah vermutlich die Gruppe aus einem niedrigen Standpunkt, und die Fugen waren versteckt, wie sie bei dem rechten Sohne noch sind, wenn man nicht hinsteigt; und es war schon in den alten Zeiten Mode, daß die Aufseher den Ankommenden Märchen wie Religion vorschwatzten; und der Geschichtschreiber hat in der Eile viel unglaublichre Fabeln sich aufbinden lassen, wenn er bei seiner Lebensart noch nicht recht ausgeschlafen hatte. Inzwischen will ich dem wackern Manne hier nicht zu Leibe gehn; er sagt sonst Dinge mit göttlichem Verstand, und zuweilen erhabne Poesie. Sein Werk ist wahrscheinlich der erste Zusammenraff des ungeheuern Ganzen, und die Wolkenbrüche von Feuerasche aus dem Vesuv erstickten ihn, bevor er nur die zweite Hand daran legte.

      Es ist wohl eine zu handgreifliche moralische Unmöglichkeit, daß ein Künstler, der so hätte arbeiten können, einige der kräftigsten Jahre seines Lebens mit bloßem Nachmachen ohne weitern Zweck sollte verschwendet haben und daß die Kopie, gerade wo das Original stand, durch ein Wunder vom Himmel gefallen und das Original dafür verschwunden wäre: um sich bei Erörterung dieses silbenstecherischen Verdachts länger zu verweilen.

      Man hat bis jetzt das Lob des Plinius entweder für bloß übertrieben hingesagt gehalten und sich unter den verlornen höchsten Meisterstücken der ersten Künstler, vom Phidias an bis zum Lysipp, ungleich vortrefflichre Bilder vorgestellt, oder die Dichter haben nur den schönen Ausdruck der Vaterliebe in der Gruppe angepriesen, und der große Haufe hat mit seinen Augen überhaupt keinen rechten Endzweck aus der Vorstellung holen können und gedacht: es ist unglücklich genug für uns, daß Löwen und Schlangen in der Welt sind; warum soll man einen guten Mann mit seinen Kindern noch damit in Marmor quälen sehen?

      Es wär erfreulich, wenn man schon aus der Theorie der Kunst und den bloßen Nachrichten beweisen könnte, daß das Lob des Plinius gerecht sei, auch ohne den Olympischen Jupiter vor sich zu haben.

      Und gewiß, wem zuerst die Idee von der Gruppe des Laokoon in der Seele aufging, und wer in seinem Herzen, in seiner Hand Mut und Fertigkeit genug fühlte, sie auszuführen: der war zum Bildhauer geboren wie Sophokles zum Dichter. Man darf kein großer Psycholog sein, um zu erkennen, daß das Ganze nur von einem Wesen stammt und daß die zwei andern Triumvirn allein ihre Geschicklichkeit dazu herliehen.

      Die schönsten Formen aller Art an der Doppelgattung des menschlichen Körpers waren von dem feinsten Gefühl, dem heitersten griechischen Sinn in den manchen tausend Statuen schier erschöpft, als die Götterkraft unsers Geistes im Agesander noch den kühnsten Flug begann und alles überschwebte.

      Kapitel 31

       Inhaltsverzeichnis

      Der hohe Meister fand den herrlichsten Vorwurf zu seinem Kunstwerk in der griechischen Religion und umgriff damit Himmel und Erde. Die Gruppe des Laokoon ist von derselben Gattung wie die der Niobe, nur atmet daraus mehr tragischer und bildender Geist. Lesen wir zuerst, was von seiner Geschichte aufgezeichnet steht im Hygin.

      »Laokoon«, erzählt dieser, »war ein Sohn des Akötes, Bruders des Anchises und Priester des Apollo. Da er wider dessen Willen heuratete und Kinder zeugte und ihn alsdenn das Los traf, daß er dem Neptun am Gestade opfern sollte, sandte Apollo bei der Gelegenheit von Tenedos her durch die Fluten des Meers zwei Drachen, damit sie seine Söhne Antiphas und Thymbräos umbrächten. Laokoon wollte denselben Hülfe leisten, wurde aber selbst umflochten und getötet. Welches die Phrygier deswegen geschehen zu sein glaubten, weil er einen Spieß in das Trojanische Pferd warf.«

      Servius gibt jedoch die bessere Erklärung und sagt, es sei deswegen geschehen, weil er seine Frau aus Unenthaltsamkeit im Tempel des Apollo beschlafen habe.

      Das Ganze vom Laokoon zeigt einen Menschen, der gestraft wird und den endlich der Arm göttlicher Gerechtigkeit erreicht hat; er sinkt in die Nacht des Todes unter dem schrecklichen Gerichte, und um seine Lippen herum liegt noch Erkenntnis seiner Sünden. Über dem rechten Auge und dem weggezuckten Blick aus beiden ist der höchste Ausdruck des Schmerzens. Sein ganzer Körper zittert und bebt und brennt schwellend unter dem folternden tötenden Gifte, das wie ein Quell sich verbreitet.

      Seine Gesichtsbildung mit dem schönen gekräuselten Barte ist völlig griechisch und aus dem täglichen Umgange von einem tiefschauenden Menschen weggefühlt, und drückt einen gescheiten Mann aus, der wenig ander Gesetz als seinen Vorteil und sein Vergnügen achtet, und der dazu den besten Stand in der bürgerlichen Gesellschaft gewählt hat; voll Kraft und Stärke des Leibes und der Seele. Die zwei Buben werden mit umgebracht, als Sprossen vom alten Stamme; das ganze Geschlecht von ihm wird vertilgt.

      Es leidet ein mächtiger Feind und Rebell der Gesellschaft und der Götter, und man schaudert mit einem frohen Weh bei dem fürchterlichen Untergange des herrlichen Verbrechers. Die Schlangen vollziehen den Befehl des Obern feierlich und naturgroß in ihrer Art, wie Erdbeben die Länder verwüsten.

      Das Fleisch ist wunderbar lebendig und schön; alle Muskeln gehn aus dem Innern hervor, wie Wogen im Meere bei einem Sturm. Er hat ausgeschrien und ist im Begriffe, wieder Atem zu holen. Der rechte Sohn ist hin, der linke wird derweile festgehalten, und die Drachen werden bald hernach mit ihm vollends kurzen Prozeß machen.

      Selbst die Schamteile des Alten richten sich empor von der allgemeinen Anspannung, Hodensack und Glied zusammengezogen; und Hand und Fuß ist im Krampfe. Die linke Seite mag wohl zum Höchsten gehören, was die Kunst je hervorgebracht hat.

      Die Söhne haben gerade so viel Ausdruck, als ihnen gebührt. Der eine ist im Sterben wie tot schon, und der andre leidet noch nicht an Gift und Wunde und entsetzt sich bloß. Der Vater zieht alle Aufmerksamkeit auf sich.

      Der Gruppe fehlt ein Hauptteil, der rechte Arm des Laokoon. Michelangelo wollte denselben ansetzen, hatte schon das Modell dazu gemacht und angefangen, ihn in Marmor auszuhauen; aber welcher andre will sich in das lebendige warme Fleisch und die ganze Natur hineinfühlen? Er war so bescheiden und verwarf seine Arbeit. Es ist jammerschade, daß der alte Arm verlorengegangen ist, wegen des Zugs der einen Schlange und weil Laokoon damit seine stärkste Kraft muß geäußert haben.

      Diese flog mit grimmigem Satz rechts her16 von oben herein, umflocht den aufgehobnen Arm, der sie abhalten wollte, schwingt sich geschwollen um den Rücken herum, an der Seite über dessen linken und um den rechten Arm des ältern noch lebendigen Sohns beim Ellenbogen, windet sich um den obern Arm, und schlingt sich dann um den untern wieder, und macht einen schrecklichen Knoten darum her, schießt nach der linken Hüfte des Vaters mit dem Kopfe, der sie mit mächtiger Faust am Halse noch ergriff, und setzt mörderlich den Zahn ein. Alles Sträuben, alle Rettung ist vergebens und hört auf: es ist geschehen, die Tat vollzogen.

      Die andre Schlange fährt linker Seite her von unten auf durch die Beine, kuppelt sie wie Raub und Beute zusammen, umschlingt dem Sohne rechts den linken Arm und hinter dem Rücken herum den andern und setzt ihm den giftigen scharfen Zahn ein nach dem jungen Herzen.

      Der Vater sank auf den kleinen Altar zurück, weil er sich nicht mehr halten konnte; der ältere Sohn linker Hand steht auf dem rechten Beine und der andre mit dem linken Fuß auf den Zehen, und die Schlange hält ihn oben an den Altar gelehnt noch aufrecht. Alle warfen

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