Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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bestimmt war, betrachten, wie man wollte: so mußte sie die stärkste Wirkung hervorbringen; entweder als Naturtrauerspiel für das ganze menschliche Geschlecht: ein Vater, der bei Rettung seiner Kinder umkömmt; oder als Strafe der Götter. Und als Kunstwerk konnt ihr kein anders den Rang der ersten Klasse streitig machen. Für uns bleibt sie Naturtrauerspiel, und die Kreatur seufzt dabei im Innern über die notwendigen Leiden auch des Guten und Gerechten und schaudert in ihr Unvermögen, ihre Unwissenheit zurück.

      Wenn man die Vorstellungen, wo der Körper leidet und das Leben vergeht, unter eine besondre Klasse bringen wollte, so möchte das Lob, welches Plinius dieser Gruppe erteilt, wohl am wenigsten können bestritten werden und sie unter allen dieser Art mit der Niobe obenan stehen. Der an seiner Wunde Sterbende des Ktesilas, woran man sehen konnte, wieviel noch Seele übrig war, gehörte als einzelne Figur dahin, so wie der Hinkende, vielleicht Philoktet, des Leontinischen Pythagoras, dessen Geschwüres Qual die Betrachtenden zu empfinden meinten; die Verwundeten Amazonen, bis auf den berühmten Hund des Lysipp im Kapitol, der voll Schmerz und natürlicher Todesschrecken in abgesetztem Lauf und Hast seine Wunde leckte und für welchen die Aufseher mit ihrem Leben stehen mußten.

      Der letzte Akt unsers Drama hienieden scheint vorzüglich ein Vorwurf der Malerei gewesen zu sein: Apelles tat sich darin hervor; alle aber übertraf der Landsmann Pindars: Aristides. König Attalus erkaufte einen Kranken von ihm mit hundert Talenten; und Alexander ließ das Gemälde, wo die an ihren Wunden sterbende Mutter das sich anklammernde Kind von der Brust abhielt, damit es kein Blut saugte, nach seinem Geburtsort bringen. In eben dieses Meisters Schlacht mit den Persern von hundert Figuren war ohne Zweifel manches Vortreffliche dieser Art. Die Farbe macht hier keine Kleinigkeit aus und reißt, gut aus der Natur empfunden, mit Gewalt zur Täuschung. Unter den neuern Werken mag Peter der Märtyrer von Tizian wohl hierin obenan stehen.

      Für Sultane sind dies heilsame Bilder, um sie zuweilen an ihre Menschlichkeit zu erinnern; und das größte Meisterstück davon stand in den kaiserlichen Bädern an seinem rechten Platz. Ich aber für mich muß aufrichtig gestehen, daß ich in meinem Bad oder Schlafzimmer ein Kunstwerk erfreulichrer Art aufgestellt haben möchte; wär es auch der verstümmelte Herkules, an welchem meine Phantasie noch obendrein immer zu schaffen hätte; denn für beständig möcht ich die Gnidische Venus nicht.

      Der Torso ist das Höchste von einem Ringerkörper; der Sohn der Wundernacht, aus dessen Armen sich der dreifache Geryon nicht loswand, ruht und sitzt auf seinem Löwenfell. Man findet nichts mehr übrig von alter Kunst, wo Kernstärke schöner und vollfleischiger und alles in der lebendigsten Form mit dem feinsten Wahrheitsgefühl so abgewogen wäre. Er senkt die rechte Seite und hatte den linken Arm in der Höhe. Das mächtige Brustbein ist so zart gehalten und mit nerviger Fettigkeit überzogen, daß man es kaum merkt. Brust und Schultern und Mark vom Rücken herum sitzen über der schlanken Mitte ganz unüberwindlich und erdrückend. Die Schenkel sind lauter Kraft. Alles ist an ihm in Fluß und Bewegung in den allergelindesten Umrissen. Man sieht alle Teile und ihre Macht und Gewalt, jede Fiber ist in Regung: und doch tritt weder Muskel noch Knochen scharf hervor. Es ist recht das höchste Vermögen in höchster Bescheidenheit und Schönheit.

      Vielleicht hat er ein süßes Geschöpf der Lust auf seinen Armen gewiegt; denn sie trugen, und die Zapfenlöcher der Stützen sind noch in den Schenkeln. Glückseligste Sphäre der Welt, an dieser Achse du von ihm Geliebte! Du mußtest ganz in Entzücken schweben und hangen und von aller andern Berührung frei und los sein! Doch dies zum Scherze; so wie ich beim Demetri behauptete: der fromme, zornige und schnellfüßige Achill Homers komme gegen diesen Helden nicht auf.

      Der Farnesische Herkules hat den Charakter von einem Faustbalger, so feist und breit und vollgenährt sind die Formen gegen die Cestusschläge. Seine Stärke fällt zentnermäßig über das Gefühl eines heutigen schwachen Römers; aber auch außerdem macht er alle Welt zu Hunden und Katzen gegen einen Löwen in seiner vollsten Kraft.

      Er hat im Farnesischen Hof einen zu niedrigen Standpunkt; deswegen schwillt die Brust zu sehr aus ihrer natürlichen Großheit, und noch Hüften und Seiten.

      Sein Kopf ist vollkommen Eisen und Stahl unüberwindlichen Mutes und unerbittsam im Zähneinschmeißen.

      Der Künstler, welcher ihn erfand, scheint ihn nach dem Ideale des Sophokles gebildet zu haben, wo der Held aller Helden ein ganzes Reich verheert, um Iolen in seine Gewalt zu bekommen; Vater und Brüder ermordet, weil sie bei einem Besuch ihren süßen Reiz ihm nicht zum heimlichen Beischlafe geben wollten; Dörfer und Städte verbrennt und die Einwohner als Sklaven gefangen führt: so tobte in ihm die Liebe.

      Ich habe bei dieser Gelegenheit zu guter Letzt nicht unterlassen können, noch eine Skizze nach diesem Sonnenmut der Lust von sich strahlenden, jetzt meinem Lieblingsstücke unter allen des tragischen Dichters zu entwerfen, um mir damit eine eigne Kopie von der heroischen Gestalt und dem Farnesischen Stier aufzubewahren.

      Dieser ist das größte Meisterstück in Marmor von allen Tieren aus der Zeit der Griechen. Man kann kein natürlicher Ochsenfleisch sehen, und Myrons Kuh war vielleicht nicht besser. Nur die Beine daran sind neu, sonst ist an ihm selbst alles wohlerhalten. Wahrhaftige wilde Stiernatur in Stellung, Bewegung durch den ganzen herrlichen Körper! Besonders strotzt die Kraft wunderbar vom Hintern über den königlichen Rücken. Schönes Bild von Stärke, um Herden zum Preise davonzutragen!

      Die Skizze stellt den göttlichen Chor vor, wo Herkules und der Fluß Acheloos als Rind, beide von Kraft geschwellt, um Dejaniren miteinander kämpfen, welche in zarter Wohlgestalt am fernglänzenden Ufer sitzt und den Gatten erwartet, schüchtern wie ein Kalb von der Mutter fern: ob es der Sohn des Zeus sein werde oder das vierfüßige Tier, indes der Löwenwürger, nach langem Kriege, diesem das gewaltige Horn ausreißt.

      Der erfreulichste Genuß dieser Werke ist für uns verschwunden, weil wir keine olympischen Kämpfe und Siege mehr daran sehen. Beide Athenienser verherrlichen mit diesen hohen Mustern noch hier ihre Vaterstadt; doch möcht ich lieber der Apollonios des Torso sein als der Glykon des farnesischen Keulenschwingers.

      Der sogenannte Antinous, welcher einen jungen Helden, vielleicht den Meleager, vorstellt, wie man aus einem andern Bilde schließen kann, das in Figur und Stellung ähnlich ist, wo unten zu den Füßen der wilde Schweinskopf sich befindet, hat für uns unter den vier Hauptstatuen die mehrste Wirklichkeit.

      Eine echte griechische jugendliche Schönheit voll geistigen Reizes und süßer lieblichen Hoheit. Er blickt empfindend zur Erde, als ob er sich besänne, zu welchem Mädchen er gehen wolle; und Lippen, Stirn und Wangen und Kinn sehen recht kräftig, zartnervig und anhaltend im Genuß aus. Die Formen am Unterleibe sind nicht klar hervor, und er muß im Ringen noch zusammengeschlungen und seine Natur geübt werden. Die Brust, besonders vom rechten Arm her, schwillt milchig; und ich kenne nichts Verführerischers für ein Weib zur Umfassung. Mit einem Wort, es ist der schönste junge Mensch unter allen alten Statuen. Der Bauch allein ist ein wenig zu flach gehalten, vielleicht verhauen.

      Will man auf eine andre Weise lieber: so sinnt der junge Held, wie er einen Kampf mit dem besten Verstand abmachen soll. Der Zug des Denkens ist über dem rechten Auge, wodurch der Knochen schärfer hervorkömmt als bei dem linken; und das Heroische sitzt in der kräftigen Stirn und dem gefaßten Blick und den Lippen, wo sich das Gefühl seiner bewußten Stärke öffnet und hervorblüht. Wenn er ein Zeichen hätte, so könnte man sich noch den Sohn der Maja unter ihm vorstellen, der seine Gesandtschaft überdenkt. Es ist ein himmlisches Bild und erregt auf jede Art entzückende Gefühle, dessen Schönheiten am leichtesten und sichersten in die neuere Kunst überzutragen sind.17

      Kapitel 32

       Inhaltsverzeichnis

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