Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Ziegenbaͤrtigen Grammatiker, und der Poͤbel von Ueberſezzern und Syſtemſchreibern keine Widerrede haͤtte? Wir arbeiten in Deutſchland wie in jener Verwirrung Babels; Secten im Geſchmack, Partheien in der Dichtkunſt, Schulen in der Weltweisheit ſtreiten gegeneinander: keine Hauptſtadt, und kein allgemeines Jntereſſe: kein großer allgemeiner Befoͤrderer und allgemeines geſezzgeberiſches Genie. Wenn im Homer die Verſammlung der Griechen erſcheint: ſo bebt vom Gemurmel die Erde, und neun ſchreiende Herolde laufen mit Staͤben umher, ſie zu baͤndigen, daß ſie die Goͤtterſoͤhne, die Koͤnige, hoͤren ſollen.

      Da dies Werk fuͤr einen nicht iſt; ſo theile man die Arbeit, oder den Plan. Den Plan? Dies gienge nicht ſo fuͤglich an. Ein großer Theil der Wiſſenſchaften macht einen Koͤrper, wo man kein einzelnes Glied nach bloßem Gutduͤnken pflegen kann, ohne dem Ganzen zu ſchaden: und dieſer Theil traͤgt den Namen Litteratur. Ein weiter Name, deſſen Gebiet ſich von den erſten Buchſtabierverſuchen erſtreckt, bis auf die ſchoͤnſte Blumenleſe der Dichtkunſt: von der Zuͤchtigung elender Ueberſezzer nach der Grammatik und dem Woͤrterbuch bis zu den tiefſten Bemerkungen uͤber die Sprache: von der Tropologie bis zu den Hoͤhen, die nur das Sonnenpferd der Einbildungskraft auf Fluͤgeln der Aurore erreicht: von den Handwerksſyſtemen bis zu den Jdeen des Plato und Leibniz, deren jede, wie ein Sonnenſtral, ſiebenfarbichtes Licht enthaͤlt: Sprache, Geſchmackswiſſenſchaften, Geſchichte und Weltweisheit ſind die vier Laͤndereien der Litteratur, die gemeinſchaftlich ſich zur Staͤrke dienen, und beinahe unzertrennlich ſind.

      So theile man alsdenn die Arbeit? — Nur theile man ſie recht, lenke ſie recht zuſammen, und habe ſtets das Ganze im Auge. Ein wahrer Kunſtrichter in ſolchem Journal muß nicht Buͤcher, ſondern den Geiſt beurtheilen, ſie mit ihren Schwaͤchen und Groͤßen gegen einander abwaͤgen, und nicht ihr Syſtem ſondern ihr Urbild verbeſſern. So lange man nicht Jdeen in ihre Quelle zuruͤckzulenken weiß, in den Sinn des Schriftſtellers: ſo ſchreibt man hoͤchſtens wider ihn, und erregt — wenn er ſich nicht in unſre Stelle zu ſezzen weiß — ſtatt Ueberzeugung, Widerſpruch. Wie ſchwer iſts, Proben zu Grundſaͤzzen zuruͤckzufuͤhren, und Verſuche zu Meiſterſtuͤcken zu erheben; beſtaͤndig mit und ſtatt ſeines Autors denken zu koͤnnen, ſtatt ſeiner zu arbeiten, und das Ganze nicht aus der Acht zu laſſen: wie ſchwer iſts, ſich und ſeinem Schriftſteller, und dem Leſer und der Schutzgoͤttin Litteratur ein Gnuͤge zu thun? ſo ſchwer, daß mein Plan lange ein Traum meiner Phantaſie bleiben wird.

      Drey Werke ſind es, die mit dieſem Grundriß eine Aehnlichkeit haben, und die ich alſo darnach beurtheilen darf. Jſt mein Jdeal eigenſinnig ſo zeichne ich, wie es der Geſtalt und Schwaͤche meiner Augen erſcheint. Sie erheben ſich uͤber die uͤbrigen Journaͤle ſo ſehr, als nach Virgils Gleichniß Rom uͤber die Schaͤferhuͤtten und die Cypreſſen uͤber das Geſtraͤuch. Jndeſſen kann man doch auch uͤber Rom urtheilen.

      Die deutſche Bibliothek hat einen zu weiten Plan, um allgemein zu ſeyn. Da ſie ſich uͤber die erſt gezeichneten Graͤnzen der Litteratur auch den ſogenannten hoͤhern Wiſſenſchaften mittheilet: ſo muß ſie die hoͤhern Handwerksund Kunſtwerke nur in einem philologiſchen Geſichtspunkte zeigen, der dem gemeinen Leſer zwar bequem, aber dem Liebhaber dieſes Feldes viel zu entfernt iſt. Entweder man befriedigt alſo den leztern nicht, der ſie im ganzen Licht erblicken will: oder man hat dem groͤſten Theil der fremden Leſer die Frage vorzulegen: Verſteheſt du auch, was du lieſeſt? Entweder man thut den Verfaſſern nicht gnug; oder fodert vom exoteriſchen Leſer ein Pythagoraͤiſches αυτος εφα, oder das Sokratiſche Urtheil, das er uͤber Heraklits Schriften faͤllte: „auch, was ich nicht verſtehe, iſt gut.„ Jch koͤnnte aus jedem Theil ſolche Schriften anfuͤhren, die oft blos aus einem Nebengeſichtspunkt betrachtet ſind, ja von denen man gar nur ein allgemeines, und einſeitiges Urtheil faͤllen konnte; weil es in einer allgemeinen Bibliothek ſtehen ſollte. Auf die Art bildet man unvollkommene Polyhiſtors, aber keine Panſophen der Litteratur: das Werk wird ungleich, und mangelhaft: ex omnibus aliquid, ex toto nihil. Man ſieht es jedem Recenſenten an, daß er uns mehr ſagen konnte; allein um des Allgemeinen willen muſte er ſich in der Gottesgelahrtheit auf Toleranzpredigten, in der Arzneiund Rechtslehre auf die Graͤnzen dieſer Wiſſenſchaften, und in der Aeſthetik auf Auszuͤge einſchraͤnken.

      Gewiß! Recenſionen allein, machen noch keine allgemeine Bibliothek aus; Vergleichungen und Ausſichten, Beobachtungen uͤber Fehler und Tugenden, dieſe karakteriſiren den hohen kritiſchen Geiſt, der zum Bibliothekar einer Nation gehoͤrt. Das ganze Bild der himmliſchen Goͤttin lebte ſtets in der Seele des Zev[x]es, da er von ſeinen irrdiſchen Goͤttinnen Reize borgte. Was in jeder Schrift neu iſt, und wozu Pfade eroͤfnet werden; fuͤr welche Claſſe von Leſern jenes und dieſes Werk iſt; was man wegzuwerfen und auszubeſſern habe, um den Bau des Ganzen zu befoͤrdern — dies heißt eine allgemeine Bibliothek. Und von dieſem doͤrfte man bisher nicht eben viel neues in dem gedachten Werk wahrgenommen haben.

      Bloße Auszuͤge, mit einem fluͤchtigen Urtheil uͤber einzelne Saͤzze; Auszuͤge, die gegeneinander nicht immer Ebenmaas haben; Auszuͤge nach Geſezzen und Sazzungen, nicht nach dem Genie des Verfaſſers, und der Wichtigkeit der Sache; ſind eine encykliſche Gelehrſamkeit, einer Spirallinie gleich, die um ihren Mittelpunkt laͤuft, um ihn ſpaͤt zu erreichen.— Jch ſehe ſelbſt die Schwuͤrigkeiten ein, die dieſen ſchoͤnen Plan, im Lehnſtul ausgeheckt, ſchwer gnug machen, allein unmoͤglich iſt er nicht fuͤr einen Ort, wie Berlin, fuͤr einen Verleger, wie Nicolai iſt, und fuͤr Verfaſſer, wie die meiſten bey der Bibliothek ſind.

      Man dankt es alſo den Verfaſſern, daß ſie manchmal ihre Lieblingswendungen ergreifen, um von einer Sache uͤberhaupt zu ſchwazzen: Briefeingaͤnge, Praͤludien und Epiſoden, die mehr werth ſind, als ganze Critiken.

      Warum iſts nicht oͤfter geſchehen, daß ſie die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften zur Baſis ihrer Briefe gemacht, wie ſie es verſprachen. Oft wenn dieſe, ihres Namens Bibliothek eingedenk, Auszuͤge von Buͤchern lieferte, die ich mir ſelbſt machen konnte und mußte, waͤre ein freies Urtheil im Geſchmack der Litteraturbriefe willkommen geweſen. Vielleicht waͤren oft beider Urtheile verſchiedner gefallen, wenn ſie ſich mehr bemerkt haͤtten: indeſſen bleiben beide Werke die Pendanten zu einander, die manche Nachbarn nicht aufzuzeigen haben.

      Die Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften iſt in ihren Nachrichten von den Auslaͤndern uns voͤllig und noch mehr als ein Journal étranger; daher ich bey dieſen Nachrichten zu leſen anfange und alsdenn die Bibliothek auf gut alt βουστρεφοδον zuruͤckpfluͤge. Allein, wenn man dieſe fremde Nachrichten mehr in Auszuͤge ausbreitete, inſonderheit von Buͤchern die oft ſelbſt eine kleine Bibliothek der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ſind? Wenn man einlaͤndiſche Auszuͤge oft verkuͤrzte, von Buͤchern, die man ſelbſt leſen muß? Wenn man bei dieſen ſich vorzuͤglich auf Urtheile, Beobachtungen und Ausſichten befliſſe? Wenn die eignen Abhandlungen beſtaͤndig eine nahe Beziehung zum Titel des Buchs Haͤtten? Wenn ſie oͤfters Gemaͤlde der ſchoͤnen Kuͤnſte und Wiſſenſchaften in Laͤndern und Gegenden enthielten, aͤhnliche Schriftſteller verglichen, und einem Sulzer fertiges Baugeruͤſt zu ſeiner allgemeinen Aeſthetik lieferten? Wenn ſie an dringender Kuͤrze und ſchoͤner Gruͤndlichkeit den Moſesſchen, Winkelmanniſchen und Hagedornſchen gleich kaͤmen, und in ihrer Wahl fremder Stuͤcke genau waͤren; wenn man die Nachrichten und Urtheile, wie

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