Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Den Weibern und Kindern überließen wir ganz Naxos, die schönste Perle aller Inseln, von den Alten schon wegen ihrer Fruchtbarkeit und Lieblichkeit das kleine Sizilien genannt. Ihr Wein und ihre Früchte haben an Köstlichkeit ihresgleichen nicht auf dem weiten Erdboden. Schade nur, daß sich jener nicht verführen, nicht einmal auf die See bringen läßt, ohne sogleich zu verderben. Wahrer Nektar, dem Himmel unentwendbar! Alles schien für uns, von der Natur selbst, schon vorherbereitet. Naxos hatte keinen Hafen für Schiffe, nur die Barken der Verliebten können anländen: hingegen Paros deren fünf, rundum einen immer schöner als den andern.

      Für die Jugend, bevor sie mannbar ward, hatte man noch andre Einrichtungen getroffen.

      Auch die Weiber hatten Stimmen bei den allgemeinen Geschäften und wurden nicht als bloße Sklavinnen behandelt, doch nur zehn Prozent in Vergleich mit den Männern. Fiordimona, die unbegreiflich allein – wer kann des Menschen Charakter fassen? – dem Ardinghello treu blieb, hatte dies durchgesetzt, wie noch andres Amazonenhafte für ihr Geschlecht; daß sie zum Beispiel auch Schiffe ausrüsteten und auf Streifereien ausliefen. Sie waren Mitglieder vom Staate, obgleich die schwächern; und ihnen blieb das Recht, gut- oder nicht gutzuheißen, besonders was sie selbst betraf. Übrigens war immer der Hauptunterschied, daß die Männer erwarben und sie bewahrten.

      So schwang die Liebe in allerhöchster Freiheit ihre Flügel; jedes beeiferte sich, schön und liebenswürdig zu sein, und konnte sich weder auf Geld und Gut noch Pflicht und Schuldigkeit verlassen. Was die Bevölkerung betraf, wollten wir uns in der Folge nach dem Spartaner richten, von welchem die erstaunte Priesterin zu Delphi nicht wußte, ob sie ihn als Sterblichen oder Gott begrüßen sollte; die Kinder gehörten dem Staate, und der Tod dünkte uns bei weitem nicht das größte Übel.

      Kurz, wir vermieden alle die Unbequemlichkeiten, die Aristoteles und zum Teil schon Aristophanes in seiner weiblichen Volksversammlung bei solchen Einrichtungen berühren.

      Um jeden Tempel, auf Bergen und Anhöhen, mit den Aussichten auf die reizenden Inseln umher, war ein schöner Hain gepflanzt, bestimmt noch außer Festen zur Erziehung der Jugend. Nebenan führte man nach und nach Gymnasien auf. Wir hielten die Übung des Körpers für die Hauptsache, welcher alsdenn die Bildung des Geistes durch zweckvollen Unterricht und im Umgange leicht nachfolgt. Alle Tugenden und Künste müssen sich allemal nach dem gegenwärtigen Staate richten, wenn sie wirken und Nutzen bringen sollen, oder überhaupt jede Tugend nach der Person.

      Binnen wenig Jahren hatten wir schon alle Cykladen im Besitz und starken Einfluß auf dem festen Lande. Bei den Griechen, fast durchgehends heitern Sinnes, rotteten wir in gesellschaftlichen Gesprächen bald den Aberglauben aus und verschafften ihren Geistlichen auf anständigre Weise Unterhalt. Die Türken, die sich um uns, mitten im Meer, wenig bekümmerten, ließen wir in der Meinung, die verschiednen Tempel seien nur für verschiedne christliche Heiligen, als für den Heiligen des Feuers, der Wasser, der Lüfte. Überhaupt herrschte über diesen Punkt, die Fortpflanzung und andre bei uns unerhörte Verschwiegenheit; wir schienen durchaus ein Orden dieser Tugend. Auf allen Fall hielten wir uns des Schutzes vom Sultan für versichert.

      Wir machten uns die gesellschaftlichen Bürden so leicht wie möglich zu ertragen und genossen alle Wonne dieses Lebens unter dem milden Himmelsstrich bei den ersprießlichen und allgemein beliebten Gesetzen; und das Ganze fügte sich immer lebendiger zusammen und wuchs zur reifen Schönheit durch neue auserwählte Ankömmlinge, worunter sich die schönste und heldenmütigste griechische Jugend aus beiderlei Geschlecht befand, die wir mit Behutsamkeit in unsern Geheimnissen einweihten. Kriegerische Schiffahrt und Handlung zwischen Kleinasien, dem Schwarzen Meer und den westlichen Ländern, und höchste Freiheit, süßes Ergötzen und frohe Geschäftigkeit im Innern, darauf zweckte alles; durch jene erhielten wir Sicherheit und verdienten Schutz, und durch beides gewannen wir Sklaven und Sklavinnen und Überfluß an allen Bequemlichkeiten. Bei aller dieser Seligkeit glaub ich jedoch, daß auf dem ganzen Erdboden kein andrer Platz war, wo man sich so wenig vor dem Tode scheute.

      Jeden Frühling war allgemeine Versammlung, worin wir die nötigen neuen Einrichtungen oder Abänderungen für das ganze Jahr trafen; sie wurde mit feierlichen Spielen und Lustbarkeiten beschlossen.

      Kurz, wir kamen beieinander, so verschieden auch mancher vorher dachte, in folgenden Grundbegriffen überein: Kraft zu genießen, oder, welches einerlei ist, Bedürfnis, gibt jedem Dinge sein Recht, und Stärke und Verstand, Glück und Schönheit den Besitz. Deswegen ist der Stand der Natur ein Stand des Krieges.

      Das Interesse aller, die sich in eine Gesellschaft vereinigen, bildet darauf Ordnung, stiftet Gesetze und innerlichen Frieden; alles richtet sich dabei, wie bei jedem andern lebendigen Ganzen, immer nach den Umständen.

      Der beste Staat ist, wo alle vollkommne Menschen und Bürger sind; und diesem folgt, wo die mehrsten es sind. Hier wird kein Nero gedeihen! Derjenige Mensch und Bürger ist vollkommen, welcher seine und seines Staats Rechte kennt und ausübt.

      Jedes hat fürs erste das Bedürfnis zu essen, zu trinken, mit Kleidung und Wohnung sich zu schützen und zu sichern, die Wahrheit von dem Notwendigen einzusehen und, wenn es mannbar ist, das der Liebe zu pflegen. Vermag es nicht, sich dieses friedlich zu verschaffen, so darf es dazu die äußersten Mittel brauchen; denn ohne dasselbe erhält es weder sich noch sein Geschlecht.

      Auf gleiche Weise geht es hernach mit den Bequemlichkeiten und Freuden des Lebens. Ein armer schwacher Staat mag sich an den ersten rohen begnügen; allein dieses ist zur Glückseligkeit nicht hinlänglich. Der starke und tapfre hat zu mehrerm Recht, eben weil er weitre Bedürfnisse hat. Das beste Instrument gehört dem besten Virtuosen, das königlichste Roß dem mutigsten und geübtesten Bereiter. Land für Themistoklesse und Scipionen, für Praxitelesse und Horaze keinen Mönchen und Barbaren.

      Wirkliche (nicht bloß eingebildete und erträumte) Glückseligkeit besteht allezeit in einem unzertrennlichen Drei: in Kraft zu genießen, Gegenstand und Genuß. Regierung und Erziehung soll jedes verschaffen, verstärken und verschönern.

      Der Krieg richtet greuliche Verwüstungen an, es ist wahr; bringt aber auch die wohltätigsten Früchte hervor. Er gleicht dem Elemente des Feuers. Es ist nichts, was den Menschen so zur Vollkommenheit treibt, deren er fähig ist. Das goldne Jahrhundert der Griechen kam nach den Schlachten gegen die Perser. Das goldne Jahrhundert der Römer war mitten unter ihren Bürgerkriegen, und ihr Geist fing an zu erschlaffen bei dem langen Frieden unter Augusten. Florenz ragt in den neuern Zeiten hervor bei innerlichem Tumult und Aufruhr.

      Die höchste Weisheit der Schöpfung ist vielleicht, daß alles in der Natur seine Feinde hat; dies regt das Leben auf! Sterben ist nur ein scheinbares Aufhören und kömmt beim Ganzen wenig in Betrachtung. Alles, was atmet, und wenn es auch Nestor wird, ist ohnedies in einer kurzen Reihe von Tagen nicht mehr dasselbe.

      Ruh und Friede ist ein herrlicher Stand, zu genießen und sich zu sammeln; aber der Mensch, ohne gereizt zu werden, träge, versinkt dabei in Untätigkeit. Besser, daß immer etwas da ist, das ihn aus seinem Schlummer weckt. Wir sollen einander bekriegen, weil kein höher Geschöpf es kann.

      Was das ganze menschliche Geschlecht betrifft, durch Meere und Gebirge und Klima, durch Sitten und Sprachen abgesondert, welcher Kopf will es in Ordnung bringen? Die Natur scheint ewig wie ein Kind in das Mannigfaltige verliebt und will zu jeder Zeit deswegen rund um die Erdkugel Skythen, Perser, Athen und Sparta.

      Das besondre Geheimnis unsrer Staatsverfassung, welches nur denen anvertraut ward, die sich durch Heldentaten und großen Verstand ausgezeichnet hatten, bestand darin: der ganzen Regierung der Türken in diesem heitern Klima ein Ende zu machen und die Menschheit wieder zu ihrer Würde zu erheben. Doch vereitelte dies nach seligem Zeitraum das unerbittliche Schicksal.

      Fußnote

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