Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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So bald gewiſſe Dinge mit beſtimmten Worten fortgepflanzt wurden; wie dies durch die erſten Lieder geſchahe; ſo fieng ſich dieſes unordentliche Chaos an zu ſenken; man ſuchte die Ordnung der Worte aus, die dem Lernenden am faßlichſten waren; das Sylbenmaas muſte ſie einpaſſen, und ſo ward ſie zwar kein Geſez, keine Regel, aber ein Muſter, ein Praͤjudicat: und man weiß, daß alle Voͤlker nach bloßen Gebraͤuchen leben, ehe ſie Geſezze haben. Die Gebraͤuche werden zu Gewohnheiten, und ſo ward auch die Conſtruktionsordnung dazu, doch daß ihre Uebertretung noch keine Suͤnde war.
Endlich naͤherte ſie ſich dem Anſehen eines Geſezzes, da die Buͤcherſprache aufkam; jezt fiel die Aktion weg, die vorher die Jnverſionen erlaͤutert hatte. „Denn dem „Sprechenden helfen ſeine Gebaͤrden und der „Ton der Stimme den wahren Verſtand beſtimmen; da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.„ 29 Man muſte alſo einer gewiſſen Ordnung folgen, um dem Leſenden verſtaͤndlich zu werden; indeſſen war dieſe noch ſehr frei, wie die urſpruͤnglichen aͤlteſten Griechiſchen und Roͤmiſchen Dichter bezeugen, denen keine neuere Sprache ihre Veraͤndrungen nachmachen kann.
Man beſtimmte die Ordnung der Worte ſo lange, bis man endlich den Proſaiſchen Perioden herausdrechſelte, der der Ordnung der Jdeen, ſo wie ſie ſich der Verſtand bildet, folgte, und doch auch das Ohr und das Auge zu Rathe zog. Und er ward alſo in ſeiner Struktur eine Anordnung von Bildern, ſo wie ſie ſich dem Auge darſtellen wuͤrden, von Jdeen, wie ſie ſich der Verſtand denkt, von Toͤnen, wie ſie das Ohr fodert, daß es mit Wohlluſt erfuͤllet werde. Der bloße Verſtand, der nichts mit Auge und Oho zu thun hat, folgt blos der Ordnung der Jdeen, und hat alſo keine Jnverſionen; ſo iſt der Logiſche Periode. Er verwirft jede Veraͤnderung, weil das Einfache das einzige Deutliche iſt, und jede Jnverſion wenigſtens einen moͤglichen Fall macht, daß eine doppelte Beziehung entſpringen kann.
13.
Nun unterſuchen wir hiernach die neuern Sprachen. Je mehr eine derſelben von Grammatikern und Philoſophen gebildet worden; deſto haͤrtere Feſſeln traͤgt ſie: je mehr ſie ihrem urſpruͤnglichen Zuſtande nahe iſt; deſto freier wird ſie ſeyn. Je mehr ſie lebt: deſto mehr Jnverſionen; je mehr ſie zur todten Buͤcherſprache zuruͤckgeſezzt iſt; deſto mindere. Alles beweiſet die Franzoͤſiſche Sprache: Diderot klagt, daß ihr die Grammatiker der mittlern Zeiten, die ihre Sprachkunſt gebildet, Feſſeln angelegt, unter denen ſie auch wirklich noch jetzt ſeufzet. Wegen dieſes einfoͤrmigen Ganges mag es vielleicht ſeyn, daß man ſie eine Sprache der Vernunft nennet; daß ſie eine ſo ſchoͤne Buͤcherſprache zum Leſen iſt. Aber fuͤr das Poetiſche Genie iſt dieſe Sprache der Vernunft ein Fluch, und dieſe ſchoͤne Buͤcherſprache hat, um im Reden nicht zu ſchleppen, den fluͤchtigen und ungewiſſen Tritt annehmen muͤſſen, der fuͤr die hohe Deklamation dieſe galante Sprache Nervenlos macht. Wenn es von unſern jetzigen Sprachen gilt, „daß wir eine Menge beſonderer Zwecke gar „nicht durch die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind: ſondern ſie nur muͤſſen aus „dem Zuſammenhange errathen laſſen:„ 30 ſo iſt dieſe Unvollkommenheit gewiß vorzuͤglich bei der Franzoͤſiſchen Sprache.
Aber ſo iſt doch ihre Sprache eine Sprache der Vernunft, weil ihre Ordnung der Metaphyſiſchen Reihe getreuer bleibt? Es ſey ſo! getreuer! aber getreu bleibt ſie ihr nie, und keine menſchliche Sprache ſinnlicher Geſchoͤpfe kann ihr treu bleiben; denn die Franzoͤſiſche Sprache hat ſo gut, wie jede andere, unphiloſophiſchen Eigenſinn — und nun ſchlieſſe ich mit einemmal! ihre Ordnung iſt ſchlechter, als die unſere, weil die unſrige raͤumiger aufgeſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach jedem Zwecke lenken zu koͤnnen. Vollkommenheit kann keine Sprache erreichen; die groͤßte Poetiſche Schoͤnheit auch nicht: ſie bleibt alſo in der Mitte, und ſucht: Behaglichkeit, 31 — und zu der gehoͤren auch Jnverſionen.
Die Sprache hat den Punkt der Behaglichkeit getroffen, die Poeten, Proſaiſten, und Philoſophen ein leichtes Werkzeug iſt; die beiden erſten nutzen von den Jnverſionen: wenn nun ihr Nutzen dem dritten nicht nachtheilig iſt; ſo koͤnnen und muͤſſen ſie bleiben.
Ja! aber beweiſe, daß ſie ihm nutzen! Der Franzoſe leugnet ſchlechterdings, daß ſie ihm Freiheit und Huͤlfsmittel verſchaffen: und denn beweiſe auch, daß ſie dem Weltweiſen nicht ſchaden: ſonſt muß man einen kleinern Nutzen dem groͤßern aufopfern. Jch will es verſuchen.
Jch fange vom leichteſten an. Das Ohr will einen Perioden, der es durch ſeinen Wohlklang fuͤllet, der gnug abwechſelt, und nicht zu oft wiederkommet. Kann dies eine Rede ohne Jnverſionen erreichen? Schwerlich! ein Periode ſchließt ſich, wie der andre, wenn er ſeine Meinung geſagt hat; das ſtolze Ohr wird durch einerlei Cadencen gequaͤlt: es empfindet es, die Jnverſionen in der Sprache ſind eben ſo noͤthig, als das Unebenmaaß in der Malerei, und in der Muſik der Mißlaut. Die Franzoͤſiſche Sprache hat ja noch immer viele Jnverſionen — und doch wird ein Griechiſches Ohr in ihrem Poetiſchen und gewoͤhnlichen Proſaiſchen eine große Monotonie bemerken, die oft bei dem leztern d[en] Conſtructionen unſers Canzleiſt[il]s gleicht.
Dies gienge endlich wohl noch hin — aber der Schriftſteller, der fuͤrs Auge, fuͤr die Einbildungskraft ſchreibt, der durch die Einbildungskraft, Aufmerkſamkeit, Empfindung, ja oͤfters Leidenſchaft erregen will — der braucht ſie nothwendiger. Er malet der Einbildungskraft ein Gemaͤlde hin, wo jedes Wort von ſeinem Orte Schoͤnheit erhaͤlt — und die Ordnung der Phantaſie iſt doch gewiß nicht die Ordnung der kalten Vernunft. Dieſe Jnverſion iſt, um die Aufmerkſamkeit zu erregen, jene, um ſie zu erhalten; dieſe uͤberraſchet, jene beweget die ganze Seele: dieſe gehoͤrt zum Hinterhalt, um unverſehens hervor zu brechen; jene gehoͤren zur Schlachtordnung, daß jedes Wort an ſeinem Orte trift, und in ſeinem Lichte erſcheint. Hiedurch bekommt die Proſe Munterkeit, die Poeſie Feuer; und die muntern Franzoſen haben es bis zur muntern Proſe des Umganges gebracht; und die Jnverſionen, die ſich unſre gute Poeten haben erlauben koͤnnen; gehoͤren mit zur Deutſchen Freiheit. 32
Aber wie? leidet nicht die Philoſophiſche Sprache der Deutſchen darunter? Was das anbetrift: ſo fuͤhlen wir weit eher Feſſeln in der Dichteriſchen, als Philoſophiſchen Sprache; auch wir fuͤhlen es: „daß wir eine Menge „beſonderer Zwecke gar nicht durch die ordentliche Wortfuͤgung anzeigen koͤnnen; die wir „nur muͤſſen aus dem Zuſammenhange errathen „laſſen.„ Unvollkommenheit unſrer Sprache von der ſinnlichen Seite; aber voll der Seite der Vernunft?„
„Zur Weltweisheit 33