Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Zweitens: wir haben mehr Hauche in unſerer Sprache, als ſie: und die Aſpiration gehoͤrt ſo ſehr zum Lieblichen der Rede, als der Seufzer zu den zaͤrtlichen Worten des Liebhabers, als der ſchmeichelnde Weſt, zum Ergoͤtzen des Fruͤhlings: denn mit dieſen hat ſie einige Aehnlichkeit. Gehet die lieblichen, zaͤrtlichen, angenehmen Woͤrter durch: ſie empfehlen ſich alle durch ein ſanftes h oder ch, das uns die rauhern Voͤlker ſo uͤbel nachſprechen koͤnnen, die das H, wie z. E. die Ruſſen, in ein ſcharfes G, das weiche ch, in ein rauhes cch, faſt wie das Ain der Hebraͤer ausſtoßen muͤſſen: daher das H bei einigen Voͤlkern das Schibolet iſt, woran man kennen kann, daß ſie gebohrne Gergeſener ſind: da die Letten z. E. Jmmel und Eute (ſtatt Himmel und Heute) ausſprechen. — Das H iſt uͤberhaupt die Graͤnze zwiſchen Laut und Mitlauter: es gibt, nach Gellius Bemerkung, dem Worte Haltung, und dem Schalle Munterkeit: es nimmt dem Vokal etwas vom Laute, und gibt dem Mitlauter etwas dazu: es verhindert die gar zu große Oeffnung des Mundes bei den Vokalen, und die Zerrung bei den Conſonanten: daher die Griechen, die die Hauche (Spiritus) bei ihrer Sprache ſo ſehr brauchten, um inſonderheit das Ypſilon fortzuſtoßen; im Phyſiſchen Verſtande den Ausſpruch des Horaz verdienen:
— Grajis dedit ore rotundo Muſa loqui.
Und doch reicht die Griechiſche Sprache hierinn nicht an die Morgenlaͤndiſchen, deren Aſpirationen, (z. E. bei den Hebraͤern das [fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt], [fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt], [fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt] und [fremdsprachliches Material – 1 Zeichen fehlt]) kaum mehr zu beſtimmen ſind. Die Roͤmer, die ihre Sprache ſo Griechiſch als moͤglich machen wollten, nahmen daher auch die Hauche auf, um ihre alte Mundart zu mildern. Quintilian fuͤhrt an, die Alten haͤtten aedus, ircus (ſtatt haedus, hircus) geſprochen: man haͤtte aus dem Griechiſchen aber das H dazu genommen: ja, wenn man das Catulliſche Epigramm kennet, das uͤber hinſidias und hionios (ſtatt inſidias und ionios) ſpottet: ſo weiß man, daß die Kleinmeiſter von lieblichem Ton ihn endlich zu allgemein auch bei den ſanften Vokalen, die ihn nicht noͤthig hatten, machen wollten. Cicero aͤrgert ſich, daß er dem Volk zu gefallen, pulcher und triumphus, ſtatt pulcer und triumpus ausſprechen muͤſte, und Quintilian aͤrgert ſich, daß man ſchon ausſchweifte, um chorona und praecho zu ſchreiben. 26 Die Nordlichen Voͤlker verſchlingen die Aſpiration der Kehle durch den ſtarken Gebrauch der Zunge, Lippen und des Gaumens, und da ſie die Lateiniſchen Laͤnder uͤberſchwemmten: ſo fanden ſie das H unausſprechlich. Es verlor ſich alſo aus der Jtaliaͤniſchen und meiſtens auch aus der Franzoͤſiſchen Sprache. Unſrer Deutſchen Sprache, als einer Originalmundart blieb es, und mildert alſo recht ſehr ihre Barbarey der Conſonanten.
„Das Deutſche hat aber ſo biſarre Conſtruktionen, daß die Metaphyſiſche Ordnung der „Worte ohne Noth geſtoͤrt wird, und der „Schriftſteller doch keine Freiheit mehr hat. 27 „Zum Exempel! die Metaphyſiſche Ordnung „der Worte wird geſtoͤrt: denn wie laͤcherlich klingts: Hier au ſoir vint le Comte „ici par; und doch ſagen die Deutſchen: „Geſtern Abend kam der Graf hier an!„ — Wer von den Deutſchen iſt von dieſem Exempel nicht ſo getroffen, als von einem Blitze, daß er ſo gleich den Eigenſinn der Franzoͤſiſchen Sprache, und ihre Ungelenkigkeit fuͤr die wahre, einzige Metaphyſiſche Ordnung der Woͤrter haͤlt, und kuͤnftig immer den Franzoſen zu Gefallen, und zu Ehre der Sprachenphiloſophie folgende Conſtruktionsordnung einfuͤhret: „weil ihr nicht uns davon habt nicht heute wollen thun den Gefallen: wir euch ihn werden thun.„ Denn dies iſt die aͤchte Franzoͤſiſche Conſtruktionsordnung (puisque vous ne nous en avez pas aujourd’hui voulû faire la grace; nous vous la ferons); und der Eigenſinn der Franzoͤſiſchen Conſtruktion, iſt doch die Metaphyſiſche Ordnung ſelbſt. Wenn man ſich doch ſcheuen wollte, Sachen in die Welt zu ſchreiben, von denen man nicht die gehoͤrige Kaͤnntniß haben kann.
„Jn wie fern Jnverſionen nuͤtzlich oder „ſchaͤdlich ſind, muß gewiß, aus ganz andern „Gruͤnden, als ſolchen woͤrtlichen Ueberſezzungen eroͤrtert werden; und die Urſache, „warum dergleichen Partikeln in der Deutſchen „Sprache ſo und nicht anders geſezzt werden, „mag ſich doch wohl koͤnnen Philoſophiſch erklaͤ-„ren laſſen.„ Jch verſuche es, ſie Philoſophiſch zu erklaͤren; — aber nicht die Partikel — denn jede Sprache hat ihren Eigenſinn; ſondern die Jnverſionen uͤberhaupt: ſo wird ſich ihre Erlaubniß und Nutzen von ſelbſt zeigen.
12.
Das Hauptgeſez bei der Verbindung der Worte zu einer ganzen Jdee iſt folgendes: 28 „Man laſſe mehrere Jdeen, die zuſammen einen Gedanken ausmachen ſollen, in der Ordnung folgen, die der Faßlichkeit des Gedankens, und dem jedesmaligen Zwecke des Redenden gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des „Redenden in tauſend Faͤllen einerlei ſeyn; „alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Conſtruktionsordnung geben. Hundert mal „aber gibt es einen beſondern Zweck des Redners, und denn iſt die Sprache die beſte, „welche raͤumig gnug aufgeſchuͤrzt iſt, um ihre Ordnung nach dieſem Zwecke wenden zu „koͤnnen.„
Stellet euch zwei Geiſter vor, die ſich einander ihre Gedanken, und blos Gedanken unmittelbar mittheilen; ſo wird die Ordnung, in der das eine Weſen ſie denket, auch zugleich die ſeyn, in der ſie das andere erblicket. So wie die Jdeen bei dem einen ſich entweder aus ſeinem innern Grunde hervorwickeln, oder ſo wie es ſie aus den Dingen außer ſich ſchoͤpfet: ſo theilet es dieſelben auch mit. Eine ruhige Venunft, die nichts als Gedanken einer andern Vernunft ſaget: gehet alſo den gewoͤhnlichen Pfad der Zuſammenſezzung der Begriffe; ſie zeiget den Gegenſtand zuerſt und ihr Urtheil daruͤber an. Hier iſt alſo der Bau eines Perioden ſo regelmaͤßig beſtimmt, daß, nach der Arabiſchen Proſodie zu reden, jedes Wort einen Pfoſten und Saͤule ausmacht, der eben hier an ſeinem Orte ſtehet.
Betrachtet eine Philoſophiſche Sprache; waͤre ſie von einem Philoſophen erdacht: ſo huͤbe ſie alle Jnverſionen auf: kaͤme eine allgemeine Sprache zu Stande: ſo waͤre bei ihren Zeichen nothwendig jeder Plaz und jede Ordnung ſo beſtimmt, als in unſrer Dekadik. So lange wir aber noch keine durchaus Philoſophiſche Sprache haben, die blos fuͤr die Weltweisheit erfunden waͤre: ſo nehmt die, die am meiſten zur Weltweisheit gebraucht wird, die Lateiniſche, nehmt ſie, wie ſie in den Buͤchern der Weltweisheit iſt, wenn ſie Lehrſaͤzze und trockene Beweiſe vortraͤgt; wie iſt ſie? ohne Jnverſionen meiſtentheils.
Nun ſtellet euch zwei ſinnliche Geſchoͤpfe vor, davon der eine ſpricht, der andre hoͤret: Dem erſten iſt das Auge die Quelle ſeiner Begriffe; und jeden Gegenſtand kann er in verſchiedenen Geſichtspunkten ſehen; dem andern zeiget er dieſen Gegenſtand, und es kann auf eben ſo verſchiedenen Seiten geſchehen. Nun betrachtet die Rede, als ein Zeichen dieſer Gegenſtaͤnde: ſo habt ihr den Urſprung der Jnverſionen. Je mehr ſich alſo die Aufmerkſamkeit, die Empfindung, der Affekt auf einen Augenpunkt heftet; je mehr will er dem andern auch eben dieſe Seite zeigen, am erſten zeigen, im helleſten Lichte zeigen — und dies iſt der Urſprung der Jnverſionen. Ein Beiſpiel: Fleuch die Schlange! ruft mir jemand zu, der mein fliehen zu ſeinem Hauptaugenmerk hat, wenn ich nicht fliehen wollte. — Die Schlange fleuch! ruft ein anderer, der nichts geſchwinder will, als mir die Schlange zeigen; fliehen werd ich von ſelbſt, ſo bald ich von ihr hoͤre. — Er hat mir das Geld geſtohlen; und kein anderer; Er hat mir das Geld geſtohlen; ich weiß es gewiß; das Geld hat er mir geſtohlen (und keinen Ring); Mir hat er das Geld geſtohlen, und keinem andern; geſtohlen hat er mir das Geld (nicht abgeborgt): wie viel Veraͤnderung