Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Hiezu ſezze man nun noch Verſuche? Nicht in Hexametern, ſondern in einem freien Sylbenmaas, um zu ſehen, was fuͤr Fuͤße am meiſten in unſrer Sprache liegen? Ob, wenn man den Gedanken den Zuͤgel laͤßt, man Pindariſche Oden und Tragiſche Choͤre erblicken werde, oder einfoͤrmigere Cadencen? Und ich glaube alsdenn; tanzt unſer Deutſches nicht einmal nach Griechiſchen Sylbenmaaßen ungebunden; wie viel minder, wenn es in Metriſchen Feſſeln ſo tanzen muß.
Ramler that dies in einer andern Abſicht: er loͤſete die Proſe Geßners und Eberts in ihre natuͤrliche Sylbenmaaße auf, um den Wohlklang zu zeigen. Vielleicht haͤtte er feurigere Stellen zergliedern ſollen, die nicht mehr geleſen, ſondern deklamirt werden muͤſſen, um alsdenn gewiß mehr als Proſaiſche Harmonie zu entdecken — und ich glaube, wenn man dies thut: ſo wird man immer weniger Polymetriſches finden, als man zu finden glaubt.
Jch darf nicht mehr verſuchen: es hat es ein andrer gethan: Klopſtock hat „ſeine „Poetiſche Empfindungen ſo frei ausgedruͤckt, „daß ſie ſich ſelbſt in ſymmetriſche Zeilen geordnet zu haben ſcheinen, die voller Wohlklang ſind, aber kein beſtimmtes Sylbenmaas haben.„ Er hebt am Feſt der Souveraͤnitaͤt in Daͤnnemark an:
We̅ht ſan̅ft, au̅f ih̅ren⏑ Gruͤ̅ften⏑, ih̅⏑r Wi̅nde⏑!
Un⏑d ha̅t e⏑in u⏑nw̅iſſen⏑der⏑ Ar̅m
De⏑r P̅atr⏑iot̅en⏑ Stau̅b wo⏑ au̅sge⏑gra̅be⏑n,
Ve⏑rwe̅ht ih⏑̅n ni̅cht!
Ver⏑ach̅t ih̅n, Le̅yer⏑, we̅r ſie̅ ni̅cht ehr̅t,
Un⏑d ſtam̅mt’ er⏑ au̅ch au̅s al̅tem⏑ Hel̅den⏑ſtam̅me⏑,
Ver⏑ach̅t ih̅n!
Si⏑e ha̅be⏑n un̅s de⏑r hu̅nde⏑rtkoͤ̅pfi⏑ge⏑n Her̅rſchſu̅cht e⏑ntri̅ſſen⏑
Un⏑d e̅inen⏑ Koͤ̅ni⏑g ge⏑ge̅ben⏑.
Man ſezze dies fort: Spondaͤen, Trochaͤen und Jamben wird jedes Naturgenie antreffen; Daktylen — wird es nur in Participien und wenig andern Woͤrtern finden; und zu den uͤbrigen vielſylbigen Tritten, ſind unſre einſylbige Woͤrter wirklich zu unbeſtimmt, und Proſaiſch.
15.
Doch gnug von dieſen grammatiſchen Schwuͤrigkeiten, die einem Genie immer verdrießlich ſeyn muͤſſen: um vielleicht einige ſolche verdrießliche Genies zu verſoͤhnen, ſezze ich folgende Anmerkung dazu, von der ich wuͤnſche, angewandt zu werden.
Das Klopſtockiſche angefuͤhrte Sylbenmaas ſoll dazu Gelegenheit geben. Bei dem erſten Anblick ſogleich ſchien es mir ſehr aͤhnlich zu ſeyn mit dem Numerus der Hebraͤer, ſo viel wir von ihm wiſſen, und mit dem Sylbenmaas der Barden. Jch ſahe, daß es Klopſtock, einem Meiſter in der Deutſchen Sprache, oft ſehr wohl, und ſeinen Nachahmern meiſtens elend gelungen. Jch wuſte nicht, ob dieſe neue gluͤckliche Versart nicht eher die natuͤrlichſte und urſpruͤnglichſte Poeſie 40 genannt werden koͤnnte, „in alle kleinen Theile ihrer Perioden aufgeloͤſet, deren jeden man als einen einzelnen Vers eines beſondern Sylbenmaaßes betrachten „koͤnnte„ ſtatt daß ihn die Litteraturbriefe eine kuͤnſtliche Proſe nannten. Jch uͤberließ mich meinen Gedanken, und glaubte endlich, daß dies Sylbenmaaß uns vielleicht von vielem Uebel erloͤſen, und viel Auſſchluß und Bequemlichkeit bringen koͤnnte. Man hoͤre mich an:
Erſtens: Haͤtten wir einen Dithyrambiſchen Dichter, der wirklich von dem Blizſtrahle des Bacchus getroffen, trunken, und begeiſtert toͤnen wuͤrde: — natuͤrlich waͤre kein gefeſſeltes Sylbenmaaß fuͤr ihn; er zerreißt es, wie Simſon die Baſtſeile, als Zwirnsfaͤden. Allein dieſe Verſe ſind Pindariſche Pfeile in der Hand des Starken: die, mit Pindar zu reden, blos fuͤr die Mitverſtaͤndige klingen, dem großen Haufen der Ausleger aber, wie eine dunkle Wolke ſcheinen. Unſer mißgluͤckter Dithyrambenſaͤnger kann dieſer Bemerkung, durch ſeinen Jkariſchen Fall ein Gewicht beilegen.
Zweitens: Die hohen Oden des Affekts werden natuͤrlich ihre Empfindungen aufloͤſen, ſie moͤgen in kurzem Odem jauchzen, oder donnern, oder ſeufzen und weinen. Dies Sylbenmaaß kann, nach jener Scythiſchen Zeichenſprache zu reden, wie ein Pfeil treffen, ſich wie ein Adler aufſchwingen, es kann die Sprache durchgraben, und ſich wieder, ohne zu ſinken, ſchwimmend erhalten. Wenn man manche Deutſche Lehroden in ihrem gewoͤhnlichen Sylbenmaaße anſieht, ſo ſollte man beinahe denken, daß das gewoͤhnliche Strophenmaaß der Graͤnzſtein eines Paragraphen ſeyn ſollte. Das geht denn nun ſo hin, aber ſollen dieſe Oden Affekt ſingen — ein Geſang nach einer Kirchenmelodie.
Drittens: Die Gemaͤlde der Einbildungskraft koͤnnen ein gefeſſeltes Sylbenmaaß nicht ertragen, ohne daß ſie, oder das Sylbenmaaß leidet. Bei Pindar und Horaz laͤuft die Periode und das Gleichniß uͤber die Strophe; bei den meiſten Deutſchen Dichtern ſind ſie zahm genug. ſich in die Strophe einzuſchließen. Eine Karſchin, die jetzt nichts weniger, als den Perioden der Ode trift, wuͤrde in dieſem Sylbenmaaße ihre ganze Phantaſie ausſchuͤtten, und freilich auch allen unregelmaͤßigen Wuſt derſelben. — Will man alſo Klopſtocks Poetiſche Stuͤcke von dieſer Art, auch nicht Oden nennen; am Namen liegt nichts: ſo laſſet es Lyriſche Gemaͤlde ſeyn, zu denen die Griechen den Namen ειδος hatten.
Ferner: Auf dem Orcheſter kann die Muſikaliſche Sprache in dieſem Leitbande freier und ſicherer gehen. Vornehmlich in den Recitativen, wo der Muſikus „die Harmonie wieder zerſtoͤren muß, die dem Dichter ſo unſaͤgliche Muͤhe gekoſtet hat: wo der Proſaiſche Wohlklang entweder von dem Muſikaliſchen verſchlungen wird, oder wohl gar durch die Colliſion leidet, und Wohlklang zu ſeyn aufhoͤret.„ Jn den Arien, wo ein Sylbenmaas ſeyn muß, koͤnnten die rimes aſſonantes der Spanier den Reim erſezzen, und viele Freiheit dem Dichter verſchaffen. Ramler in ſeiner Muſikaliſchen Jdylle: der May, in der ihm die zwei Schweſtern der Harmonie zur Seite geſtanden, hat hier mehr gezeigt, als ich ſagen kann.
Und fuͤr das Theater? Es kann ſich dieſer Vers ſo Proſaiſch als moͤglich machen; und dies iſt in den erſten Auftritten noͤthig, wo das Sylbenmaas oft unleidlich wird. Er kann ſich aber auch hernach zum hoͤchſten Tragiſchen Affekt erheben, und dem Brauſen des Sturmes nachahmen, der im Virgil auf den Wogen reitet. Er kann die Theatergemaͤlde beleben, die Diderot will, und kann die heftigen kurzen Doppelgeſpraͤche fuͤllen, die die Alten auf ihren Buͤhnen ſo ſehr liebten, und die bei uns ſo ſehr ausarten (auch vielleicht des Sylbenmaaßes wegen), daß bei Franzoſen und ihren Nachahmern, den Deutſchen, ein Wort, das den Vers unvermuthet ſchließen ſoll, aber oft durch einige gedehnte Verſe deutlich gnug zu errathen gegeben wird, ein beſonderes Kunſtſtuͤck iſt. Das Jch, oder Du, oder Nein! u. ſ. w. das alsdenn ſo hergeſchraubt wird, gehoͤrt in ein Epigramm, nicht in ein Trauerſpiel.
Wenn nun in dieſem Sylbenmaas ſo viel Schazz von Sprache, Leidenſchaft, Einbildungskraft und Muſik liegt; ſo muß es auch ein Muſter der Deklamation ſeyn. Lies eine hinkende