Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Si qua Dea es, tua me in ſacraria dono!
Wir wollen die Franzoͤſiſche Munterkeit, und Freiheit in unſere Abhandlungen einfuͤhren, und mit dem Deutſchen Nachdruck begleiten. Der Vorredner des Journal étranger ſchrieb unter andern der Franzoͤſiſchen Sprache einen groͤßern Vorrath von Ausdruͤcken fuͤr das Laͤcherliche zu;42 er glaubte, die Deutſche Sprache haͤtte daran Mangel; der Kunſtrichter leugnet es; auch ich, und jenem gebe ich doch den Vorzug der Franzoͤſiſchen Sprache zu, weil ich es ſelbſt erfahren. Jch habe ſeit einiger Zeit meine Nebenſtunden auf eine Unterſuchung des Laͤcherlichen in Sitten, und des Laͤcherlichen in der Vorſtellung und dem Ausdruck, nach ſeinem Hauptbegrif und ſeinen vielerlei Arten, gewandt: und habe im Franzoͤſiſchen wirklich mehr Worte gefunden, weil dieſe Nation, die ohnedas mehr und lieber lacht, als die Deutſchen; mehr Bemerkung aus der Cultur des Umganges zieht, als wir, und ſich uͤberhaupt mehr zu erklaͤren weiß, wie die Seele durch den Koͤrper ſpricht, als unſere Sprache. Man gehe auch nur das Verzeichniß durch, was Girard und Mauvillon von Woͤrtern dieſer Art geſammlet: ſo wird man dem Arnaud recht geben.— Und uͤberhaupt hat unſere Sprache durch Ueberſezzungen von der Franzoͤſiſchen Proſe des Umganges ſeit einigen Jahren ſchon merklich viel gewonnen.
17.
Aber Engliſche Ueberſezzungen haben ihnen das Gleichgewicht gehalten, und auch dies zum Vortheil der Denkart, weil unſer Genie ſich mehr auf die Brittiſche Seite neigt, und wir durch die Engliſche Staͤrke die Franzoͤſiſche Leichtigkeit nahrhaft machen. Da die erſten Ueberſezzungen aus dieſer Sprache, die ſo voll von Beiwoͤrtern und Schilderungen iſt, Poetiſche Proſe enthalten muſten: ſo ward dadurch wider Willen der Ueberſezzer jener holprichte Proſaiſch-Poetiſche Stil eingefuͤhrt, der unſrer Sprache gar nicht angemeſſen iſt. Ganz Deutſchland theilte ſich in drei Haufen: die Hexametriſten, als Reuter mit ſchweren Cuiraſſen, und ſchwerem Gange; die Proſaiſchen Poeten, Dragoner, zu Pferde und Fuß ſtreitbar.
Great on the Bench, great in the Saddle
That cou’d as well bind o’er, as ſwaddle
So ſome Rats, of amphibious Nature
Are either for the Land or Water.
Und denn die Franzoͤſirenden leichten Voͤlker, die in Critiſchen Briefen, und Arzneien und Poſſen, mit Franzoͤſiſchen Modeausdruͤcken um ſich warfen, und als Schmetterlinge umherſchwaͤrmten.
Wenn wird unſer Publikum aufhoͤren, dieſes dreykoͤpfichte Apokalyptiſche Thier, ſchlecht Griechiſch, Franzoͤſiſch und Brittiſch auf einmal zu ſeyn? Wenn wird man den Plaz einnehmen, den unſere Nation verdient, Proſe des guten geſunden Verſtandes, und Philoſophiſche Poeſie zu ſchreiben? Oder vorher frage man, wenn wird man aufhoͤren, die beſten Engliſchen Schriftſteller durch Ueberſezzungen zu verunſtalten, und Prior, Milton, Young, in elende oder mittelmaͤßige Hexameter zu uͤberſezzen: ein Sylbenmaas, an das ſie nicht im Traume gedacht haben? Wie lange wird man Popen in waͤſſerichter Proſe, und Shakeſpear im ungleichſten, faſt nie getroffenen Ton uͤberſezzen? Wie viel koͤnnten wir von den Britten lernen, und wie wenig haben wir gelernt! Jhr arbeitſamen Deutſchen! Ein Deutſcher Johnſon fehlt uns noch, der das fuͤr die Deutſche Sprache wage, was jener fuͤr die ſeinige! Die Philoſophie, das Nachdenken, das Sammlen iſt ja euer Theil, und wir ſtehen den Britten auch in unſerm Eigenthume nach? Wird es bald ſeyn, daß ihr eure Sprache durch Unterſuchungen „ihr Weltweiſen! durch Sammlung und Critik, ihr Philologen! durch Meiſterſtuͤcke, ihr Genies! zu derjenigen macht, die nach dem Plinius, „alten „Sachen Neuheit; neuen das Anſehen des Alterthums; verroſteten Glanz; dunkeln Licht; „widerlichen Reiz; zweifelhaften Glaubwuͤrdigkeit; allen aber Natur„ verſchaffen kann. Werden die Deutſchen bald aufhoͤren, durch ihre langweilige Proſe, gegen die Franzoſen ſolche gute Alte vorzuſtellen, als Terenzens Chremes gegen ſeinen Darus? Werden auch bei ihren Brittiſchen Schriftſtellern bald die Fehler wegfallen, da die Fuͤlle der Gedanken und der Vorrath von Bildern, aus Mangel der Oekonomie, in dem Perioden in Verwirrung geraͤth; ſo wie Verſchwendung nicht den wirklichen, ſondern ſcheinbaren Reichthum begleitet? Werden die beſten Deutſchen Schriftſteller zu ihrer Titelvignette, bald die drei Gratien, als Sinnbild haben koͤnnen: die Thalia mit ihrem Fuͤllhorn voll Fruͤchte, die leichte, gefaͤllige Euphroſyne, und die bezaubernde Aglaja. Laſſet uns einige neuere Originalſchriftſteller anfuͤhren, die dieſen Gratien geopfert haben, und die Ehre unſrer Deutſchen Litteratur ſind:
18.
1. Winkelmann, 43 der Ruhm der Deutſchen ſelbſt unter dem Roͤmiſchen Himmel, den die Muſe des Alterthums und der Geſchichte, die unſterbliche Clio, hat laſſen geboren werden, um, wie jener, der auf dem Cithaͤron gefunden wurde, die Kunſt der Alten zu erklaͤren. Jch fuͤhre es nicht an, wie er die beſten Bluͤthen jeder Antiken Schoͤnheit in ſeine Seele geſammlet: wie er hier unter Schriften, dort unter Denkmaͤlern ſein Auge und ſeinen Geiſt gebildet: wie er ſeine Werke, ſo wie Raphael ſeine Gemaͤlde, mit Feuer entwarf, und mit einem gluͤcklichen Phlegma vollendete: wie er eine Syſtematiſche Geſchichte unter Ruinen und Ueberbleibſeln liefern konnte: ſondern ich muß mich hier blos auf die Schreibart einſchraͤnken. So wie die Attiſchen Juͤnglinge an dem Altar der Pallas Aglavros ihrem Vaterlande den Eid der Liebe ſchwuren: ſo hat die Muſe auch auf ſeine Schriften geſchrieben: dem Vaterlande geweihet. Wenn ich mir zum Gebaͤude des Koͤrpers die weiſe Einfalt des Sokrates, des Lehrers der Gratie denke, wenn ich dieſem Koͤrper das Gewand der Natur von dem einen Schuͤler des Sokrates, dem Xenophon, und ihm von dem andern, die Fluͤgel hoher Jdeen gebe: ſo ſtehet ein Bild vor mir, als wenn es die Muſe der Winkelmanniſchen Schriften waͤre. Einfaͤltig im Vortrage: natuͤrlich in der Ausfuͤhrung, und erhaben in den Schilderungen, ſind ſie Werke der Unſterblichkeit wuͤrdig, und der Name unſers Jahrhunderts.
2. Hagedorn 44 hat der Goͤttin der Gemaͤlde einen Altar von weißem Marmor errichtet, und mit vieler Annehmlichkeit um ihn Blumen zu ſtreuen gewußt: das ganze Werk zeiget vielen Geſchmack des Kuͤnſtlers, noch mehr Kaͤnntniß des Werkmeiſters, und die feinſte Critik des Coſtume: das Bildniß der Goͤttin ſelbſt aber iſt dem Fleiß, der Muͤhſamkeit und Dauer nach, eine aͤchte Moſaiſche Arbeit — — Doch ich rede frei und ohne Schleier. Der Verfaſſer verraͤth viele Bekanntſchaft in den Kunſtſaͤlen von hohem Geſchmack, und in den Malerakademien nach dem Ueblichen; aber vielleicht etwas mindere in dem heiligen Haine der ſchoͤnen Natur; daher ſeine Philoſophiſche Betrachtungen uͤber das Schoͤne ꝛc. in der Kunſt nie das Weſen erreichen. Fuͤr Lehrlinge iſt ſein Lehrbuch eine zu dunkle und