Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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nicht viel andere Sprachen erhalten haben: zu einer Zeit, da Deutſchland noch Barbariſch oder Lateiniſch ſchrieb, feilte man ſchon ſehr die Franzoͤſiſche Sprache, weil die Franzoſen immer lieber fuͤr ein Publikum und ſchoͤnes Publikum ſchreiben, wenn der Deutſche fuͤr Studirſtuben und Katheder ſchrieb. So wie ſchon die alten Gallier zur hoͤchſten Obrigkeit ein Weiberrathhaus gehabt haben: ſo iſt das ſchoͤne Geſchlecht auch immer der Mittelpunkt ihres gelehrten Kreiſes geblieben: man ſah die Buͤcher immer mehr fuͤr ſchriftliche Geſpraͤche, fuͤr Unterredungen im ſchoͤnen Ton an: und gab ſich alſo die unterhaltende Miene eines Vernuͤnftlers. Statt daß ich drittens an alle die oͤffentliche Anſtalten gedenken ſollte, die der Sprache aufgeholfen, will ich blos dazu ſezzen, daß die Franzoͤſiſche Sprache auch nichts waͤre, wenn ſie nicht dies Lob erbeutet haͤtte: zur Muſik elend; waͤſſerich, Nervenlos, unharmoniſch fuͤr die Poeſie; zu unbeſtimmt fuͤr die hohe Weltweisheit, hat ſie ihr Gluͤck eben durch eine Mittelmaͤßigkeit gemacht, die weder in Weltweisheit noch Dichtkunſt eine hohe Stuffe erreicht. Premontval 55 urtheilt nicht unbillig: „ſoll ich bei ihrem großen „Gluͤcke einen Vorzugstitel fuͤr ſie ausfinden: „ſo wuͤrde ich ihn in einer gewiſſen Gleichung „mittelmaͤßiger Eigenſchaften ſuchen. Richt „ſo ſanft, als die Jtaliaͤniſche; nicht ſo „majeſtaͤtiſch, als die Spaniſche; weniger „zuſammengedraͤngt, als die Engliſche; an „Nachdruck weit unter der Deutſchen; an „Reichthum, an Ueberfluß faſt unter jeder „Sprache Europens; hat ſie doch bei ihrer „Armuth, Mittel, Nachdruck, Kuͤrze, Majeſtaͤt und Suͤßigkeit gnug, um ein ſehr „ſchaͤzbares Werkzeug der menſchlichen Gedanken zu ſeyn. Jnſonderheit legt die Klarheit und Politeſſe/ die ſie karakteriſiren, „ihr großen Werth bei.„ So wie nun ein huͤbſcher, artiger Menſch, deutlich und vernuͤnftig in Geſpraͤchen, im Umgange mehr gelitten wird, als ein tiefſinniger, ſtiller Mann, ſo hat auch die Franzoͤſiſche Sprache fuͤr der Deutſchen ſich das Lob des Verſtandes geben laſſen, da die unſrige ſich den Titel einer Sprache der Vernunft anmaaſſen koͤnnte.

      „Stellt eine Philoſophiſche Materie, die „ungefaͤhr mit gleicher Genauigkeit in zwo Sprachen vorgetragen worden, in der einen ſich klaͤrer, netter und uͤberzeugender „dar, als in der andern?)„ Ja! und Exempel beſtaͤtigen dies allerdings. Eine tiefe Philoſophiſche Materie kann ſich in der alten reinen Lateiniſchen Sprache nicht ſo klar, ſo nett, ſo uͤberzeugend ausdruͤcken, als in einer gewiſſen neuern Lateiniſchen Sprache, die eben deswegen noch nicht Barbariſch iſt, weil ſie von den Worten der Alten abgeht. Jn den Schriften des Philoſophen Baumgarten herrſcht ein gewiſſer aͤchter Roͤmiſcher Geiſt, ſeine Blumen, die gleichſam ſelbſt aus ſeiner Weltweisheit zu wachſen ſcheinen; und nicht uͤber dieſelbe geſtreuet ſind: eine ſo nachdruͤckliche Kuͤrze, daß jeder Gedanke ſich ein Wort ſelbſt zu ſchaffen ſcheint: kurz eine Sprache, die nicht netter und uͤberzeugender und fuͤr den denkenden Leſer klaͤrer ſeyn kann. Jch habe mich gezwungen, mir dieſen Eigenſinn auszureden, weil andre ſie eben fuͤr Barbariſch, oft ſpielend und dunkel hielten: ich fieng an, ſie in das flieſſende Latein der Schriften des Cicero zu uͤberſezzen, zu umſchreiben, zu verſchoͤnern; und der Geiſt der Philoſophie war weg. Nun verſuche man gar die Ueberſezzung in eine andere Sprache: und es wird immer noch mehr verlieren. Die Urſache davon liegt in dem Karakter der Sprache, die zu dieſer Materie gleichſam die Fugen ihrer Gelenkigkeit gebildet hat, und an dem geſchickten Schriftſteller, der ſich in dieſe Fugen zu ſchicken weiß. „Das alſo Dinge in der einen „Sprache ſich beſſer ausdruͤcken laſſen, als „in der andern, kann eines Theils von der „Subtilitaͤt der Gedanken herkommen; zweitens, daß man an ihre trockne Bezeichnung „bei dem einen Volk mehr gewoͤhnt iſt, „als bei dem andern.„ Theils von dem Schriftſteller ſelbſt, der als Erfinder der Gedanken, auch zugleich ein gewiſſes Haus- und Herrnrecht uͤber den Ausdruck hat, in dem ſelten ein Ueberſezzer ihm nachfolgen kann und darf; weil er theils nicht mit dem Feuer des Schriftſtellers ſelbſt denkt, theils lieber aus Furcht den Gedanken dem Worte aufopfert. Nach dieſen drei Urſachen muß ſich ſo ziemlich eine Landkarte entwerfen laſſen, wiefern gewiſſe Materien in gewiſſen Sprachen ſich vorzuͤglich ſchoͤn behandeln laſſen.

      Materien der Weltweisheit theilen ſich am leichtſten jeder ausgebildeten Sprache mit, weil man hier vorzuͤglich die Richtigkeit und Deutlichkeit der Begriffe zum Hauptaugenmerk hat, und dieſe ſich in jeder uͤber das Sinnliche erhabenen Sprache, obgleich nicht uͤberall gleich leicht erreichen laͤßt. Daß man an die neuere Lateiniſche Sprache hierinn ſo viel Werth geknuͤpfet, die Weltweisheit gleichſam nach ihren Worten bequemet, und den Begrif einem Ausdruck zu gut erfunden: iſt zwar durch eine langwierige Gewohnheit uns faſt zur zweiten Natur geworden, und eher nuͤzlich als ſchaͤdlich. Man glaubt mit gewiſſen geerbten Worten Schaͤzze zu beſitzen, und hat Huͤlſen ſtatt des Kerns. Man machte z. E. einem neuern Gottesgelehrten den Einwurf, daß, wenn er ſeine Dogmatik Lateiniſch geſchrieben, viele Heterodoxien weggefallen waͤren; ich gebe es zu, beklage aber eine Orthodoxie, die ſo ſehr von einer Sprache abhaͤngt, daß ſie in derſelben, wie in ihrem Hauſe, maͤchtig iſt. Jch betrachte hier die Sache blos aus dem Geſichtspunkt der Philoſophie, zu der doch auch unſre Sprache vorzuͤglich ſich gebildet hat.

      „Eine Sprache, die wenig Unterſchied in „den Zeiten angeben, wenig ohne Huͤlfswoͤrter thun, nicht leicht einen Modus fuͤr „den andern ſezzen kann, iſt nicht ſonderlich „zur Geſchichte geſchickt, wie z. E. die „Deutſche. Wir haben gar keinen Begrif „von den temporibus der Griechiſchen „Sprache. Der Deutſche hat ſelten das „Gefuͤhl von dem Unterſchiede der beiden temporum praeteritorum der Franzoſen, daß „aus der Verwechſelung oft laͤcherliche Mißverſtaͤndniſſe entſtehen.„ Jndeſſen iſt dieſe Ungemaͤchlichkeit nicht ohne Huͤlfe, und unbetraͤchtlich ſo gar. Sie iſt nur in einzelnen Theilen des Perioden: in ganzen Jnverſionen haben wir ſogar vor dem Franzoſen viele Vortheile, und wenn einige große Maͤnner bei uns die hiſtoriſche Periode in Gang bringen, und ſelbſt als Originale vorleuchten und locken werden; wenn man ſtatt der Auszuͤge es unternehmen wird, einzelne Zeitpunkte der Geſchichte mit allem Fleiß zu bearbeiten: ſo wird unſere Sprache ſo leicht Muſter im hiſtoriſchen Stil bekommen, als ſie ſchon in der Weltweisheit hat.

      Schoͤne Proſe iſt ſchon mehr in die Jdiotismen verwebt; und unſre Sprache hat alſo in dieſer Schreibart viel von der Franzoͤſiſchen gewonnen. Poeſie iſt beinahe in ihren Schoͤnheiten unuͤberſezzbar, weil hier der Wohlklang, der Reim, einzelne Theile der Rede, Zuſammenſezzung der Worte, Bildung der Redarten, alles Schoͤnheit giebt.

      Aus alle dieſem folgt, daß unſre Sprache unſtreitig von vielen andern was lernen kann, in denen ſich dies und jenes beſſer ausdruͤcken laͤßt (ſollte es auch nur das Schimpfen ſeyn, wozu den Critikern gemeiniglich das ſchoͤnſte Latein gedienet); daß ſie von der Griechiſchen die Einfalt und Wuͤrde der Ausdrucks, von der Lateiniſchen die Nettigkeit des mittlern Stils, von der Engliſchen die kurze Fuͤlle, von der Franzoͤſiſchen die muntere Lebhaftigkeit, und der Jtaliaͤniſchen ein ſanftes Maleriſche lernen koͤnne. Allein, man ſieht auch, daß in jeder Gattung der Schreibart kein Genie ſich ſeiner Mutterſprache ſchaͤmen, oder ſich uͤber ſie beklagen darf, weil uͤberhaupt fuͤr einen jeden vortreflichen Schriftſteller die Gedanken Soͤhne des Himmels, die Worte, Toͤchter der Erde ſind.

      Fußnote

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