Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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aus der Natur der Sprach- und Hoͤrwerkzeuge erklaͤrt werden: eine Anwendung auf unſre Sprache hat das 11te und 14te Fragment verſucht.

      „Das erſte Stuͤck iſt ſolcher Vollkommenheiten faͤhig, die mit dem Tode der Sprache, „wenn ſie aufhoͤrt, Landesſprache zu ſeyn, verloͤſchen.)„ Nicht blos mit dem Tode der Sprache, ſondern mit jedem Lebensalter gehen gewiſſe Vollkommenheiten verloren, die durch Vollkommenheiten eines andern Lebensalters erſezzt werden. So lange ſich eine Sprache bildet, als Sprache der Nothwen-Digkeit, iſt bei allen Ungemaͤchlichkeiten der Armuth ihr Vortheil Staͤrke: wenn die Sprache noch nicht Buͤcher-aber Liederſprache iſt: ſo hat ſie Reichthum an Bildern, und den hoͤchſten Wohlklang: Wird ſie Sprache des ſittlichen Volks: ſo bekommt ſie mehr Reichthum an Politiſchen Ausdruͤcken, allein der hohe Wohlklang und das Bildervolle mildert ſich: Als Buͤcherſprache wird ſie reicher an Begriffen; allein der Poetiſche Wohlklang wird Proſe; das Bild wird Gleichniß: die malenden klingenden Beiwoͤrter verlieren ſich: Als Philoſophiſche Sprache wird ſie beſtimmt, aber arm; verliert Synonymen; und Bilder und Wohlklang achtet ſle nicht. Dichteriſch iſt eine Sprache am vollkommenſten, ehe ſie; und Philoſophiſch am vollkommenſten, wenn ſie blos geſchrieben wird: am brauchbarſten und bequemſten, wenn ſie geſprochen und geſchrieben wird. Die Anwendung auf die Deutſche Sprache macht das 3te bis 5te und 8te Fragment.

      „Es iſt doch unſtreitig, daß auſſer den fuͤnf „Selbſtlautern noch viele Zwiſchenlaute haͤtten angebracht werden koͤnnen; ſo wie die „vorhergehende und nachfolgende Bewegung „der Redewerkzeuge zu ſolchen Lauten noch „weit mannichfaltiger einzurichten waͤre.)„ Nach der Bewegung der Redewerkzeuge haben wir wirklich mehr Selbſtlauter, als fuͤnfe: weil dieſe fuͤnfe mit verſchiedener Hoͤhe und Tiefe, Laͤnge und Kuͤrze ausgedruckt werden. Daß wir nun nicht fuͤr dieſe Zwiſchenlaute neue Zeichen, wenigſtens Unterſcheidungen haben; iſt eine große Unvollkommenheit unſrer Orthographie, die unter allen mir bekannten Europaͤiſchen Sprachen die lezte und fuͤr einen Lehrling die ſchwerſte ſeyn doͤrfte. Wer wird Meer und mehr, Zehn, Zeen, Zaͤhn, zaͤhe u. ſ. w. als Fremdling beſtimmt finden? Was wir bei J zuviel an Zeichen haben, iſt bei A und E zu wenig. — Und brauchen wir Accente nicht noch immer, obgleich unſre Sprache kurzſylbig und eintoͤnig iſt? Der Laͤcherliche Fehler mit Géſ-pen-ſtern, ſtatt Geſpénſtern; mit vérg-lich, ſtatt ver-glìch; mit Enter-bẽter, ſtatt Ent-érbeter: iſt doch bei Lehrlingen immer moͤglich, da er uns gebohrnen Deutſchen manchmal in Gedanken und bei verzerrtem Druck, oder verzerrter Hand anwandeln kann. Bei vielen Woͤrtern aͤndert ſich ja die Bedeutung ſelbſt; z. E. Unterhálten (entreténir) und únterhalten (ſuppoſer), uͤberſézzen (vertere) und í eberſezzen (traiicere), Ueberſézzer (translateur) und Uéberſezzer (Bootsknecht) ſind ja himmelweit verſchieden. Zu dem Hebraͤiſchen Schin fehlt uns gar das Zeichen, weil ich Geſchmack als ein Fremder immer eher Geſchmack leſen werde. Der Mangel an punctis diaereticis macht auch inſonderheit fremde Namen verwirrt; und uͤberhaupt kann man den Mangel unſrer Zeichenſchrift am beſten aus Reiſeund Erdbeſchreibungen ſehen, wenn die Namen fremder Sprachen in unſern Buchſtaben ſich kaum mehr erkennen. — Soll unſer Hexameter ausſtehlich werden; ſo muß er Accente haben, und der erſte Dichter, der ſich die Muͤhe geben wird, wahre Hexameter zu machen, wird ſich auch der Accente nicht ſchaͤmen, weil er ſie vor allen am wenigſten braucht. Sollte unſre Sprache ſterben; Himmel! wie ſchlecht wuͤrde man ſie aus Buͤchern lernen; um ſie auszubilden, ſtelle man ſie ſich todt vor; man nutze die Provinzialismen, um ſie zu beſtimmen.

      „Bei der Verbindung der Begriffe komme „es hauptſaͤchlich an: 1) ob man ſie durch bloße „Abaͤnderung des Ausdrucks fuͤr eine jede Jdee; oder 2) durch Zwiſchenſezzung kleiner „Worte, oder 3) durch die bloße Stellung der „Jdeen anzeigen wolle. Denn dieſe drei „Faͤlle ſind, glaube ich, blos moͤglich.„ Der erſte Fall iſt der einfachſte, und bei dem Anfange jeder Sprache der geradeſte geweſen; er iſt daher noch bei den heutigen Sprachen von antikem Karakter ſehr ſichtbar; gut fuͤr Dichter, aber unphiloſophiſch. Der mittelſte iſt am uͤblichſten, bei der Deutſchen Sprache ſehr gebraͤuchlich; und fuͤr die Sprache des gemeinen Lebens bequem. Aber weil dieſe zwiſchengeſchobene kleine Worte nicht Accent gnug haben, und doch nicht wie die wenigen Woͤrterchen der alten Griechen, auch nicht ganz ohne Accent ſind; ſo entſtehet daraus die Unbeſtimmtheit der Proſodie, die unſern neuen Sprachen ſo laͤſtig faͤllt. — Der dritte Fall iſt der philoſophiſchvollkommene; und wenn Leibnizens allgemeine Sprache ja moͤglich waͤre; ſo waͤre es eine Algebra, wo die Verbindung der Jdeen ſehr von ihren Stellung abhienge.

      „2) Was fuͤr Geſezze man zur Folge einer „gewiſſen Anzahl von Jdeen, die in Verbindung ſtehen, annehmen wolle. Hier iſt das „Hauptgeſezz; man laſſe ſie in der Ordnung „folgen, die der Faßlichkeit des Gedanken „und dem jedesmaligen Zweck des Redenden „gemaͤß iſt. Nun kann der Zweck des Redenden in tauſend Faͤllen nur einerlei [ſey]n; „alſo wird es eine gewiſſe allgemeine Conſtruktionsordnung geben; hundertmal aber „gibt es einen beſondern Zweck des Redners, „und denn iſt diejenige Sprache die beſte, „welche raͤumig genug geſchuͤrzt iſt, um ihre „Ordnung nach dieſem Zweck wenden zu koͤnnen. Ein geringes Nachdenken uͤberzeugt „uns, daß wir in unſern jezzigen Sprachen „eine Menge beſondrer Zwecke gar nicht durch „die Wortfuͤgung anzuzeigen vermoͤgend ſind, „ſondern ſie nur aus dem Zuſammenhange „unſrer Gedanken muͤſſen errathen laſſen. „Unvollkommenheit der Sprache!„ Ueber dieſen Philoſophiſchen Artikel kann das 11-13te Fragment ein Commentar ſeyn, der unſern Nachtheil nach der Griechiſchen und Lateiniſchen, aber Vortheil vor der Franzoͤſiſchen Sprache zeigt. Man muß die Worte ſo ordnen, daß ſie bei aller moͤglichen Kuͤrze keine doppelte Beziehung der Abhaͤngigkeit leiden:) Dieſe Zweideutigkeit iſt am erſten in Sprachen zu beſorgen, die wenige Caſus z. E. den Nominativ und Accuſativ gleich haben; die nach dem vorigen zweiten Fall mit Zuſchiebung kleiner Woͤrter flectiren, und bei denen die Conſtruktionsordnung wenig beſtimmt iſt. Die erſte Unvollkommenheit aͤuſſert ſich bei der Franzoͤſiſchen; die zweite bei dem ſchleppenden Perioden der Deutſchen, und die dritte bei den elenden Lateiniſchen Perioden neuerer Buͤcher, die ſich jede Jnverſion erlauben, weil ſie die Geſezze der alten Roͤmer in ihrem vortreflichen Perioden nicht kennen, der nichts unbeſtimmt laͤßt, und doch fuͤr das Auge und Ohr zugleich ſchreibt.

      „Nach dieſer Vorſchrift muͤſſen wir die „Sprache der Schriftſteller ausbilden: denn „dem Sprechenden helfen Geberden und der „Ton der Stimme, den wahren Verſtand beſtimmen, da hingegen alles dies im Buche „wegfaͤllt.)„ Eine Sprache hat alſo ganz andere Geſezze und Freiheiten, wenn ein Volk ſie ſtammlet, ſinget, ſpricht, ſchreibet, und nicht mehr ſpricht, ſondern allein ſchreibt. Und hierauf gruͤndet ſich mein Fragment von den Zeitaltern, und den Graͤnzen der Nachahmung alter Sprachen. (Fragm. 2. und 8.) Jezt ſezze ich folgende wahre Beobachtung Samuel Johnſons dazu: „Es giebt Worte, deren Sinn allzufein iſt, als daß man ihn „mit Worten ſollte faſſen, und in eine Umſchreibung bringen koͤnnen. Das ſind diejenigen „Worte, welche die Sprachlehrer particulas „expletivas, oder ausfuͤllende Woͤrter nennen. „Jn todten Sprachen uͤberſieht man ſie als „leere Toͤne; als Toͤne, die zu anders „nichts dienen, als einen Vers auszufuͤllen, „oder einen Perioden wohlklingender zu machen. Aber in lebenden Sprachen wird „man bald inne, daß dergleichen Woͤrter „mehr, als ausfuͤllende Woͤrter ſind, daß „ſie Kraft und Leben haben, ob man gleich „ihren Nachdruck mit andern Worten nicht „ausdrucken kann.„ Dies wird jedem bei dem Leſen Homers unzaͤhliche mal beifallen; wenige Fuͤllwoͤrter, aber deſto oͤfter und kraͤftiger: die ſpaͤtern Dichter mehr; die ſpaͤtern Proſaiſten noch mehr, und Plutarchs Stil kommt mir in Betracht deſſen gegen Herodot, vor, als eine Kanzleiſchrift voll alldieweil, ſintemalen und anerwogen, gegen die fluͤſſende gemeine Sprache. Wie unrecht denken die alſo, die Orientaliſch zu ſchreiben glauben, wenn ſie das Und vor jeden Perioden, und jedes Glied deſſelben ſezzen; und unausſtehlich im Deutſchen werden, ohne den Schatten des Morgenlandes zu gewinnen.

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