Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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und insonderheit am heiligen Ilyßus wandelt. Und denn am ärgsten, Winkelmannen das Wesen der Kunst lehren – o der unseligen Richter, die taub und blödsinnig, wie Claudius, über die größesten Schriftsteller unsrer Zeit, nicht anders als im Schlafe, nicht anders als über Schüler urtheilen, bei denen Examen zu halten sey, über das, was sie wissen, und nicht wissen, zeigen und nicht zeigen, insonderheit, was ihnen gegen diesen und jenen fehle?1 – –

      Für mich hat Laokoon an sich selbst Schönheit gnug, als daß er blos durch den Kontrast mit einem andern gewinnen dörfte. Vor und hinter demselben, was L. gegen W. habe, sind entweder nichts als Parerga, für die beide sie ansehen werden, oder wenigstens trifft nichts auf Winkelmanns Hauptzweck, die Kunst; und Laokoon also, als Abhandlung über die Gränzen der Poesie und Malerei, hat Werth und Vortreflichkeit; aber ihn als Streitschrift, als Prüfung der ganzen Winkelmannischen Werke betrachten zu wollen, ist meines Erachtens der falscheste Gesichtspunkt, und der Genius eines Leßings und Winkelmanns sind auch zu verschieden, als daß ichs von mir erlangen könnte, sie gegen einander abzumessen.

      Wo Leßing in seinem Laokoon am vortreflichsten schreibt, spricht – der Kritikus: der Kunstrichter des Poetischen Geschmacks: der Dichter. Wie Sophokles Philoktet leide, und die Helden Homers weinen, und Virgils Laokoon den Mund öfnen, und körperliche Schmerzen auf dem Theater winseln dörfen – wie Virgil, Petron und Sadolet den Laokoon bilden, und der Dichter den Künstler, und der Künstler den Dichter nachahmen könne – wer spricht hier überall, als der Kunstrichter des Poeten? Dieser ists, der dem Philoktet des Chateaubrun einen Streich giebt, der Spence'n und Caylus ihre Fehler zeiget, der Homers Poetische Wesen claßificirt, und Poetische von der Malerischen Schönheit unterscheidet – überall der Kunstrichter des Dichters: das ist sein Geschäft. Und sein Zweck derselbe. Dem falschen Poetischen Geschmack entgegen zu reden, die Grenzen zwoer Künste zu bestimmen, damit die eine der andern nicht vorgreifen, vorarbeiten, zu nahe treten wolle: das ist sein Zweck. Was er auf diesem Wege von dem Innern der Kunst findet, freilich nimmt ers auf; aber mir noch immer Leßing, der Poetische Kunstrichter, der sich selbst Dichter fühlt.

      Winkelmann aber, ein Lehrer Griechischer Kunst, der selbst in seiner Kunstgeschichte mehr darauf bedacht ist, eine Historische Metaphysik des Schönen aus den Alten, absonderlich Griechen, zu liefern, als selbst auf eigentliche Geschichte. Und also auf eine Critik des Kunstgeschmack noch uneigentlicher. Um den falschen Geschmack andrer Zeiten und Völker ist ihm nie als um Hauptzweck zu thun; den züchtigt er blos, wenn er neben oder unmittelbar vor den Alten ihm zu Gesicht kommt: denn sonst, wie oft hätte er nach seiner vornehmen Griechischen Idee züchtigen, und seine Hand in Nebenstreichen ermüden müssen! Und schreibt er also nicht als Critikus des Kunstgeschmacks; wie weit entfernter vom Kunstrichter der Poesie? Als Künstler las er die Dichter, als Kunstlehrer brauchet er sie, und würde nicht so haben schreiben können, wenn er auch selbst die Dichter anders, und nicht als Künstler gelesen. Er, dem wie jenem Griechischen Künstler, die Schönheit selbst, (aber die Kunstschönheit) erschienen war; bezaubert von ihr, suchte er ihre Gestalt also mit Feuer in seinen Geist gemalt, brennend in seinem Auge, und sich in seinem Herzen regend – diese Gestalt der Kunstschönheit, dieß Bild der Liebe, suchte er allenthalben, wollte sie auch im bloßen Abglanz sehen, vermuthete sie selbst, wie Kleists Amynt seine geliebte Lalage, auch in Fußtritten, auch im Bilde des Wassers, auch im Hauche des Zephyrs, der freilich von einer andern Lalage, (der Schönheit des Dichters) kommen konnte. Im Gefühl also dieser bildenden und nicht dichtenden Schönheit stand er auch vor Virgils Laokoon, wie vor dem Laokoon des Polydorus, und so muß er gelesen werden: denn das sind Schranken der Menschlichen Natur, auf Einmal nur Eines sehen zu können, was man will, und wie man will – Dieß eine war bei Winkelmann die Kunst. Soll ich ihm also Kenntniß der Alten absprechen, weil er Homer nicht als Dichter, sondern als Künstler, nicht also des Poetischen Wesens seiner Muse wegen, nicht wie Leßing gelesen? Soll ich ihm einen Seitenblick, den er auf die Poesie wirft, um seine Kunst zu erläutern, und gesetzt dieser Seitenblick träfe auch nicht auf das Innere der Dichtkunst, zum Hauptverbrechen anrechnen? Und soll ich, weil Leßing wiederum alles aus dem Grunde der Seele holt, soll ich ihn für einen spekulativen Witzling, und wenn er einigemal mit seinen muntern Schlüssen zu weit käme, für einen rathenden Kopf halten? Warum können wir denn nicht zween so originale Denker, Winkelmann und Leßing nehmen, wie jeder ist? Auch in der Schreibart so gar haben beide eine Griechische Grazie zur Freundin; nur daß sie bei beiden nicht Eine Grazie ist.

      Winkelmanns Styl ist wie ein Kunstwerk der Alten. Gebildet in allen Theilen, tritt jeder Gedanke hervor, und stehet da, edel, einfältig, erhaben, vollendet: er ist. Geworden sey er, wo oder wie er wolle, mit Mühe oder von selbst, in einem Griechen, oder in Winkelmann; genug, daß er durch diesen auf einmal, wie eine Minerva aus Jupiters Haupt dastehet und ist. Wie also an dem Ufer eines Gedankenmeeres, wo auf der Höhe desselben der Blick sich in den Wolken verliert: so stehe ich an seinen Schriften, und überschaue. Ein Feld voll Kriegsmänner, die weit und breit zusammen geworben, die Aussicht erst lange ins Große führen; wenn aber endlich aus dieser Weite das Auge erhabner zurück kommt: so wird es sich an jeden einzelnen Kriegsmann heften, und fragen, woher? und betrachten, wer er sey? und alsdenn von vielen den Lebenslauf eines Helden erfahren können.

      Leßings Schreibart ist der Styl eines Poeten, d.i. eines Schriftstellers, nicht der gemacht hat, sondern der da machet, nicht der gedacht haben will, sondern uns vordenket, wir sehen sein Werk werdend, wie das Schild Achilles bei Homer. Er scheint uns die Veranlassung jeder Reflexion gleichsam vor Augen zu führen. Stückweise zu zerlegen, zusammen zu setzen; nun springt die Triebfeder, das Rad läuft, ein Gedanke, ein Schluß giebt den andern, der Folgesatz kommt näher, da ist das Produkt der Betrachtung. Jeder Abschnitt ein Ausgedachtes das τεταγμενον eines vollendeten Gedanken: sein Buch ein fortlaufendes Poem, mit Einsprüngen und Episoden, aber immer unstät, immer in Arbeit, im Fortschritt, im Werden. Sogar bis auf einzelne Bilder, Schilderungen und Verzierungen des Styls, erstrecket sich dieser Unterschied zwischen beiden, Winkelmann der Künstler, der gebildet hat, Leßing der schaffende Poet. Jener ein erhabner Lehrer der Kunst; dieser selbst in der Philosophie seiner Schriften ein muntrer Gesellschafter; sein Buch ein unterhaltender Dialog für unsern Geist.

      So dörften beide seyn: und wie unterschieden! wie vortreflich bei dem Unterschiede! Weg also mit der Brille, durch die man von einem zum andern spielen will, um durch Kontrast zu loben! Wer L. und W. nicht lesen kann, wie jeder derselben ist, der soll keinen von beiden, der soll sich selbst lesen! – –

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