Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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eben durch das Rückhalten des Ach! Und so kann Winkelmann mit Recht sagen: Laokoon leidet, wie Sophokles Philoktet: nur jener, als Bildsäule, bei welcher ein Seufzer ewig dauret, ewig die Brust beklemmet, und dieser als Tragische Person, die den langen Seufzer endlich mit einem Ach! schließen, und den wieder kommenden Schmerz mit einem Ach! empfangen muß, die zwar auf einer Saite des Jammers herum irret, aber mit abgesetzten, mit langsam wiederkommenden, mit etwas auf- und absteigenden, mit Zwischentönen des unterdrückten Schmerzes. Sophokles war also derselbe weise Meister in seinem Philoktet, wie Polydorus in seinem Laokoon, und bei beiden zeigt sich, nur nach der Verschiedenheit ihres Vorwurfs, einerlei Weisheit, den stillen, den prägnantsten Ausdruck, zu suchen, und dem übertriebnen Ausdruck zu entweichen. Und das sagt Winkelmann! Allerdings ist Schreien der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes:7 nur jede Kunst der Nachahmung, und so darf ich auch sagen, jede Gedichtart, hat in Nachahmung dieses Ausdruckes ihre eigenen Gränzen. Wie abwechselnd ist Homer in der Art, wie seine Krieger, seine Helden niederfallen, und wie wiederholend in dem, was den Niederfallenden und Sterbenden gemein ist; aber weder jene Abwechselung, noch diese Wiederholung macht mir das leßingsche Wort verständlich: »Homers Krieger fallen nicht selten mit Geschrei zu Boden!«8 Sehr selten, möchte ich sagen, (wenn mich nicht mein Gedächtniß aus Homer trügt) und fast gar nicht, außer wenn eine nähere Bestimmung dieses Charakters es fodert. So gewöhnlich ihm ist, das sein Krieger mit klirrenden Waffen, mit bebendem Boden u.s. w. fällt und stirbt indem ihm Dunkelheit die Augen deckt;9 so ungewöhnlich fällt und stirbt einer mit Geschrei, mit Heulen: und alsdenn ist dieß »nicht der natürliche Eindruck des körperlichen Schmerzes,« sondern ein Charakterzug seines Verwundeten. So heult z.E. bei seiner Verwundung ein Pherekles;10 aber dieser Pherekles ist ein Trojaner, ein unkriegerischer Künstler, ein feiger Flüchtling, der auf der Flucht eingeholt wird; und freilich ein solcher kann sich durch ein Geheul auf seinen Knieen unterscheiden; aber offenbar »nicht der leidenden Natur ihr Recht zu lassen,« sondern vermöge seines Charakters. Vermöge dieses, schreiet die Venus laut;11 denn sie ist die weichliche Göttin der Liebe: ihre zarte Haut ist kaum gestreift, kaum wird sie den rothen Ichor, das Götterblut, gewahr, so entsinken ihr die Hände; sie verläßt die Schlacht, sie weint vor Bruder, Mutter, Vater und dem ganzen Himmel: sie ist untröstlich. Wer will nun sagen, daß mit diesem allen Homer sie charakterisiere, »nicht um sie als die weichliche Göttin der Wollust zu schildern, sondern vielmehr um der leidenden Natur ihr Recht zu geben?« Wäre dieß, wie würde er so genau die Seite des Weichlichen12 mit jedem Bilde, mit jedem Worte, mit jeder Bewegung zeichnen? wie würde er sie noch oben drein, von Pallas verspotten lassen, als hätte sie sich bei einem Liebeshandel vielleicht geritzt? wie würde selbst ihr lieber Vater Jupiter über sie lächeln? Lachet dieser, spottet jene, um der leidenden Natur ihr Recht zu geben? und welche leidende Natur ist ein Ritz der blendenden Haut? – Eben so wenig schreiet der eherne Mars13 aus einer andern Ursache, als eben – weil er der eherne, der Eisenfressende Mars ist, der im Getümmel der Feldschlacht raset, und eben so wild bei der Verwundung aufschreiet. Nichts ist ungezweifelter, als dieß, wenn wir Homer sagen lassen, was er sagt; denn wäre es ihm auch nur je eingefallen, das Schreien, als »einen natürlichen Ausdruck des körperlichen Schmerzes« und nicht mit höhern Absichten zu gebrauchen, so wäre der Ausdruck: »Er ward verwundet und schrie!« ihm so geläufig, als der »er fiel, und schwarze Nacht bedeckte seine Augen.«

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