Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Schilrick7 scheidet von seiner geliebten Vinvela: fern weg, fern weg in Fingals Kriege: er verläßt sie: sie bleibt allein: er wird vielleicht fallen; aber Vinvela wird sein gedenken. Ich kenne kein Stück, das an Süßigkeit der Liebe, und an Entschlossenheit des Scheidenden einen solchen Abschied, zwoer so edlen und so fühlbaren Personen, mit fünf Worten des Dialogs so rührend besänge. Ich nehme Leßingen seine Worte auf die Griechen: »Hier der Schotte! Er fühlte und furchte sich; er äußerte seine Schmerzen und seinen Kummer: er schämte sich keiner seiner menschlichen Schwachheiten; keine mußte ihn aber auf dem Wege nach Ehre, und von Erfüllung seiner Pflicht zurückhalten.« Und dieser Schotte war ein Barbar von einem nordischen Gebirge.
Schilrick trauret um seine entfernte Vinvela:8 sie erscheint, sie spricht im sausenden Lüftchen: »Ich hörte von deinem Tode: ich hörte und trauerte um dich, Schilrick. Vor Gram um dich gab ich den Geist auf. Schilrick, ich liege erblaßt im Grabe.« »Sie flieht, sie fährt davon, wie der graue Nebel im Winde. Schilrick klagt sie: die sanfteste, feierlichste Elegie der Liebe! – Nur ein Schotte, würde ich im Leßingschen Enthusiasmus sagen, nur ein Schotte kann zugleich weinen und tapfer seyn!«
Was geht über das Gedicht: Colma, Comala:9 an Wahrheit und Einfalt, an Süßigkeit und Hoheit, an Stärke und Zartheit der Gedanken, der Empfindungen, des Ausdrucks, an Inhalt und Einkleidung; was geht an allem diesem über die Elegischen Liebesgesänge dieser Nation, die sich durch nichts, als an Bardenliedern voll tragischer Heldenthaten und voll tragischer Heldenliebe ergötzten? Nichts, selbst aus dem griechischen Alterthume nichts! Die Liebe der Griechen, ihre sanften Empfindungen und Klagen, sind weicher und wortströmend, wenn ich sie mit diesen Barbarn vergleiche, bei denen die Liebe in stolzer, in heldenstolzer Seele wohnte, sich zu einer sanften Schwärmerei, zu einer erhabnen Heldenzärtlichkeit hob, und auch in den Elegien der Liebe durch große Gesinnungen rühret, und bezaubert. Die gewässerten Klagen unsrer Elegisten ermüden mein Ohr; aber dort, in diesem feierlichen Alterthume, dort tönet eine Melancholie der Liebe, die uns lehret, daß »nicht blos der gesittete Grieche zugleich weinen und tapfer seyn könne,« der barbarische Schotte könne es besser.
Vielleicht aber war dies nur so mit Einer Empfindung der Menschlichkeit, indeß alle andre von Tapferkeit erstickt werden mußten? Wie kann doch Eine Statt finden, ohne zugleich Allen Raum zu machen? Die Elegische Stimme der Schotten ist in der Vater-in der Geschlechtsliebe eben so süß und tapfer, als in der Weiberliebe. Man weiß, was in den alten Zeiten der Ruhm des Stammes galt: eine Empfindung, die bis auf den dummen Ahnenstolz aus den Seelen unserer Zeiten weggeschwemmt zu seyn scheinet. Wo fließen edlere Thränen, als wenn der Sohn Fingals, Ossian,10 das Andenken seiner Söhne und seines Vaters, ihrer Thaten und ihres Todes erneuret – wo sind edlere Thränen, als diese auf den Wangen des Greises, der »gleich einer alten Eiche dasteht: aber der Brand hat meine Zweige weggehauen, und ich bebe bei den Flügeln des Nords. Allein, allein soll ich an meinem Orte zu Staube werden.« So klagt der tapfere Ossian, und so läßt derselbe den Arnim, so den grauhaarigen Carryl klagen: so klagen die Helden, die Väter ihrer Stämme. Alle Empfindungen der Helden und der Menschen, z.E. Vaterlands- und Geschlechter- Freundes- und Weiber- und Menschenliebe – alle leben in den Gedichten dieses Volks, wie in Abdrücken ihrer Seele.
Und so war es wohl nicht der Grieche allein, der zugleich weinen und tapfer seyn konnte.11 So war nicht jeder, der Barbar heißt, der in einem rauhen Klima wohnte, und die Bildung der Griechen nicht kannte, von der Art, »daß er, um tapfer zu seyn, alle Menschlichkeit ersticken müßte.« So lag es also wohl nicht an der National-Seele, am Temperament, am Clima, am Gesittetseyn der Griechen, wenn sie beides verbanden: Und so müssen also andre Gründe seyn, die diese Mischung von Heldenthum und Menschlichkeit bei ihnen und bei den Barbarn hervorbrachten, oder nicht hervorbrachten. Sollten uns diese Gründe nicht auf den Weg bringen: worinn und woher auch die Griechen so empfindbar gewesen?
1 Laok. p. 7.
2 Χρειοῖ ἀναγκαίῃ, πρό τε παίδων καὶ πρὸ γυναῖκων. Iliad ϑ, 57.
3 Mallets Geschichte von Dännem. p. 112. 113.
4 Briefe über die Merkwürd. der Litterat. p. 112. 113.
5 Geschichte von Amerika, Th. I. p. 404.
6 Laok. p. 6.
7 Fragmente der alten Hochschottl. Dichtk. p. 1.
8 Ebendas. p. 4.
9 Ebenbas. p. 81.
10 Eben das. p. 17. 21 u.s.
11 Laok. p. 6.
IV.
1. Wenn es eine Zeit giebt, da das Wort Vaterland noch nicht ein leerer Schall ist, sondern
– – ein Silberton dem Ohr
Licht dem Verstand und hoher Flug zum Denken,
Dem Herzen groß Gefühl –
so muß der Name Vaterland so gut den Dichter zum Helden, als den Helden zum Dichter, und beide zu Theilnehmenden Söhnen ihres Vaterlandes machen. Der Held wird dafür streiten, der Dichter singen, und wenn sie beide es nicht mehr retten können, beide noch als Söhne darum weinen: und ist nun Dichter und Held, und Sohn des Vaterlandes Eine Person – so ist dies die Zeit der Patriotischen Klagelieder. Nicht aus einer sich übenden Schulfeder; aus dem vollen Herzen werden diese fließen; nicht blos auf dem Papier, sondern im Gedächtniß, in der Seele leben; die Stimme der Ueberlieferung wird sie aufbehalten, der Mund des Volks sie singen: sie werden Thränen und Thaten wecken: ein Schatz des Vaterlandes, und das Gefühl, das sie besingen und wirken, Gefühl des Volks, Nationalgeist. Es wird also Eine Empfindung des Patriotismus seyn, die jetzt zu Thaten, jetzt zu Gesängen, jetzt zu Thränen fürs Vaterland gedeihet, nachdem die Ausbildung desselben die Empfindung da oder dorthin lenket: und keinen Absenker derselben ersticket. Bei den Scandinaviern erstickte das Beispiel Odins die eine Art des Ausbruchs, die Heldenthräne, um die andre um so mehr zu verstärken: Heldenthaten.
Nun aber ändere man diesen Geist der Zeit: die ganze Welt werde das Land des Weisen, oder des tauglichen und angenehmen Narren; allmälich werden sich die Bande schwächen, die das Herz des Eingebohrnen an den Boden der Natur hefteten; ihm wird also auch das Unglück, oder die Entfernung seines Vaterlandes nicht mehr so zu Gemüthe dringen: und so ist auch die edle Thräne um das Vaterland versiegt, die dort den Helden und den Weisen nicht verunzierte, sondern ehrte. Sie wird höchstens der eigennützigen