Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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des Lebens rührender. Der Tod eines Jünglinges, der sein Leben nicht genossen, der in der Blüthe seiner Jahre dahin fällt, wie ein junger schöner Pappelbaum – ein solcher Fall ist bei Homer die Veranlassung zu Bildern, die auch in dem Heldenauge eine zarte Thräne der Menschlichkeit erwecken können, weil sie – Menschlich sind: und ich würde kaum eine gute Idee von dem Jünglinge fassen, den bei Homer diese Bilder nicht rührten. Eine eben so zarte Empfindung erregt der Tod eines Mannes, der sein Leben nur halb gebraucht, der z.E. wie der Protesilaus Homers halbgeendigte Palläste der Pracht, halb vollendete Entwürfe des männlichen Stolzes nachließ, der sich Anlagen und Geschicklichkeiten umsonst erworben, den Diana vergebens jagen, und Pallas umsonst kriegen gelehret: rührende Bilder aus einer Menschlichen Welt, in die uns Homer so gern versetzet, und in der freilich die Helden leben müssen, die »an Thaten den Göttern, und an Empfindungen den Menschen gleich sind.«

      Ich kann meine Materie nicht vollenden; allein zusammen genommen diese Einzelnheiten, wird man ein Zeitalter gewahr, da die Helden, so weit sie über die Menschliche Natur erhoben seyn mögen, doch in dem Gefühle der Betrübniß, und in der Aeußerung derselben durch Thränen, derselben treu bleiben, treuer bleiben, als wir, bei denen dies sanfte Gefühl entweder erstickt, oder in eine weibische Ueppigkeit umgeschmolzen wird. Zurück also in diese Welt setze ich mich, wenn ich die Helden Homers und die Griechischen Tragödien mit ganzer Seele fühlen will: allein auf Griechenland möchte ich dieß Gefühl nicht einschränken: denn wohin das beschriebene Menschliche Zeitalter trift, da auch dieß Gleichgewicht zwischen Tapferkeit und Empfindung; und dieß, dünkt mich, ist überall das Zeitalter zwischen der Barbarei eines Volks, und zwischen der zahmen Sittlichkeit, dem höflichen Schein, in dem wir leben. In diesem stirbt auf gewisse Art Vaterland, Ehe, Geschlecht, Freund und Mensch ab, und mithin erstirbt auch hierum das Gefühl, und die Aeußerung desselben, die Thräne.

      Aber die Empfindung des körperlichen Schmerzes, kann die sich ändern? Ein Schlag bleibt ein Schlag, Wunde bleibt Wunde, eine Ohrfeige eine Ohrfeige, und wird es, so lange die Welt steht, bleiben. Es ist also nicht der nämliche Fall dieser mit den vorigen Empfindungen, und unser weichlicher Zustand hat vielmehr das Gefühl der Schmerzen unendlich, und oft zum Weibischen erhöhet. Hiernach muß es also umgekehrt seyn, daß, wenn ein Griechischer Theseus, Herkules, Philoktetes, einen Schmerz, eine Wunde einmal fühlet, so müßte ein Sybarit unsrer Zeit ihn siebenfach fühlen, und wenn also »das Schreien der natürliche Ausdruck des körperlichen Schmerzes, das Recht der leidenden Natur, ein Charakterzug Griechischer Helden seyn soll,« so folgt, daß, wenn jener Einmal, der unsre bei siebenfach heftigerer Empfindung auch siebenfach stärker schreien dörfte und sollte, um – ein Held des Homers zu seyn.

      Wie sollte es denn nun gekommen seyn, daß »wir feinern Europäer einer klügern Nachwelt gelernt haben, über unsern Mund und Augen zu herrschen, und uns also so grausam das Privilegium der leidenden Natur versaget haben?« Wenn wir die Empfindungen für Vaterland, Freund, Geschlecht, Menschheit und was sey, mithin unter diesen Empfindungen das weiche Gefühl des Schmerzes darüber verloren, und den Verlust, den Mangel derselben mit Anstand und Artigkeit überdeckt haben, so läßt sich das erklären. Nun aber soll uns am körperlichen Schmerz ein größerer Grad von Empfindung beiwohnen, und doch weniger, unendlich weniger Rechte der leidenden Natur? Ja noch dazu, was bei den Heldengriechen, bei minderm Anlasse des Gefühls, Ehre, oder wenigstens erlaubt war, sollte bei uns Weichlichen Schande, und durch den Anstand, der doch wenigstens den Schein der Stärke geben soll, verboten seyn? und zwar als ein Zeichen der Schwäche verboten? – –

      V.

       Inhaltsverzeichnis

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