Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Und so ist eine Quelle dieses Heldengefühls ausgetrocknet: »die Bildung, die Erziehung für das Vaterland.«

      2. Wenn noch ein jedes Geschlecht, eine jede Familie, unzertrennt und Eins im Ganzen, einen Baum bildet, wo die Zweige und Früchte dem Stamme zur Ehre gereichen, und durch das Abreißen derselben der Stamm selbst verwundet wird: wie bedeutend sind alsdenn die Gefühlvollen Züge Homers bei seinen fallenden Helden: »er fiel, ein blühender Jüngling; der Vater wars nicht, der ihm zum Kriege rieth! – er stammt' aus einem edeln Geschlechte; mit seinem Tode aber ist dies geendigt – er war aus fernem Lande gekommen; nie aber wird er in dasselbe rückkehren – die Söhne des Reichen fielen; der Vater hat alles, für Fremde gesammlet.« In diese Welt also gehören die Heldenklagen des Priamus um seinen Hektor, den Ruhm seines Geschlechts, die Mauer von Troja: in diese Welt die Klagen Oßians, um seine abgeschiedenen Söhne; die ganze rührende Umarmung Hektors an seinen kleinen Astyanax: die Klagen der Elektra und andrer tragischen Heldinnen, der rührende Hingang der Morgenländer zu ihren Vätern u.s.w. eine Ader des Gefühls, die die besten Dichtungen und Geschichte, nicht blos der Griechen, sondern aller Völker durchströmt, bei denen diese Einigkeit der Geschlechter, dies Familiengefühl lebte.

      Nun ersticke man aber dasselbe: man gehe über die natürlichen Bedürfnisse der unverdorbnen Menschlichen Seele und der einfachern Lebensart hinaus: man mache die Ehe zu einem Wirthschaftsvergleich, zu einem Stande der Mode, und Eheleute zu nichts, als einander lästigen oder Zeitkürzenden Personen: man erziehe die Brüder, daß sie schon an den Brüsten einer Fremden nicht mehr Brüder sind, und anwachsend immer fremder werden: man knüpfe Personen, die schon am Hochzeittage getrennt, und lege Kinder in ihre Arme, die blos ihren Namen haben dörfen – freilich so wird eine Nerve des Gefühls getödtet: es erlischt der Ehrenname: »Achilles war ein Sohn Peleus« allmälich: die Sehnsucht des Ulysses zu seiner alten Penelope, und seinem steinigten Ithaka dünkt uns abentheuerlich: der Gefühlvolle Stolz der Morgenländer auf ihre Geschlechtswürde wird lächerlich in unsern Augen, und die Klagen eines Hallers, Klopstocks, Canitz, Oeders, dünken vielen artigen Ehemännern so Poetisch, als eine Anruffung an die Muse.

      Es war eine Zeit (sie ist noch jetzt unter den Wilden!) da es Freunde gab, in einem Verstande, der sonst kaum Statt findet: zwei unzertrennliche Gefährten in Glück und Unglück, durch die heiligsten Gesetze verbunden, wetteifernd in den strengsten Pflichten, und in Erfüllung derselben Muster ihrer Vaterstadt, und die Verehrung des Landes. Zu diesem Gefühl erzogen, besiegelten sie dasselbe also oft mit ihrem Tode und Blute: sie verließen ihren Freund nie, auch in Lebensgefahren, denen die damalige Tapferkeit mehr als unsre Ueppigkeit ausgesetzt war; die kleinste Untreue gegen ihren Freund machte sie zum Spott ihres Geschlechts, und zum Abscheu der Stadt; sie waren nach allen Gesetzen verbunden, seinen Tod zu rächen, und die letzte Stimme des Einen, vielleicht gefangenen, vielleicht getödteten Freundes war – an seinen Freund, an den Begleiter seines Lebens. Da also gab es einen Herkules und Jolaus, einen Aeneas und Achates, einen Orestes und Pylades, einen Theseus und Pirithous, einen David und Jonathan: mithin eine Quelle des Gefühls der Freundschaft für den Helden, die jetzt für den bloßen Bürger und Gesellschafter beinahe versiegen ist. Da also, da flossen, wenn der Tod, wenn ein Unglück die trennete, die das Leben nicht trennen konnte, so edle Heldenthränen, wie der Held Achilles um seinen Patroklus, wie ein Pylades um seinen Orestes, wie der Held David um seinen Jonathan weinten.

      Nun laßt die Welt zu einer solchen Freundschaft verschwinden: die Art des Lebens mache nicht mehr zween solche Begleiter im Leben und Tode nöthig: das Feierliche bei solchen Verbindungen lasse nach: der Beruf der Menschen zu Arbeiten, zu Lebensarten werde verschiedner und gleichsam unstäter: der Zustand der Bürger und Mitbürger, ruhiger: jeder sich selbst sein Gott in der Welt – wo wird alsdenn ein. Kriegshaufen von Liebhabern, von männlichen Geliebten, ein Böotischer ιερος λοχος noch Statt finden? Der Freund wird ein Gesellschafter, und ein Ding seyn, was man will, nur nicht, was er in der Welt der Helden, und der Freundschaftsbündnisse war, es mochte diese Welt übrigens in Griechenland, oder Schottland, oder Amerika leben. Verstopft also eine neue Quelle zu Heldenthränen, wenigstens ist das rührendste Bild zweener Freunde jetzt ein Cabinetstück blos, und nicht mehr ein Schauspiel der Welt, wie ehedem, und so anders, als Achilles, als Held, nach unsern Zeiten seyn müste: so fremde ist für sie »der um seinen Patroklus weinende, und bis zum Unsinn betrübte und rasende Achilles.«

      Wenn es eine Zeit und ein Land giebt, da die Schönheit noch mehr Natur, noch minder Putz und Schminke: da die Liebe noch nicht Galanterie, und die männliche Gabe zu gefallen, etwas mehr als Artigkeit ist: da wird auch die Empfindung, die Sprache, und selbst die Thräne der Liebe Würde haben, und selbst das Auge eines Helden nicht entehren. Freilich wird dieser nicht, wie Polyphem, der Cyklope Theokrits, elegisiren; aber gewiß noch weniger mit dem Philoktet des Chateaubrun, und mit den verliebten Griechischen Helden der Französischen Bühne. Die wahre Empfindung, und ein männlicher Werth hat seine Würde und Hoheit, ohne diese von ungeheuren Metaphern, von galanten Wortspielen, oder von artigen Seufzern zu borgen: und auch hier sei die Liebessprache der alten z.E. Schottischen Helden Beispiel. – Sie handeln als Helden, und fühlen als Menschen.

      Da aber freilich keine Empfindung so gern das Reich der Phantasie zu seinem Gebiet haben mag, als die Liebe: so kann auch keine so leicht von der Würde und Wahrheit ab, und in Phantasterei und Spielwerk hinein gerathen, als diese: und also, aus mancherlei Ursachen, zwischen der Heldenthräne der Liebe, und zwischen der Verachtung nur immer ein schmaler Rand. Unter allen Menschlichen Schwachheiten, deren sich ein Held nicht schämen dörfte, ist diese die delikateste; und daß sie es sey, kann ein großer Trupp verliebter Roman- und Theaterhelden beweisen. – – Hier indessen hatten die Griechischen Dichter einen ziemlichen unerkannten Vortheil, nämlich den Zutritt zu einem ihnen nationellen Liebesreiche voll sehr Poetischer Phantasien, die sie aus mancher Verlegenheit reißen mußten. Die Liebesbegebenheiten ihrer Götter und Göttinnen, das ganze Gefolge der Venus, der Gratien und Amors, hundert schöne und unterhaltende Anekdoten aus der Mythologie der Liebe, gaben ihrer Sprache der Liebe eine Süßigkeit, und eine Würde, die unsre Zeit nur zu oft nachahmet, um – lächerlich zu werden. Wenn in unsern Elegien und Oden der Amor mit seinen Pfeilen umherflattert, wenn man den Griechen und Römern eine ganze Nomenklatur von Liebesausdrücken abgeborget hat, und diese endlich so gar in Briefe zwischen Mannspersonen ausschüttet: so verliert sich das Spielwerk von der Würde, ich will nicht sagen, einer Heldenseele, sondern nur des gesunden Verstandes völlig ab, und wird fader Unsinn. Oder wenn endlich gar der Gothische Ton der Liebe aus den mitlern Zeiten der Ritter und Riesen, mit der süßen Artigkeit unsrer Zeiten in Eins zusammen fließt: so wird alsdenn der Herzbrechende Parenthyrsus, die weinerliche Galanterie daraus, von der fürwahr! ein Griechischer Held, mit aller seiner Empfindbarkeit für die Schwachheiten Menschlicher Natur, eben so viel wußte, als der weise Sokrates von der Klosterheiligkeit der Kapuciner.

      Ueberhaupt: da die Scene des Menschlichen Lebens noch mehr ins offene Auge fiel: da die Geschäfte der Welt noch nicht so verwickelt und sein, aber um so Verdienstvoller für die Menschheit seyn mochten: da die Nutzbarkeit und Geschicklichkeit und Tugend noch nicht in so krummen Linien zu berechnen, sondern Menschlich war: da zog das Menschengefühl auch die Gemüther noch mehr zusammen; und die Gräber der Guten des Landes foderten die Thräne des Helden. Einfacher und mehr zum Augenschein war das Leben des andern, und seine Tugenden und Verdienste auch also treffender an das Herz, denn ein Held, ein Staatskluger, ein Verdienstvoller, ein Weiser, so wie ihn die alte Zeit foderte, und bildete; konnte doch eher eine Menschliche Thräne hervorlocken, als z.G. ein General nach der Taktik, ein Minister, ein Civilist, ein Litterator der neuern Welt, wenn er nichts als dieses ist; denn bei dem Verlust aller seiner Geschicklichkeiten und Tugenden sind die wenigsten Menschlich, und was ist im Stande, Menschliche Empfindungen zu erregen, als – – Menschheit. Wo bleiben nun die Namen ohne Thaten, die Rangstellen ohne wirkliche Verdienste, die Bemühungen und Aemter unsrer Zeit ohne Geist und Leben, die Religionen ohne Menschliche Tugend – wo bleiben alle sämtliche gelehrte, reiche, vornehme, andächtige Narren unsrer Bürgerlichen und feinen und allerchristlichsten Welt, sind die wohl einer Menschlichen Thräne werth?

      Endlich, als man den wahren Gebrauch des Menschlichen Lebens, und der Glückseligkeit

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