Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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Lappländer, keine Scythen: denn sie weinen ja um die Ihrigen, und Priamus befürchtet eben ein zu weiches Herz, zu tief einfressende Thränen. Gerade also das Gegentheil! – Doch aus solchen Deutungen kann man immer machen, was man will, und eine bloße Allegorie; »der Sinn des Dichters geht tiefer,« kann uns endlich so tief führen, daß der Boden sinkt.

      Die ganze Dichtkunst der Griechen hat zu viel Spuren dieser Empfindbarkeit ihrer Nation zu Schmerz und Thränen, als daß man bloß muthmaßen dörfte, und sie ist einem großen Theile nach gleichsam ein ganzer lebender Abdruck dieses Gefühls, dieser weichen Seele. Lasset uns diesen Theil die elegische Poesie nennen; aber niemand verstehe hier unter diesem Namen jenen hinkenden Affen, der sich nach unsern weisen Lehrbüchern der Poesie bloß im Sylbenmaas unterscheiden soll: sondern Elegie sei mir hier die klagende Dichtkunst, die versus querimoniae nach Horaz, sie mögen sich finden, wo sie wollen, in Epopee und Ode, in Trauerspiel, oder Idylle; denn jede dieser Gattungen kann Elegisch werden. In solchem Verstande hat die Elegie ein eignes Gebiet in der Menschlichen Seele, nämlich die Empfindbarkeit des Schmerzes und der Betrübniß: man kann also aus ihr über Völker und Zeiten hinaus sehen, und hier wird sich durch Vergleichungen auch die den Griechen eigne Stelle finden. Ich stecke einige Gesichtspunkte ab.

      1. Nicht jedes Volk hat für milde Betrübnisse ein gleich zartes Herz; bei manchem haben selbst die Klagen eine rohe Vestigkeit, ein Heldenmäßiges Brausen, in welches sie verschlungen werden, und ein solches wird, bei sonst großen Dichtern, mit der Sprache dieser weichen Thränen sehr unbekannt seyn können. So die nordischen Skandinavier, die auch bei Trauerfällen vom Heroismus gestält, kaum kurze Seufzer ausstießen und – schwiegen; wenn sie sangen, so war ihr Gesang kaum die milde Elegische Thräne.

      Wir haben mit Säbelstreichen gefochten; doch jetzt – nahet sich mein letzter Augenblick. Bald wird das Schwert meiner Söhne ins Blut des Ella getaucht seyn: ihr Zorn wird entflammen, und diese muthige Jugend die Ruhe nicht weiter dulden.

      Wir haben mit Säbelstreichen gefochten in ein und funfzig Schlachten, wo die Fahnen flogen. Von meiner Jugend an lernte ich, die Spitzen der Lanzen mit Blute färben, und nie hätte ich einen tapferern König, als ich bin, zu finden geglaubt. – Aber es ist Zeit, aufzuhören: Odin sendet schon die Göttinnen mich in seinen Pallast zu führen. Da werde ich auf dem erhabensten Platze sitzend Bier mit den Göttern trinken. Die Stunden meines Lebens sind verflossen, ich sterbe lächelnd! –« Das beste Beispiel zu Herrn Leßings Bemerkung über den harten nordischen Heldenmuth.

      Wo also das Herz eines Volkes Kieselstein ist: da schlägt der heftigste Schmerz, er treffe nun Leib oder Seele, nichts als heroische Funken; denn woher sollte dem Kieselstein eine zarte Elegische Thräne kommen? Der Heldennmth, die Liebe zum Vaterlande, und zum Ruhme seines Stammes, das heroische Bündniß mit seinem Freunde, der sein Rachengel seyn soll: die ganze Bildung einer rohen und starken Natur zum unerschütterten Nachfolger Odins und anderer thränenlosen Helden, die ihrem Volk, ihrer Republick, eben den Geist der Tapferkeit einflößen – dieß alles betäubte Menschlichkeit und Gefühl und Thränen.

      2. Nun laßt diesen Heldenmuth, diese Liebe zum Vaterlande, und zum Ruhme seines Stammes, dieß Gefühl für Freundschaft, und die unverhüllte Offenheit der Seele – laßt diese edle und große Gesinnungen sich alle ohne solche Verschanzung und Verhärtung äußern: die größte Tapferkeit wird sich alsdenn immer als die empfindbarste Menschheit zeigen. »Nach ihren Thaten werden solche Leute Geschöpfe höherer Art seyn; nach ihren Empfindungen Menschen.«

      Und sollte es nur unter den Griechen diese Doppelgeschöpfe höherer Art, diese Heldenmenschen, diese Semonen gegeben haben? Und unsre Ureltern wären Barbarn, und alle nordische Barbarn in diesem Stück Unmenschen gewesen? Menschliches Gefühl muß jedem einwohnen, der ein Mensch ist; es muß, wo es erstickt, wo es in rohe Tapferkeit verschlungen werden soll, erst von tausend Beispielen, von einem großen unter einer Nation lebenden Vorbilde, von dem ganzen Geiste des Volks, und durch alle Eindrücke der Erziehung von Jugend auf gewaltig bestürmt, und dahin endlich gerissen werden, daß es mit diesen Beispielen wetteifre, daß es diesem großen Vorbilde, das den Geist dieses Volks bestimmet, folge. Wo dies nicht ist: da wird sich die unverhüllte Natur zeigen; die Empfindungen der Menschheit werden sich in ein Heldengewand kleiden, und der Sinn des Helden sich wiederum der menschlichen Thräne nicht schämen – es sei unter einem Volke, wo es wolle!

      Ich kenne kein Poetisches Volk der Erde, welches große und sanfte Empfindungen, so sehr in Eine Gesinnung verbunden, und in Einer Seele den Heroismus des Helden- und Menschengefühls so ganz gehabt hätte, als die – alten Schotten, nach Maasgabe ihrer jetzt aufgefundnen Gesänge. Eine sichere Maasgabe, da die Ursprünglichkeit dieser Lieder bewiesen, und das ganze Leben der Nation bekannt ist, als ein Leben, das unter Thaten, Empfindungen und Gesängen verstrich, und wo die Gesänge eben zu nichts bestimmt waren, als diese Thaten und Empfindungen zu verewigen. Dies also vorausgesetzt: und in jedem Bardenliede zeigt sich ein Volk, dessen Seele ganz der Tapferkeit und einer feierlichen Liebe flammete; ein Volk, dessen Denkart überhaupt von einem Heldenernst eine gewisse Melancholische Farbe erhalten, und diese auch auf seine weichen Empfindungen verbreitete. Die meisten Stücke der hersischen Dichtkunst kann ich nicht besser,

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