Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Von den Denkmaͤlern der Kunſt komme ich zu denen, die den Buͤrger bilden! Und da ſteht ein Deutſcher Browne!
3. Moſer 45 kennet das Schroot und Korn der Deutſchen Sprache: der alten Lutheriſchen Religion, der alten Freiheit, Ehrlichkeit, und geſunden Vernunft unſerer Vaͤter: und er kann mit mehrerem Rechte unſer Deutſcher Browne ſeyn; als Jſelin mit ſeinen Platoniſchen Traͤumen, und Wegelin mit ſeiner Hypochondriſchen Fuͤlle von Tugend, in der Schweiz. Wie Parrhaſius dort den Geiſt der Athenienſer malte, „der veraͤnderlich, rachſuͤchtig, ungerecht, unerbittlich „und gnaͤdig, ruhmraͤthig, erhaben und niedrig, wild und feige, und alles zugleich war ſo kann Moſer den Geiſt der Deutſchen malen, wie er war, und ſeyn ſollte. Alsdenn aber muß auch in dem Geſchmack der Erfindung keine fromme Miſanthropie, in der Zuſammenſezzung kein ungeſunder Ueberfluß, in der Zeichnung kein ſchiefer Geſchmack herrſchen, der halb Franzoͤſiſch und halb Brittiſch iſt. Er liefere ſein Werk auch der Form nach mit allen Deutſchen Vollkommenheiten geſchmuͤckt: tiefſinnig, reich, und wahr in der Erfindung; voll Bedeutung in der Zuſammenſezzung, maͤnnlich in der Zeichnung, und in der Ausfuͤhrung vollendet. Jetzo muß der ehrliche Deutſche Leſer bei allen Moſeriſchen Schriften ſaͤmtlich und ſonders bedauren: daß Moſes keinen Aaron hat: daß der Miniſter zu ſichtbar diktire, der Weltweiſe nicht Zeit gnug, zu verdauen, und der Schriftſteller nicht Muße gnug, ſelbſt zu ſchreiben, und anzuordnen habe. Haͤtte der Verfaſſer irgend in Deutſchland einen andern Amphitruon, der die Macht und Geſchicklichkeit beſaͤße, ſeine zerſtreute Gedanken zu verbinden; und die Waſſerſuͤchtige Fuͤlle in einen Koͤrper zu verwandeln, wo volle geſunde Adern unter einer ſeinen Haut ſich verbergen: ein zweiter Moſer, der auch bisweilen ſein Antipode ſeyn koͤnnte, um viele ſchwermuͤthige Klagen mit leichtem und geſundem Blut zu leſen, und ihn endlich davon abbraͤchte: ein Prediger in der Wuͤſte zu ſeyn, wie jener, der nur ein Vorbote von dem war, der kommen ſollte, und ganz anders als ſein Vorlaͤufer ſeyn muſte. — Sollte es nicht mit zur Deutſchen Nationalfreiheit gehoͤren, daß ein Genie, welches ſelbſt nicht Mutter ſeyn kann, fremde, wohlgebildete aber ausgeſtoßene Kinder, aufnaͤhme, und ſich an ihnen Mutterverdienſt erwuͤrbe? Ein Patriot fuͤr drei Zeitalter in Deutſchland verdient dies!
4. Jezt ein Cenſor, aber ein munterer Cenſor der Verdienſte! Abbts Schriften 46 ſind fuͤr die Deutſchen Original: der gute geſunde Menſchen- und Buͤrgerverſtand, der in ihnen herrſchet, iſt das Erbſtuͤck unſrer Nation: die Analytiſche Aufloͤſung der Begriffe iſt die beſte Methode Deutſcher Philoſophie; die Laune ſeiner Schreibart, die ſtatt der Franzoͤſiſchen Karaktere, und der Brittiſchen erdachten Beiſpiele, durch Geſchichte lehrt, naͤhrt unſern Geiſt, und ſeine Schreibart unſere Einbildungskraft. Das Feuer der Phantaſie, in dem der Verfaſſer dachte, und ſchrieb, aber nicht haͤtte leſen ſollen; gluͤht jeden Leſer an, der es verſteht, ein Buch in eine Perſon, und todte Buchſtaben in Sprache zu verwandeln; alsdenn hoͤrt man, und denkt, und fuͤhlt mit dem Autor. Kannſt du aber, lieber Leſer! nichts als leſen, nicht die Luͤcken, die dir uͤberlaſſen wurden, in Gedanken ſelbſt ausfuͤllen, nicht weiter denken, wo dir Ausſichten eroͤfnet werden: ſo wirſt du inne werden, was vielleicht eben der Verfaſſer ſagt: „dem Sprechenden helfen „ſeine Geberden, und der Ton der Stimme „den Verſtand beſtimmen: da dies alles hingegen in einem Buche wegfaͤllt.„ 47 Wenn ich dieſen Schriftſteller mit Zimmermann vergleiche: ſo bemerke ich freilich an dem lezten mehr Fleiß in der Auswahl der Gedanken und Worte; aber einen gewiſſen Franzoͤſiſchen Geſchmack, einen Reichthum von Anfuͤhrungen, der dem Verfaſſer ſelbſt weniger uͤbrig laͤßt als er liefern koͤnnte. —
5. Jezt ein Schriftſteller, nicht blos des Vaterlandes, ſondern auch der Menſchheit: Spalding. 48 So wie ſeine Wahrheiten ſich zwiſchen Philoſophie und gemeine Beobachtungen ſtellen; ſo graͤnzt auch ſein Vortrag mit Genauigkeit und Aufwand: ſein geſezter Stil nimmt hie und da die Miene des Tiefſinns an, und ſein bluͤhender Stil ſcheint ſich in den Luxus zu verlieren; aber man trete naͤher! Selbſt der Aufwand wird alsdenn ein Stuͤck des Nothwendigen, und die Schreibart ſchließt ſich der Denkart ſo an, wie die naſſen Gewaͤnder der Alten den Koͤrper durchſchimmern ließen. Dies geht ſo weit, daß, wie ich glaube, die dem Verfaſſer bisweilen muͤhſam gewordene Denkart immer durchblickt; er mag ſie ſo ſehr mit Blumen beſtreuen, als er will. Aber eben dies verbuͤrgt auch die Treue, mit der er ſeine Seele entdeckt: und die in den Materien, worinn er ſchreibt, und in unſerer Zeit ein ſeltenes Muſter iſt. Vielleicht gelingt es Spalding, geſunden Menſchenverſtand in den Kanzelvortrag zu bringen, der das Mittel zwiſchen gelehrter Weisheit und unverſtaͤndlicher Wortkraͤmerei haͤlt, der den Juͤdiſchen und gelehrten Griechiſchen Ton mit einerlei Vorſicht vermeidet, der die Kanzel erniedrigt, aber weder zum Moſaiſchen Stuhl eines Rabbi, noch zu einem Philoſophiſchen Catheder — zu dem Rednersorte eines Freundes, eines Vertrauten, eines Seelenſorgers. Vielleicht wird es ihm gelingen, in die Theologie ein Denken einzufuͤhren, das eben ſo wenig Deiſmus und Freigeiſterei, als nachgebetete Formel iſt. — Welch ein Unterſchied, wenn ich Spalding mit einem ebenfalls denkenden, gelehrten, und beredten Theologen vergleiche; es iſt kein andrer, als Acken. Wenn ich die Predigten dieſes Mannes, als erbauliche Abhandlungen anſehe: ſo verbinden ſie Philoſophiſche Genauigkeit, Deutſchen Nachdruck, und Griechiſche Schoͤnheiten mit einander bis zu den kleinſten Theilen: zu leſen ſind ſie vielleicht die beſten Deutſchen Predigten, die die meiſten Franzoſen an Gruͤndlichkeit, die Englaͤnder an feinen Verzierungen, und ſeine Landsleute an nachdruͤcklicher Kuͤrze in dieſer Art von Schriften hinter ſich laſſen. Daruͤber wundere ich mich alſo nicht, daß ſie wider ihr Verdienſt unbekannt geblieben; denn ſie ſind ja keine Poſtillen, und keine blendende Sermons; aber daruͤber wundere ich mich, wie dieſer Deutſche Chryſoſtom in ſeinem Pathmos ſich ſo hat verirren koͤnnen, um vom Urſprung der Opfer auf eine ſo myſtiſche Art zu ſchreiben:
Infert ſe tectus nebula. Mirabile dictu!
6. Sokrates fuͤhrte die Weltweisheit unter die Menſchen; hier iſt der Philoſophiſche Schriftſteller unſerer Nation, der ſie mit der Schoͤnheit des Stils vermaͤlt haben ſoll: der Verfaſſer der Philoſophiſchen Schriften. 49 Ja er iſts, der ſeine Weltweisheit in ein Licht der Deutlichkeit zu ſtellen weiß; als haͤtte es die Muſe ſelbſt geſagt: er denkt da, wo andere ſich begnuͤgen, Schoͤnheiten zu empfinden: er hat unter den Deutſchen die Critik der ſchoͤnen Wiſſenſchaften ausgebreitet, die Baumgarten in Abſicht der Lateiniſchen Schriftſteller ſo vorzuͤglich bewies; und —
Jch fuͤhle es doch bei ſeinen Philoſophiſchen Schriften manchmal, was er ſelbſt fuͤhlte: „ich bekenne es, daß ſich zu blos ſpekulativen Unterſuchungen kein Vortrag beſſer ſchickt, als der ſtrenge Syſtematiſche. Jch „trauete mir aber das Vermoͤgen und die Fertigkeit nicht zu,