Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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so lebhaft zu erneuren, sie nur mit einer mäßigen Geschwindigkeit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwanigen Begriffe des Ganzen zu gelangen.« Arbeitete der Dichter auf diesen Begrif des Ganzen, da er uns seine Theile zerlegte, um ihn nachher in allen diesen Theilen zusammengesetzt darzustellen; so sage ich, hat er eben so vergebens gearbeitet, als Brockes, wenn er uns Kräuter malet. Das Zusammensetzen, die Handlung der Hebe kommt gar nicht in Rechnung; das Nacheinander zusammensetzen, was mit Einmal gezeigt, gedacht werden sollte, ist Augenmerk: dies ist bei beiden gleich, ja bei Homer durch das Zusammensetzen noch langsamer. »Doch nicht blos da, wo Homer mit seinen Beschreibungen weitere Absichten verbindet, sondern auch da, wo es ihm um das bloße Bild zu thun ist, wird er dieses Bild in eine Art von Geschichte des Gegenstandes verstreuen, um die Theile desselben, die wir in der Natur neben einander sehen, in seinem Gemälde eben so natürlich auf einander folgen, und mit dem Flusse der Rede gleichsam Schritt halten zu lassen. Der Bogen des Pandarus z.E.«10 – aber wie kann Hr. L. hier in Homers Beschreibung eine Parallele der Folge in den Tönen, mit dem Coexsistiren der Theile, und der Theile des Objekts mit den Theilen der Rede finden? Wenn Homer uns den Bogen des Pandarus malen will, und uns erst auf die Jagd des Steinbocks führet, aus dessen Hörnern der Bogen gemacht worden: und uns erst den Felsen zeigt, wo ihn Pandarus erlegt, und nun erst die Hörner des Steinbocks Längelang ausmißt; nun erst sie in Arbeit giebt, nun erst uns jeder Arbeit des Künstlers zuschauen läßt – wer kann sagen, Homer habe das Successive seiner Beschreibung der Natur des Coexsistenten gleichsam näher bringen, und die Theile des Bogens mit dem Flusse der Rede Schritt halten lassen! Statt, daß sie durch diese Homerische Manier näher zusammen kommen sollten; sehe ich sie sich weiter hinaus zerstreuen; unter vielen andren fremden Zügen: (Jagd, Steinbock, Ort des Erhaschens, Ort der Verwundung, Lager des gefällten Steinbocks, Werkstäte des Künstlers) liegen sie versteckt: und hätte Homer mit seiner Geschichte des Bogens darauf gezweckt, um mir nachher mit Einmal alle Theile des Bogens anschaulich zu geben: so hätte er eben den schlechtesten Weg genommen. Meine Phantasie wenigstens hat sich der Geschichte überlassen, dem Pandarus einen Bogen zu zimmern, aber ihn sich nachher in allen seinen Theilen auf Einmal zu denken, die fremden Züge in der Geschichte erst wegzulassen – welche Mühe! welche Absonderung! »Homer malet den Schild Achilles in mehr als hundert prächtigen Versen, nach seiner Materie, nach seiner Form, nach allen Figuren, welche die ungeheure Fläche desselben füllten, so umständlich, so genau, daß es neuern Künstlern nicht schwer gefallen, eine in allen Stücken übereinstimmende Zeichnung darnach zu machen. Er malet dies Schild nicht als ein fertiges vollendetes, sondern als ein werdendes Schild. Er hat also auch hier sich des beschriebenen Kunstgriffes bedienet, das Coexsistirende seines Vorwurfs in ein Consekutives zu verwandeln, und dadurch aus der langweiligen Malerei eines Körpers das lebendige Gemälde einer Handlung zu machen.«11 Feine Bemerkung! richtiger Gegensatz mit Virgilen! Ob aber Homer dies Werden des Schildes ergriffen, um gleichsam mit dem Consekutiven ein Coexsistirendes zu liefern? ob er »die mehrern Züge für die verschiedenen Theile und Eigenschaften im Raume in einer gedrängten Kürze schnell auf einander folgen lasse, damit wir sie alle auf einmal zu hören glauben sollen?« ob es mit dem Werden des Schildes sein Zweck gewesen, den Raum in die Zeitfolge zu verwandeln, und uns durch diese den Anblick Eines Ganzen zu geben, den wir nur durch jenen fassen konnten?13 – Sollen diese Fragen ihr Ja bekommen: so bekenne ich die Schwäche meines Gedächtnisses, diesen Zweck an mir nicht erreichen zu können. Mögen zehen oder noch weniger Gemälde auf dem Schilde seyn: möge ich sie auch werdend gesehen haben; ich erstaune über das Werk, aber nicht mit dem gläubigen Erstaunen eines Augenzeugen, dem jetzt der ganze Schild vor Augen, bei dem das Consekutive in ein Coexsistirendes verwandelt wäre. Nur in dem Haupte des Göttlichen Künstlers kann der Schild mit allen seinen Figuren ein Malerisches Ganzes gebildet haben; ich muß aufs neue das Schild herum, wenn ich die mit jedem successiven Wortzuge verlohrne Figur wieder sehen soll, und doch wo sind sie, wenn ich sie zu einem ganzen Schilde ordnen soll? Das Werdensehen hat hiezu nichts gethan, und kann hiezu nichts thun, es sei denn, um mich noch weiter zu zerstreuen; das Nacheinander werden ist und bleibt der Knoten.

      Ich wollte um alles nicht, Hrn. L. einen falschen Sinn angedichtet zu haben: in der Sache selbst mit ihm eins, machen mich nur in dem Grunde der Sache seine Schlüsse und Verbindungen verlegen. Dünkt jemand dieser Unterschied unbeträchtlich – so liegt mir nichts daran; andern wird er beträchtlich scheinen.

      Homer ist immer fortschreitend in Handlungen, weil er damit fortschreiten muß, weil alle diese Theilhandlungen Stücke seiner ganzen Handlung sind, weil er ein Epischer Dichter ist. Ich brauche also den Wagen der Juno, und den Zepter des Agamemnon, und den Bogen des Pandarus nicht weiter kennen zu lernen, als sie in die Handlung mit eingeflochten, mitwirken sollen auf meine Seele. Darum also höre ich die Geschichte des Bogens, nicht damit mir diese statt Gemälde sey; sondern um einen Begrif von seiner Stärke, von der Macht seiner Arme, mithin von der Kraft seiner Sehne, seines Pfeils, seines Schusses zum Voraus in mich zu pflanzen. Wenn nun Pandarus den Bogen vornimmt, die Sehne anlegt, den Pfeil ansetzt – abdrückt! – wehe dem Menelaus, den der Pfeil eines solchen Bogens trift, wir kennen seine Stärke. Hr. L. kann also nicht sagen, es sey Homeren mit seiner Geschichte des Bogens, um sein Bild, und blos um sein Bild zu thun gewesen. Um nichts minder, als hierum: die Stärke, die Kraft des Bogens war seine Sache: sie, und nicht die Gestalt des Bogens, gehört zum Gedichte: sie, und keine andre Eigenschaft, soll hier energisch mitwirken, daß wir, wenn nachher Pandarus abdrückt, wenn nachher die Senne schwirrt, der Pfeil trift – um so mehr den Pfeil empfinden. Dieser Energie zufolge, die in einem Gedichte das Hauptwerk ist, erlaubt sich Homer, aus der Schlacht auf die Jagd zu spatzieren, und die Geschichte des Bogens zu dichten: denn ich sehe keine andre Art, diesen Begrif in aller Stärke, als durch Geschichte. Durch ein Bild können wir eigentlich nur Gestalt lernen: aus der Gestalt müssen wir Größe, aus dieser Stärke erst schließen; durch eine Geschichte lernen wir diese unmittelbar – und wenn es dem energischen Künstler, dem Dichter, blos um diese Stärke zu thun ist, was soll er sich andre Arbeiten aufbürden? Der Maler male Bild, Gestalt; er aber wirke Stärke, Energie. – Die wirkt auch Homer von Anfange zu Ende der Beschreibung; nur freilich nicht, wenn ich ihn in der Umkleidung lese, die Hr. L. mit dem Schusse Pandarus macht; aus ihr ist blos ein successives, nicht aber (der Hauptzweck des Dichters!) ein energisches Bild zu hören: wobei wir nicht durch successive Töne Malerisch, sondern in jedem Tone energisch getäuscht werden, daß wir zusammen fahren sollen, wenn endlich ein solcher Bogen trift.

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