Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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des Prosaischen Perioden, behaupte ich, hat Homer nicht. Bei ihm fällt gleichsam Zug nach Zug aus einander; er schreitet mit jedem Beiworte weiter: von keiner Verschränkung, von einer künstlichen Suspension des Sinnes weiß er nichts. »Der Grieche verbindet das Subjekt gleich mit dem Prädikate, und läßt die andern nachfolgen; er sagt runde Räder, eherne, achtspeichichte.«6 So wissen wir mit eins, wovon er »redet, und werden der natürlichen Ordnung des Denkens gemäß, erst mit dem Dinge, und dann mit seinen Zufälligkeiten bekannt. Diesen Vortheil hat unsre Sprache nicht.« Keine neuere Sprache hat ihn, die zur Prose ursprünglich gebildet worden.

      Und wenn in diesem Fortschreitenden eben Homers Manier bestehet: und seine Sprache (er pflanzte sie auf seine Dichter fort) und nur seine Sprache dies Fortschreitende zur Manier, zum Gesetze ihrer Zusammenordnung macht: wie in einer Übersetzung; so wird Homer in einer Uebersetzung nach dieser neuen Construktionsmanier, die einmal ein Gesetz unsrer Sprachen geworden, seine Manier, das Wesen seiner Poesie, das mit jedem Zuge Fortschreitende verlieren: er wird prosaisirt werden. Prosaisirt, nicht in den Farben, in den Figuren seiner Bilder: sondern in der Art ihrer Stellung, in Composition und Manier, und da denke ich, hat er mehr verlohren, als durch jedes Andere! Ein solcher Verlust geht die Art des Ausdrucks in seinem ganzen Werke durch, er ist der größte, denn er hindert den Gang seiner Muse.

      Ich nehme sein Bild vom herabsteigenden Apollo, und sage: So weit das Leben über das Gemälde geht, so weit ist hier der Dichter über den Prosaisten einer neuern Sprache: Apollo steigt von den Höhen des Olympus: ergrimmt: Bogen und Köcher auf der Schulter. Ich sehe ihn nicht allein herabsteigen, ich höre ihn. Mit jedem Schritte erklingen die Pfeile um die Schulter des Zornigen. Er geht einher, gleich der Nacht. Nun sitzt er gegen den Schiffen über, und schnellet – fürchterlich erklingt der silberne Bogen – den ersten Pfeil auf die Maulthiere und Hunde. Sodann faßt er mit dem giftigern Pfeile die Menschen selbst; und überall lodern unaufhörlich Holzstöße mit Leichnamen. »Es ist unmöglich,« sagt Hr. L., dessen Worte ich mich meistens bedient, »die musikalische Malerei, welche die Worte des Dichters mit hören lassen, in eine andere Sprache mit überzutragen.« Und eben so unmöglich, fahre ich fort, ists dem Fortschreitenden des Bildes, das mit jedem Zuge weiter tritt, in einer neuern Sprache Fuß vor Fuß nachzufolgen. Mit jedem neuen Worte ist ein Gemälde.

      Um die Schwierigkeit einer Homerischen Uebersetzung zu zeigen: führe ich noch eine Eigenheit in Homer an, die ich seiner Sprachmanier abgemerket, und von unsern Sprachen noch weiter abgehet. Sie ist ein gewisses Wiederkommen auf einen Hauptzug, der schon da war, und jetzt das Band seyn soll, um das Bild weiter zu führen, und die aus einander fallenden Züge zu einem Ganzen zu verknüpfen. Exempel mögen auch erklären. Der zornige Apollo steigt vom Olympus: ergrimmt: Köcher und Bogen auf der Schulter – ist das Bild aus? Nein! es rollt fort, aber um die schon gelieferten Züge uns im Auge zu erhalten, scheint es die folgenden blos aus den vorigen zu entwickeln. Köcher und Bogen auf der Schulter? Ja! die Pfeile erklangen auf der Schulter. Ergrimmt stieg Apollo nieder? Ja! sie erklangen auf der Schulter des Zornigen! Er stieg nieder – er gieng? sie klangen also mit jedem Tritte des Ganges. Nun ist Homer da, wo er ausgieng: er schritt fort, indem er zurücktrat: er hat jeden vergangnen Zug erneuert: noch haben wir das Ganze vor Augen. Auf eben die Art rollet er sein Bild weiter. Der letzte Zug erinnerte uns an die Tritte des Schreitenden, und wird weiter geführt: der Schreitende gieng der Nacht gleich. Weßwegen Apollo Nacht um sich geworfen? hat der Dichter nicht Zeit zu sagen, er läßt es errathen, es war ein fremder Zug in seinem Gemälde hier, an die zu denken, die er jetzt, mit Nacht umdeckt, vorbei strich: er störet sich nicht im Bilde des gehenden Gottes. Nun ist der Gehende die Schiffe vorbei, weit vorbei, er sitzt, er schnellet einen Pfeil – trift er, so ist das Bild zu Ende; aber noch muß es nicht zu Ende seyn. Das Bild des klingenden Bogens wäre alsdenn verloren: es wird erst wieder erweckt – fürchterlich also erklingt der silberne Bogen; nun faßt der Pfeil, der erste, der andre, Thiere, Hunde, Menschen, Scheiterhaufen flammen: so flogen die Pfeile des Gottes neun Tage durch das Heer – – Jetzt ist das Gemälde zu Ende: der Gott, Bogen, Pfeil, die Wirkung derselben, alles ist vor Augen: kein Zug verlohren; keine Farbe mit einem vorbeifliegenden Worte weggestorben: er wecke jede zu rechter Zeit wiederholend wieder auf: das Bild rollet zirkelnd weiter.

      So machen es nicht unsre Poetischen Schilderer: sie malen mit jedem Worte, und mit jedem Worte ist auch die Farbe weg: der Zug verschwunden, am Ende haben wir nur eben das Letzte: nichts mehr. So aber nicht der Erste der Dichter: er webt wiederholende Züge ein, die zum zweitenmal das Bild tiefer einprägen, eindrücken, und einen Stachel in der Seele zurück lassen, wie Eupolis, der Komödienschreiber, von dem größten Redner Griechenlandes, dem Perikles, sagte. Die Manier der Komposition seiner Bilder gleicht der Sprechart des Ulysses, dessen Worte wie die Schneeflocken flogen, das ist, wie Plinius sagt, crebre, assidue, large. Er läßt keinen Stein unbewegt, um zum Ziele zu treffen, und seine Pfeile sind, wie die des Philoktets wiederkommend.

      Ich müßte alle Bilder, alle Gleichnisse Homers abschreiben, wenn ich alle Beispiele geben wollte; denn sie sind alle nach einer Manier. Nicht immer strömen neue Züge herzu: die Vorigen kommen wieder, malen weiter: der Tanz der Figuren kehrt in sich zurück, und bricht plötzlich ab. Handlung und Empfindung, Zustand und Bewegung wechseln: und gemeiniglich nimmt sich das Wort, das die Handlung wieder erneuern, das ein Band voriger Züge seyn soll, auch dadurch aus, daß es einen Vers anfängt, und also die Rede auf sich stützet. Jedes Bild Homers ist eine Musikalische Malerei: der gegebene Ton zittert noch eine Weile in unserm Ohre: will er ersterben; so tönt dieselbe Saite, der vorige Ton kommt verstärkt wieder; alle vereinigen sich zum Vollstimmigen des Bildes. So überwindet Homer das Hinderniß seiner Kunst, daß ihre Wirkung gleichsam jeden Augenblick verschwindet; so macht er jeden Zug seines Bildes daurend.

      Ich habe ein Paar Proben, von der feinen Kunst Homers in seiner Bildercomposition, von Seiten der Sprache gegeben, um zu zeigen, daß ich zu einer Uebersetzung vielleicht Schwierigkeiten finde, von denen manche nichts wissen, die recht viel von Homers Uebersetzung sprechen können; indessen bringen mich auch diese Schwierigkeiten noch nicht zur Verzweiflung. Auch hier wird das Genie Rath finden: es wird zerstücken, und wiederholen – sterben lassen, und wieder vors Auge bringen, und dem Homer wenigstens nacheifern. – Ich wollte, daß Hr. L. sich über dies Wiederkommende in Homers Bildern erklären möchte. Homer schildert nicht; wo er aber muß, da braucht er das angezeigte Kunststück, um mittelst jeden Augenblick schwindender, aber wiederkommender Töne das Ganze eines Eindrucks zu liefern. – – Aus der Tonkunst

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