Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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oder vielmehr die einzige schöne Wissenschaft, die Poesie, wirkt durch Kraft. – Durch Kraft, die einmal den Worten beiwohnt, durch Kraft, die zwar durch das Ohr geht, aber unmittelbar auf die Seele wirket. Diese Kraft ist das Wesen der Poesie, nicht aber das Coexsistente, oder die Succession.

      Nun wird die Frage: welche Gegenstände kann diese Poetische Kraft besser an die Seele bringen, Gegenstände des Raums, coexsistirende Gegenstände, oder Gegenstände der Zeitsuccessionen? Und um wieder sinnlich zu reden: in welchem Medium wirkt die Poetische Kraft freier, im Raume, oder in der Zeit? –

      Sie wirkt im Raume: dadurch, daß sie ihre ganze Rede sinnlich macht. Bei keinem Zeichen muß das Zeichen selbst, sondern der Sinn des Zeichens empfunden werden; die Seele muß nicht das Vehikulum der Kraft, die Worte, sondern die Kraft selbst, den Sinn, empfinden. Erste Art der anschauenden Erkenntniß. Sie bringt aber auch jeden Gegenstand gleichsam sichtlich vor die Seele, d.i. sie nimmt so viel Merkmaale zusammen, um mit Einmal den Eindruck zu machen, der Phantasie ihn vor Augen zu führen, sie mit dem Anblicke zu täuschen: zweite Art der anschauenden Kenntniß, und das Wesen der Poesie. Jene Art kann jeder lebhaften Rede, die nicht Wortklauberei oder Philosophie ist: diese Art der Poesie allein zukommen und macht ihr Wesen, das sinnlich Vollkommene in der Rede. Man kann also sagen, daß das erste Wesentliche der Poesie wirklich eine Art von Malerei, sinnliche Vorstellung sey.

      Sie wirkt in der Zeit: denn sie ist Rede. Nicht blos erstlich, so fern die Rede natürlicher Ausdruck ist, z.E. der Leidenschaften, der Bewegungen: denn dies ist der Rand der Poesie; sondern vorzüglich, indem sie durch die Schnelligkeit, durch das Gehen und Kommen ihrer Vorstellungen, auf die Seele wirkt, und in der Abwechselung theils, theils in dem Ganzen, das sie durch die Zeitfolge erbauet, energisch wirket. Das erste hat sie auch mit einer andern Gattung der Rede gemein; das letzte aber, daß sie einer Abwechselung, und gleichsam Melodie der Vorstellungen, und Eines Ganzen fähig sey, dessen Theile sich nach und nach äußern, dessen Vollkommenheit also energesiret – dies macht sie zu einer Musik der Seele, wie sie die Griechen nannten: und diese zweite Succession hat Hr. Leßing nie berühret.

      Keines von beiden, allein genommen, ist ihr ganzes Wesen Nicht die Energie, das Musikalische in ihr; denn dies kann nicht Statt finden, wenn nicht das Sinnliche ihrer Vorstellungen, das sie der Seele vormalet, vorausgesetzt wird. Nicht aber das Malerische in ihr; denn sie wirkt energisch, eben in dem Nacheinander bauet sie den Begriff vom sinnlich vollkommnen Ganzen in die Seele: nur beides zusammen genommen, kann ich sagen, das Wesen der Poesie ist Kraft, die aus dem Raum, (Gegenstände, die sie sinnlich macht) in der Zeit (durch eine Folge vieler Theile zu Einem Poetischen Ganzen) wirkt: kurz also sinnlich vollkommene Rede.

      Nach diesen Voraussetzungen wollen wir zu Hrn. Leßing zurück. Bei ihm ist der vornehmste Gegenstand der Poesie Handlungen; nur aber Er kann aus seinem Begriffe der Succession diesen Begrif ausfinden; ich gestehe es gerne, ich nicht.

      Der Begriff des Successiven ist zu einer Handlung nur die halbe Idee: es muß ein Successives durch Kraft seyn: so wird Handlung. Ich denke mir ein in der Zeitfolge wirkendes Wesen, ich denke mir Veränderungen, die durch die Kraft einer Substanz auf einander folgen: so wird Handlung. Und sind Handlungen der Gegenstand der Dichtkunst, so wette ich, wird dieser Gegenstand nie aus dem trocknen Begrif der Succession bestimmt werden können: Kraft ist der Mittelpunkt ihrer Sphäre.

      Und dies ist die Kraft, die dem Innern der Worte anklebt, die Zauberkraft, die auf meine Seele durch die Phantasie und Erinnerung wirkt: sie ist das Wesen der Poesie. – Der Leser sieht, daß wir sind, wo wir waren, daß nämlich die Poesie durch willkührliche Zeichen wirke; daß in diesem Willkührlichen, in dem Sinne der Worte ganz und gar die Kraft der Poesie liege; nicht aber in der Folge der Töne und Worte, in den Lauten, so fern sie natürliche Laute sind. –

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