Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder

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Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang - Johann Gottfried Herder

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und zusammen gesetzt wird. Um also die Vortreflichkeit dieses Götterwagens, um den innern Werth aller seiner Theile, um seinen künstlichen Bau zu schildern, wird er zusammen gesetzt, nicht aber, um diese Theile successiv zu sammlen, da man sie coexsistent nicht sehen kann. Das Zusammensetzen ist hier kein Kunstgrif; kein, quid pro quo, um uns so das Ganze zu geben: den ganzen Anblick zu sammlen, ist kein Zweck des Dichters; im Zusammensetzen selbst liegt die Energie der Rede; nichts mehr. Bei jedem Theile sollen wir ausruffen: prächtig! Göttlich! Königlich! – ist dies: ist dieser Begrif sinnlich vollkommen in der Seele; das Ganze mit seinen Theilen war nicht mein Bild: das mag ein Kutscher lernen. – Der Wagen ist zusammen: die Energie also vollendet: ich ruffe nochmals aus: prächtig! Göttlich! Königlich! und lasse Juno und Minerva kutschieren.

      Kurz: ich kenne keine Successionen in Homer, die als Kunstgriffe, als Kunstgriffe der Noth, eines Bildes, einer Schilderung wegen, da seyn sollten: sie sind das Wesen seines Gedichts, sie sind der Körper der Epischen Handlung. In jedem Zuge ihres Werdens muß Energie, der Zweck Homers liegen: mit jeder andern Hypothese von Kunstgriffen, von Einkleidungen, um das Coexsistente der Schilderung zu vermeiden, komme ich aus dem Tone Homers. Ich weiß, daß dieser Vorwurf groß sey, daß kein größers Hinderniß der Kraft eines Dichters gelegt werden könne, als nicht in seinem Tone zu lesen; allein deßwegen nehme ich meinen Vorwurf nicht zurück. Wer in dem Zusammensetzen des Wagens der Juno, und in der Geschichte des Bogens und des Zepters, und in dem Werden des Schildes, nichts als einen Kunstgrif bemerken will, um einem körperlichen Bilde zu entkommen: der weiß nicht, was Handlung des Gedichts sey, an dem hat Homer seine Energie verfehlet. Wenn Homer ein körperliches Bild braucht, so schildert ers, wenn es auch ein Thersites seyn sollte; er weiß von keinen Kunstgriffen, von keiner Poetischen List und Gefährde: Fortschreitung ist die Seele seines Epos.

      XVIII.

       Inhaltsverzeichnis

      Nun aber ist Homer auch nicht der einzige Dichter: es gab bald nach ihm einen Tyrtäus, Anakreon, Pindarus, Aeschylus u.s.w. Sein επος, seine fortgehende Erzälung, verwandelte sich mehr und mehr in ein μελὸς in ein Gesangartiges, und drauf in ein ειδος, in ein Gemälde; Gattungen, die noch aber immer Poesie blieben. Ein Sänger, (μελοποιος) und ein Lyrischer Maler (ειδοποιος) Anakreon und Pindar, stehe also gegen den Geschichtsdichter (εποποιος) Homer.

      Homer dichtet erzälend: »es geschah! es ward!« bei ihm kann also alles Handlung seyn, und muß zur Handlung eilen. Hierhin strebt die Energie seiner Muse: wunderbare, rührende Begebenheiten sind seine Welt: er hat das Schöpfungswort: »es ward!« Anakreon schwebt zwischen Gesang und Erzälung: seine Erzälung wird ein Liedchen, sein Liedchen ein επος des Liebesgottes. Er kann also seine Wendung: »es war!« oder »ich will!« oder »du sollst!« haben – gnug, wenn sein μελος von Lust und Freude schallet: eine frohe Empfindung ist die Energie, die Muse jedes seiner Gesänge.

      Pindar hat ein großes Lyrisches Gemälde, ein Labyrinthisches Odengebäude im Sinne, das eben durch anscheinende Ausschweifungen, durch Nebenfiguren in mancherlei Licht ein Energisches Ganzes werden: wo kein Theil für sich, wo jeder auf das Ganze geordnet, erscheinen soll: ein ειδος: ein Poetisches Gemälde, bei dem überall schon der Künstler, nicht die Kunst, sichtbar ist. »Ich singe!«

      Wo mag nun Vergleichung Statt finden? Das Idealganze Homers, Anakreons, Pindars, wie verschieden! wie ungleich das Werk, worauf sie arbeiten! Der eine will nichts, als dichten: er erzälet: er bezaubert; das Ganze der Begebenheit ist sein Werk: er ist ein Dichter voriger Zeiten. Der andre will nicht sprechen; aus ihm singet die Freude; der Ausdruck einer lieblichen Empfindung ist sein Ganzes. Der dritte spricht selbst, damit man ihn höre: das Ganze seiner Ode ist ein Gebäude mit Symmetrie und hoher Kunst. – Kann jeder seinen Zweck auf seine Art erreichen: mir sein Ganzes vollkommen darstellen; mich in dieser Anschauung täuschen – was will ich mehr?

      Es ist eine längst angenommene, und an sich unschuldige Hypothese, das Ganze jeder Gedichtart, als eine Art von Gemälde, von Gebäude, von Kunstwerke zu betrachten, wo alle Theile zu ihrem Hauptzwecke, dem Ganzen mitwirken sollen. Bei allen ist der Hauptzweck Poetische Täuschung; bei allen aber auf verschiedne Art. Die hohe wunderbare Illusion, zu der mich die Epopee bezaubert, ist nicht die kleine süße Empfindung, mit der mich das Anakreontische Lied beseelen will; noch der Tragische Affekt, in den mich ein Trauerspiel versetzet – indessen arbeitet jedes auf seine Täuschung, nach seiner Art, mit seinen Mitteln, etwas im vollkommensten Grade anschauend vorzustellen; es sey nun dies Etwas Epische Handlung, oder Tragische Handlung, oder eine einige Anakreontische Empfindung, oder ein vollendetes Ganze

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