Die größten Klassiker der deutschen Literatur: Sturm und Drang. Johann Gottfried Herder
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Wenn wir auf einen Gegenstand hinsehen, so sehen wir noch viele andre zugleich mit, aber weniger deutlich. Es ist die Frage ob dieses Gewohnheit ist, oder ob es eine andere Ursache habe? Im ersten Fall müßten wir uns auch angewöhnen können Dinge deutlich zu sehen ohnerachtet wir unsere Augen nicht unmittelbar daraufwenden.
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Die Bemühung ein allgemeines Principium in manchen Wissenschaft zu finden ist vielleicht öfters eben so fruchtlos, als die Bemühung derjenigen sein würde, die in der Mineralogie ein erstes Allgemeines finden wollten durch dessen Zusammensetzung alle Mineralien entstanden seien. Die Natur schafft keine genera und species, sie schafft individua und unsere Kurzsichtigkeit muß sich Ähnlichkeiten aufsuchen um vieles auf einmal behalten zu können. Diese Begriffe werden immer unrichtiger je größer die Geschlechter sind, die wir uns machen.
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In Werken des Geschmacks ist es sehr schwer weiter zu kommen, wenn man schon einigermaßen weit ist, weil leicht hierin ein gewisser Grad von Vollkommenheit unser Vergnügen werden kann, so daß wir nur diesen Grad zum Endzweck unserer Bemühungen setzen weil dieser unsern ganzen Geschmack ausfüllt, in andern Stücken, die nicht bloß auf das Vergnügen ankommen, verhält es sich ganz anders, daher haben wir in den letzteren den Alten es weit zuvorgetan, in den ersten aber sind wir noch tief unter ihnen, ohnerachtet wir sogar Muster von ihnen vor uns haben. Dieses kommt daher, das Gefühl des neueren Künstlers ist nicht scharf genug, es geht nur bis auf die körperliche Schönheiten seines Musters, und nicht auf die moralischen wenn ich so reden darf. Man kann das Gesicht eines redlichen Menschen sehen, man kann es aber auch gewissermaßen fühlen, das letztere ist das erstere verbunden mit einer Rücksicht auf das moralische Gute, womit wir in ihm oft die Mienen begleitet sehen. Was ich hier sagen will wird wohl jeder verstehen für den ich eigentlich schreibe. So lange der Künstler nur bloß nach den Augen zeichnet, wird er nie einen Laokoon herausbringen, der etwas mehr als Zeichnung hat, der mit Gefühl verfertigt ist. Dieses Gefühl ist dem Künstler unumgänglich nötig, aber wo soll er es lernen und wie? Unsre Ästhetiken sind bei weitem noch nicht praktisch genug. Vid infra.
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Die größten Dinge in der Welt werden durch andere zuwege gebracht, die wir nichts achten, kleine Ursachen, die wir übersehen, und die sich endlich häufen.
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Es ist nicht so angenehm wenn uns andere von einem Taschen-Spieler erzählen, als ihn selbst zu sehen, weil uns bei dem ersten immer ein Grad von Unglauben zurückbleibt, oder wir denken, die erzählende Person sei nicht fein genug gewesen, wie sie die Sache betrachtet habe.
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Die Versart den Gedanken anzumessen ist eine sehr schwere Kunst, und eine Vernachlässigung derselben ist ein wichtiger Teil des Lächerlichen. Sie verhalten sich beide zusammen wie im gemeinen Leben Lebens-Art und Amt.
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Was mögen dieses wohl für verborgene Gesetze und Wege sein, durch welche die Natur die Triebe in dem nämlichen Tier abändert und ihn seine vorige vergessen macht. Das Hühnchen kriecht unter seine Glucke. Es wird endlich selbst eine Glucke und kriecht nicht mehr unter, sondern läßt unter sich kriechen. Bei allen Tieren ist der äußere Zustand ihres Körpers und die Veränderung der sinnlichen Werkzeuge derselben allzeit eine Funktion ihrer Handlungen und ihrer Lebensart. Bei dem Menschen ist dieses zwar auch wahr, allein indem eine der veränderlichen Größen zunimmt kann die andere abnehmen und umgekehrt.
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Da alle Glieder der Tiere eine sehr weisliche Absicht ihres großen Schöpfers zeigen, so fragt sich warum die Menschen oft Gewächse, Glieder ohne eine Absicht, bekommen.
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Die Esel haben die traurige Situation, worin sie jetzo in der Welt leben, vielleicht bloß dem witzigen Einfall eines losen Menschen zu danken, dieser ist Schuld, daß sie zum verächtlichsten Tier auf immer geworden sind und es auch bleiben werden, denn viele Eselstreiber gehen deswegen mit ihren Eleven so fürchterlich um, weil es Esel, nicht weil es träge und langsame Tiere sind.
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Der Aberglauben gemeiner Leute rührt von ihrem frühen und allzu eifrigen Unterricht in der Religion her, sie hören von Geheimnissen, Wundern, Würkungen des Teufels, und halten es für sehr wahrscheinlich daß dergleichen Sachen überall in allen Dingen geschehen könnten. Hingegen wenn man ihnen erst die Natur selbst zeigte, so würden sie leichter das Übernatürliche und Geheimnisvolle der Religion mit Ehrfurcht betrachten, da sie hingegen jetzo dieses für etwas sehr Gemeines halten, so daß sie es für nichts Sonderliches halten, wenn ihnen jemand sagte, es wären heute 6 Engel über die Straße gegangen. Auch die Bilder in den Bibeln taugen nicht für Kinder.
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Die Schnecke baut ihr Haus nicht, sondern es wächst ihr aus dem Leib.
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Aus den Träumen der Menschen, wenn sie dieselben gnau anzeigten, ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte aber dazu nicht etwa einer sondern eine ziemliche Menge.
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Vom 1 ten Julii 1765 an.
Jeder Gedanke hat gewiß bei uns eine besondere relative Stellung der Teile unsers Körpers, die ihn allemal begleitet, allein Furcht oder überhaupt Zwang ersticken und hemmen sie oft, ohnerachtet sie freilich nicht allemal so heftig sind, daß sie andern in die Sinne fallen, so sind sie doch da und der Geist zeigt sich desto freier je weniger er diese äußere Bewegungen an sich halten darf, denn ein solches Zurückhalten schadet dem freieren Fortgang der Gedanken eben so sehr, als der Zorn, den man nicht darf ausbrechen lassen, daher sieht man warum in einer Versammlung von den vertrautesten Freunden die guten Gedanken sich selbst nach und nach herbeiführen.
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Am 4 ten Julii 1765 lag ich an einem Tag, wo immer heller Himmel mit Wolken abwechselte, mit einem Buche auf dem Bette, so daß ich die Buchstaben ganz deutlich erkennen konnte, auf einmal drehte sich die Hand, worin ich das Buch hielt, unvermutet, ohne daß ich etwas verspürte, und weil dadurch mir einiges Licht entzogen wurde, so schloß ich es müßte eine dicke Wolke vor die Sonne getretten sein, und alles schien mir düster, da sich doch nichts von Licht in der Stube verloren hatte. So sind oft unsere Schlüsse beschaffen, wir suchen Gründe in der Ferne, die oft in uns selbst ganz nahe liegen.
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Eine sehr nützliche und wichtige Frage, die wir allezeit an uns selbst tun sollten, ist ohnstreitig diese: Wie kann ich dieses Ding oder den gegenwärtigen Augenblick am besten nützen? Das Maximum das hier stattfindet wird sich wohl schwerlich allemal sogleich finden lassen, zwischen allen den möglichen Verrichtungen, die sich mit gleichen Kräften in einem Augenblick tun lassen, ist eine große Verschiedenheit, und eine eben so große zwischen denjenigen die sich mit der stärksten Kraft, die in meiner Macht stehet in einem jeden Augenblick tun läßt. Das Maß des inneren Werts unserer moralischen Handlungen wird also wohl dieses sein, daß wir sie so weit treiben bis auf den Punkt, da sie uns verdrüßlich werden würden, wenn wir ihn überschritten, alsdenn sind wir versichert daß wir die größte Kraft angewendet haben, und dieses tun auch tugendhafte Leute würklich, ohne es zu wissen. Die größte Kraft aber am besten zu gebrauchen ist eine Sache die schwerer zu bestimmen ist, und solange wir hier noch keine Tafel über unsere Pflichten haben, wo sie nach