Wenn wir 1918 .... Walter Muller
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Die Begeisterung wächst ins ungemessene, wie die französischen und englischen Sozialisten kommen, die sich unter Lebensgefahr in das rote Berlin durchgeschlagen haben. Und plötzlich wird der Sturm zum Orkan, reißt alles hoch in einem einzigen ungeheuren Wirbel. Hunderttausend Willen werden zusammengeschweißt zu einem einzigen Willen, hunderttausend Kehlen verschmelzen, vereinigen sich zu einem einzigen Ruf
Lenin!!! Lenin!!! Lenin!!!
Kilometerweit rollt der Wagenzug dahin durch ein Meer Von schreienden, schwitzenden, begeisterten Menschen. Endlich wird die Fahrt langsamer. Im Tiergarten, vor dem Brandenburger Tor, stehen Glied an Glied die bewaffneten Ehrengäste der deutschen Revolution. An der Spitze ein rotes russisches Regiment, das den ganzen Bürgerkrieg in Russland mitgemacht hat und nun auf die neugebildeten Kriegsgefangenenformationen verteilt werden soll. Und dann Kompanien, Bataillone, Regimenter, Brigaden, Divisionen, eine ganze Armee, eine große Armee in voller Ausrüstung mit Tausenden von Geschützen: die roten russischen Regimenter, die in den deutschen Kriegsgefangenenlagern gebildet worden sind. Danach kleinere Abteilungen: ein österreichisches und ein ungarisches Regiment, ein polnisches, rumänisches und griechisches Bataillon. Berittene Kirgisen. Eine gemischte Formation aus Chinesen, Japanern und Koreanern. In ihrer Heimat haben sie auf Befehl ihrer Pierren gegeneinander marschieren müssen. Hier kämpfen sie, — nach jahrelanger Internierung — Seite an Seite für die Revolution, die eines Tages auch ihre Revolution sein wird. Neben ihnen kleine Gruppen von Partisanen, Flüchtlinge aus Serbien und Bulgarien, wo jetzt nach Niederwerfung des Aufstandes, unter dem Schutz der Ententetruppen, der weiße Terror herrscht. Eine freiwillige nordische Kompanie : Dänen, Schweden, Norweger. Früher konnten sie (oder waren es nur ihre Fürsten?) sich nicht vertragen, waren nicht unter einen Hut zu bringen. In Zukunft, in der großen sozialistischen Republik, werden sie es lernen.
Auf dem Platz der Revolution, vor dem Reichstagsgebäude stehen die Exoten: Neger, Zuaven, Marokkaner. Inder usw., in tiefgestaffelten Kolonnen, in Bataillonen und Regimenter formiert. Ihr farbigen Brüder! Man hat euch hineingezerrt in den Krieg der Weißen, in dem ihr nichts zu suchen hattet. War es euch nicht einerlei, ob ihr von deutschen, französischen, englischen oder belgischen Kapitalisten beherrscht wurdet? War euch viel daran gelegen, welche Sprache der weiße Mann sprach, der gegen euch die Peitsche schwang, der euch eure Frau raubte und euren Boden, der eure Hütte anzündete, wenn ihr nicht zur Zwangsarbeit erschient? Nein Genossen, ihr habt wahrhaftig kein Interesse daran gehabt, dass gerade eure Beherrscher den Krieg gewannen. Ihr habt nur ein Interesse, einen großen, brennenden, dringenden Wunsch: frei zu werden. Deshalb hat die Agitation im Kriegsgefangenenlager gerade in euren Reihen so großen Erfolg gehabt. Deshalb habt ihr euch so gefreut, als die Ententeoffiziere, die im Lager erschienen waren, um euch zurück in die Knechtschaft, in die Hände eurer Sklavenhalter zu treiben, von roten Soldaten verhaftet wurden. Die sozialistische Revolution macht nicht halt vor Landesgrenzen, auch nicht vor Sprachgrenzen und ebenso wenig vor einer anderen Hautfarbe. Die sozialistische Revolution wird allen Völkern, allen Rassen die Freiheit bringen. Auch ihr habt eure Delegierten ins Reichstagsgebäude gesandt, und was da drüben heute beschlossen wird, soll auch für euch Gültigkeit haben. Deshalb steht ihr hier, auf dem Platz der Revolution.
Links und rechts vom Reichstagsgebäude aber steht je ein rotes Regiment aus englischen, französischen, belgischen und italienischen Kriegsgefangenen. Sie können nie mehr in ihre Heimat zurückkehren, wenn nicht auch bei ihnen die Revolution siegt. Trotzdem sind sie bereit, in unsern Reihen zu kämpfen. Bravo, Genossen! Im Portal des Reichstages steht, mit roter Armbinde, ein amerikanischer Genosse. Ein einziger. Er ist sichtlich betrübt darüber, dass er allein ist und sozusagen als sein eigener Abgeordneter fungiert. Er hatte vergeblich versucht, unter den amerikanischen Kriegsgefangenen Freiwillige für die Rote Armee zu werben.
Ein Volksbeauftragter spricht: „Für euch, Genossen aus Frankreich, ist dieser Tag besonders bedeutungsvoll. Erinnert euch an das prophetische Wort Victor Hugos, der uns, den Deutschen, dankte, weil wir Frankreich von seinem Kaiser befreit hatten, und uns versprach, dass Frankreich auch Deutschland von seinem Kaiser befreien werde. Das habt ihr nun getan, französische Genossen. Aber wir, wir haben noch ein weiteres getan. Wir haben uns von einem noch schlimmeren Feinde, von der kapitalistischen Herrschaft befreit, und unseren Dank werden wir euch, französische Genossen, bezeugen, indem wir helfen, auch euer Land von der Herrschaft des Kapitalismus zu befreien."
Lenin spricht
(10 Uhr vormittags.)... aber das ist nicht die Hauptsache, dass der Rätebund ungefähr 400 Millionen Einwohner hat. Auch das ist noch nicht das Typische, dass viele Nationen, viele Sprachen und fast alle Rassen in unseren Grenzen vereinigt sind. Auch das zaristische Russland umschloss fast 200 verschiedene Nationen. Aber sie wurden unterdrückt, geknutet, russifiziert. Der Bund der Sozialistischen Rätestaaten kennt jedoch keine Unterdrückung. Jede Nation, und sei sie noch so klein, und jede versprengte Minderheit in anderssprachigen Gebieten hat völlige kulturelle und nationale Freiheit, kann eigene Schulen und Universitäten errichten, kann alle Angelegenheiten in eigener Sprache regeln, auch den Verkehr mit Behörden und Zentralstellen. Alle Nationen haben ebenso wie alle Personen gleiche Rechte, aber auch gleiche Pflichten. Die eine Hauptpflicht vor allen anderen: mitzuarbeiten am sozialistischen Aufbau der Welt. Personen, die sich diese Aufgabe nicht zu eigen machen, die nicht ihre ganze Kraft, nicht all ihr Wissen und Können in den Dienst dieser großen Aufgabe stellen, haben bei uns keine Rechte. Es mag für den ersten Augenblick hart erscheinen, wenn wir den Angehörigen der früher herrschenden Klasse nicht nur ihre früheren Vorrechte nehmen, sondern ihnen auch die Rechte vorenthalten, die jeder Werktätige besitzt. Es ist ein Akt der Notwehr, eine Forderung der Selbsterhaltung. Erst nachdem der Sozialismus in der Welt die vorherrschende Wirtschaftsform geworden ist, können wir großzügiger sein. Wenn sich also unsere früheren Kapitalisten beklagen, so antworten wir ihnen: Es liegt an euch selbst. Helft mit am sozialistischen Aufbau. Helft mit bei der Bekämpfung der Konterrevolution innerhalb und außerhalb unserer Grenzen! Je eher die Entscheidungsschlacht im Weltmaßstabe gewonnen wird, um so eher können wir die Sperre, die wir über euch als über asoziale Elemente verhängen mussten, aufheben.
Der sozialistische Aufbau wird auf Jahre hinaus all unsere Kräfte in Anspruch nehmen, wird von jedem einzelnen ein Höchstmaß von Wollen und Können verlangen. Aber vorläufig haben wir noch eine dringendere Aufgabe. An allen Grenzen steht der Feind, der Kapitalismus. Wir müssen uns seiner erwehren. Wir müssen dabei im Auge behalten, dass dieser Kampf eine ganz andere Form annehmen wird als im imperialistischen Kriege. Wir müssen eine wahrhaft revolutionäre Strategie entwickeln. Wir werden unseren Feldzugsplan aufstellen, hier, sofort, in aller Öffentlichkeit. Wenn früher die Feldherren bemüht waren, ihren Feldzugsplan möglichst geheim zu halten, wenn früher die Geheimhaltung geradezu eine Vorbedingung für das Gelingen einer Schlacht war, so ist dies bei uns völlig anders. Wir haben das stärkste Interesse daran, dass unser Feldzugsplan (natürlich nicht etwa jeder taktische Einzelzug, sondern das politische Ganze) möglichst überall bekannt wird. Wir rechnen sehr stark mit der Tapferkeit unserer Genossen in den Roten Armeen. Wir erwarten sehr viel von ihnen. Wir rechnen aber ebenso stark mit den Genossen auf der anderen Seite der Front. Wir setzen die Armeen der kapitalistischen Westmächte in unsere Berechnungen ein, bis zu einer gewissen Grenze als Passivum, von dieser Grenze ab als Aktivum. Vorläufig gehorcht die Mehrzahl der Soldaten in den Ententearmeen noch den Befehlen ihrer Offiziere. Aber das wird nicht ewig so weiter gehen. Je mehr ihnen zugemutet wird, je länger sie gezwungen werden, einen Krieg gegen ihre Brüder, gegen ihre eigenen Interessen fortzusetzen, desto stärker wird die Neigung werden, unserm Beispiel zu folgen. Mit diesen Tatsachen dürfen und müssen wir rechnen. Keine übertriebenen Hoffnungen, aber auch kein übertriebener Pessimismus! Beides wäre in gleichem Maße schädlich.
Wir