Das Neue Testament - jüdisch erklärt. Группа авторов

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ein wichtiges Letztes Mahl. Auch in der Passionsgeschichte gibt es sowohl Überschneidungen als auch Unterschiede, wie verschiedene Datumsangaben (s. „Zeitrechnung, Kalender und Feste“) und verschiedene Ereignisse während des Letzten Mahls (bei den Synoptikern setzt Jesus die Eucharistie ein, während er bei Johannes den Jüngern die Füße wäscht). Es bleibt daher eine vieldiskutierte Frage, ob bzw. in wie weit Johannes unabhängig von allen oder einzelnen Synoptikern ist.

      Unser Verständnis der literarischen Beziehungen der Evangelien untereinander beeinflusst auch unser Verständnis der Historizität der Geschichten und der konkreten Unterscheidung von Tradition (was Jesus tat und sagte) von der Redaktion (was ein bestimmter Evangelist Jesus zuschreibt). Die frühen Vertreter der Markuspriorität (d.h. der Annahme, dass das Markusevangelium das erste schriftliche Evangelium gewesen sei) und der Quelle Q dachten, dass diese Quellen eine größere historische Plausibilität besäßen, weil sie älter waren als das Matthäus- und das Lukasevangelium. Markus und Q (sofern Q als „Buch“ existierte) haben ihr eigenes Programm, und ein frühes Entstehungsdatum ist keine Garantie für Genauigkeit. Späteres Material kann sogar mehr Tatsachen beinhalten, besonders wenn es von vielen verschiedenen Quellen oder Traditionen Gebrauch macht.

      Es ist auch unklar, wie die Evangelisten ihre Werke selbst im Verhältnis zu den ihnen vorliegenden Quellen verstanden. Lukas erkennt an, dass „es nun schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die sich unter uns erfüllt haben,“ (Lk 1,1) und dass er „alles von Anfang an … in guter Ordnung aufzuschreiben“ gedenke, „nachdem [er] alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe“ (1,3). Wollte Lukas tatsächlich andere Berichte wie das Matthäus- und das Markusevangelium ersetzen? Und generell gesprochen: Wurden Evangelien verfasst, um frühere Quellen zu ersetzen, sie zu korrigieren oder sie zu ergänzen?

      Darüber hinaus ist es unbekannt, an welche Gemeinden sich die einzelnen Evangelien richteten, ob sie tatsächlich besondere Gruppen ansprechen wollten oder nicht doch für alle Anhängerinnen und Anhänger Jesu gedacht waren. Zumeist geht man davon aus, dass Markus für eine vorwiegend nichtjüdische Gemeinde in Rom geschrieben habe, obwohl einige Fachleute das Markusevangelium als Ergebnis der Situation in Obergaliläa sehen, wo Juden und Nichtjuden gemeinsam eine Gemeinde bildeten. Lukas sieht man gemeinhin als Nichtjuden, der für ein vorwiegend nichtjüdisches Publikum schreibt, aber sogar hier betrachten einige Gelehrte Lukas als Juden oder Gottesfürchtigen, also einen nichtjüdischen Sympathisanten der jüdischen Gemeinde. Von Matthäus, dem gebildeten Zöllner (s. Mt 10,3), wird allgemein angenommen, dass er für ein überwiegend jüdisches Publikum schreibt, weil das Evangelium die (Relevanz der) Tora betont, weil Jesus intensiv mit den Pharisäern diskutiert und weil das Evangelium eine besondere Affinität zur späteren rabbinischen Literatur zeigt. Diese verschiedenen Interpretationen der Entstehungsumstände der Evangelien basieren wesentlich auf einem Zirkelschluss: Auf der Basis der Erzählung arbeiten wir das Programm des Autors und die Identität seiner Leserschaft heraus. Dann interpretieren wir den Text auf der Basis genau dessen, was wir aus internen Beobachtungen erschlossen haben.

      Das literarische Verhältnis zwischen den Evangelien, ihr jeweiliges gesellschaftliches Umfeld und die Unterscheidung zwischen Inhalten, die die Evangelisten aus Quellen übernommen haben (d.h. aus der Tradition), und solchen, die sie aus ihrer eigenen Vorstellung hinzugefügt haben (d.h. Redaktion), sind grundlegende Themen der neutestamentlichen Wissenschaft. Diese Probleme, die nicht mit Sicherheit gelöst werden können, sind auch bei der Interpretation der Evangelien in ihrem Verhältnis zu Juden und dem Judentum wichtig: Wie wir die Kompositionsgeschichte eines jeden Evangeliums verstehen, wird notwendigerweise auch beeinflussen, wie wir seine Inhalte auffassen – einschließlich des Verhältnisses zu Juden, die Jesus nicht als Messias betrachteten.

      Ebenso ist es schwierig, das Verhältnis der Evangelisten und ihrer frühen Leserschaft zum nicht-messianischen Judentum zu eruieren. Zitate aus der Septuaginta sind weder ein Hinweis auf einen jüdischen Verfasser noch auf ein jüdisches Publikum, da dieser Text auch bei den nichtjüdischen christlichen Gemeinden für heilig gehalten wurde, wie die Paulusbriefe zeigen. Das Matthäus- und das Johannesevangelium werden allgemein als Kompositionen für eine Minderheit gesehen, die von der größeren jüdischen Gesellschaft abgelehnt wurde. Dieser hypothetische Kontext wird dann herangezogen, um zu erklären, warum Mt 27,25 der jüdischen Gemeinde eine kollektive Schuld für Jesu Tod zuschreibt, weil „alles Volk“ gerufen habe: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ In Joh 8,44 sagt Jesus zu „den“ Juden (gr. Ioudaioi): „Ihr habt den Teufel zum Vater“. Literarische Polemik spiegelt jedoch nicht unbedingt tatsächliche gesellschaftliche Verhältnisse wider. Frühere Behauptungen, dass die Evangelien eine Reaktion auf eine angebliche Versammlung von Rabbinen im Jahr 90 u.Z. in Jamnia (Javne) seien, die ihrerseits beschlossen hatten, dass die Anhängerinnen und Anhänger Jesu Häretiker seien, die man aus den Synagogen ausschließen müsse, werden durch jüdische Quellen widerlegt (s. „Birkat ha-Minim“).

      Die Gattung

      Die neutestamentliche Wissenschaft diskutiert, inwieweit die kanonischen Evangelien als Biographien anzusehen sind. Sie sind sicher keine Biographien im modernen Sinn des Wortes: sie bieten keine komplette Lebensgeschichte, da sie z.B. Jesu Kindheit ebenso ignorieren wie das weitere Schicksal von Marias Ehemann Josef, die Fragen, ob Jesus verheiratet war oder nicht, oder welche formelle Erziehung er genoss. Sie erwähnen auch keine Fragen nach der Motivation oder geben in irgendeiner Weise vor, objektiv zu sein. Vielmehr sind sie zu einem bestimmten Zweck verfasst; Johannes (20,31) nennt ihn ausdrücklich: „damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“.

      Die Evangelien ähneln indes in ihrer literarischen Form antiken Biographien (gr. bioi, lat. vitae, Erzählungen des „Lebens“). Zu diesen narrativen Berichten, die gewöhnlich eine einzelne Schriftrolle von 10–12 m bzw. 10.000–20.000 Worte umfassten, gehören auch Plutarchs „Das Leben Alexanders (d.Gr.)“ aus dem 1. Jahrhundert, Suetons „Caesarenleben/Kaiserbiographien“ aus dem frühen 2. Jahrhundert und das vom griechischen Philosophen Philostratos (170– ca. 247 u.Z.) verfasste „Leben des Apollonius von Tyana“, eines Lehrers und Wundertäters aus dem 1. Jahrhundert. Diese Biographien bieten zumeist Informationen zur Familie des Protagonisten und den Umständen seiner Geburt, seiner öffentlichen Wirksamkeit und seinem (üblicherweise heldenhaften) Tod. Die Texte sollten die Leserinnen und Leser zur Nachahmung der Tugenden der Helden anregen.

      Die Evangelien weichen in mehrerlei wichtigen Hinsichten von diesen antiken Biographien ab. Der Hauptunterschied ist die Anspielung der Evangelien auf die Schriften Israels (gewöhnlich in ihrer griechischen Übersetzung, der Septuaginta). Diese Bezugnahmen – z.B. die Genealogie am Anfang des Matthäusevangeliums, die Jesus mit Abraham, David und Mose verknüpft, die Verbindung Johannes des Täufers mit der Prophetie Jesajas am Anfang des Markusevangeliums, die Darstellung der Eltern des Täufers bei Lukas im Lichte anderer biblischer Paare, die mit Unfruchtbarkeit zu kämpfen hatten, oder der Prolog des Johannesevangeliums mit seiner großartigen Wiederaufnahme von Gen 1,1–2 – machen deutlich, dass die Evangelien als Teil einer größeren Geschichte und als Erfüllung dieser Geschichte geschrieben worden sind. Quellen aus der Zeit des Zweiten Tempels enthalten andere Beispiele von (antiken) Biographien, wie die autobiographische „Vita“ des Josephus oder Philos„Leben Moses“, aber diese Gattung gibt es nicht unter den rabbinischen Quellen. Es gibt keine rabbinischen Bücher über das Leben Abrahams, Moses oder Davids, Hillels, Rabbi Aqivas oder Rabbi Jehuda ha-Nasis. Dies ist eine von mehreren bedeutsamen Unterschieden zwischen den Evangelien und späteren jüdischen Schriften. Außerdem bezogen sich jüdische Texte im Vergleich mit denen, die die Anhänger Jesu Christi verfassten, stärker auf die Gemeinde/Gemeinschaft. So diskutieren in rabbinischen Kommentaren mehrere Gelehrte miteinander,

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