Das Neue Testament - jüdisch erklärt. Группа авторов

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Apostelgeschichte ist sozusagen die Fortsetzung des dritten Evangeliums, wie der Autor beider, der Evangelist Lukas, im Prolog seiner Schriften klarstellt. Die Apostelgeschichte folgt in mehrfacher Hinsicht auch dem Modell der Evangelien: Wie die Anmerkungen im Kommentarteil zeigen, führen Petrus und Paulus das Wirken Jesu weiter und dienen wie er als Rollenmuster für die Christusgläubigen. Dennoch ist die Apostelgeschichte kein Evangelium, sondern bildet eine eigene Gattung mit eigenen Quellen, die sie beeinflusst haben, und mit Verbindungen zu anderer Literatur der Antike.

      Die Apostelgeschichte kann als eine Gestalt der antiken Geschichtsschreibung klassifiziert werden, in der man Lukas als Berichterstatter des Geschehens erkennen kann; dadurch kann sie mit anderen historiographischen Werken wie den Schriften Herodots und Thukydides‘ verglichen werden. Diese Sichtweise wird auch durch den Prolog des Evangeliums gestützt, in dem Lukas davon spricht, Quellen benutzt zu haben, um einen Bericht „in guter Ordnung“ zusammenzustellen (Lk 1,3). Einige Elemente in der Apostelgeschichte passen inhaltlich zu Materialien der Paulusbriefe (z.B. die Treffen zwischen Paulus und den Kirchenleitern der Gemeinde in Jerusalem [Gal 2 // Apg 15]), was manche Gelehrte zu der Annahme bringt, dass beide Quellen einander bestätigen und sie so gemeinsam eine zutreffende Geschichtsdarstellung bieten. Diese Position ist allerdings problematisch, da diese Ähnlichkeiten auch auf literarischer Abhängigkeit beruhen könnten und nicht auf einer voneinander unabhängigen Bezeugung von Fakten. Die Analogie zu Herodot und Thukydides ist auch kein Beweis für eine objektive Darstellung der Vergangenheit, da die Wissenschaft der klassischen Antike heutzutage mehrheitlich anerkennt, dass auch die antiken Historiker ihre Geschichten so präsentierten, wie sie sie ihren Leserinnen und Lesern vermitteln wollten. Das Gleiche gilt für die hellenistisch-jüdischen Zeitgenossen des Lukas wie z.B. den Geschichtsschreiber Josephus.

      Anders als die klassischen griechischen Geschichtsschreiber schreibt Lukas in durchgängigem formellen wie inhaltlichen Bezug auf die Septuaginta. Er betrachtet die Ereignisse, die er im Evangelium und der Apostelgeschichte beschreibt, auf diese Weise als Teil einer „Heilsgeschichte“, eines Berichtes darüber, wie Gott die Bundesgemeinschaft rettet: Deshalb hat die Apostelgeschichte auch unauflösliche Bezüge zu den Geschichtsbüchern aus den Schriften Israels, wie den Samuel-, Könige- und Chronikbüchern sowie Esra und Nehemia. Die Bibelwissenschaft ist sich einig, dass auch diese Bücher keine reine Geschichtsdarstellung bieten. Mehr noch: Obwohl die Apostelgeschichte in den sogenannten „Wir-Berichten“, in denen der Autor Paulus auf seinen Reisen zu begleiten scheint (s. Apg 16,10–17; 20,5–21,18; 21,19–26,32; 27,1–28,16), den Eindruck eines Augenzeugenberichts erweckt, ist es unsicher, ob Lukas überhaupt persönliche Erfahrungen wiedergibt oder Zugriff auf einen Reisebericht hatte oder auch die erste Person Plural nur deshalb gebraucht, um dem Bericht Plausibilität zu verleihen.

      Es existieren keine externen Quellen, die Lukas‘ Beschreibung der enthusiastischen frühen Jahre der christlichen Gemeinde in Jerusalem stützen könnten. Lukas schreibt wohl in Kenntnis der Paulusbriefe, auch wenn die Apostelgeschichte die Briefe nicht erwähnt und die Fachleute darüber streiten, ob er zu ihnen Zugang hatte. Wie das Lukasevangelium eine bestimmte Christologie vertritt, die von der bei Matthäus, Markus und Johannes verschieden ist, so vertritt auch die Apostelgeschichte eine bestimmte Sicht auf Paulus. Diese Charakterisierung des Paulus weicht von seiner Selbstdarstellung in seinen Briefen ab. Angesichts der Tatsache, dass Paulus sich einen Ruf als Redner gegen die Tora erworben hatte (s. „Paulus im jüdischen Denken“), „rehabilitiert“ die Apostelgeschichte Paulus, indem sie ihn wieder als loyalen Juden darstellt, der die Beschneidung praktiziert und an den Ritualen im Jerusalemer Tempel teilnimmt (z.B. Apg 16,1–3; 21,26).

      Eine neuere, kontrovers diskutierte These zur Gattung der Apostelgeschichte ist, dass sie teilweise von antiken hellenistischen Liebesnovellen wie Charitons Chaereas und Kallirhoe und Xenophon von Ephesos‘ Ephesiaka inspiriert sei und sie somit nicht Geschichte (d.h. was wirklich passiert ist) wiedergebe, sondern vor allem unterhaltende Erzählliteratur mit einem lehrhaften Einschlag biete. Diese Klassifikation ihres Genres passt gut zu den apokryphen Apostelakten, die, wie die oben genannten apokryphen Evangelien, mehr unterhaltende und erbauliche Details über die handelnden Charaktere und Ereignisse in den kanonischen Schriften bieten. So erzählen die Akten des Paulus und der Thekla, ein Text aus dem frühen 2. Jahrhundert, die Abenteuer der Thekla nach, einer hübschen nichtjüdischen Frau, die ihrer Ehe entsagt, um Paulus zu folgen. In ähnlicher Weise in eine Botschaft der Enthaltsamkeit gekleidet, beschreiben die Thomasakten die christliche Mission Indiens durch den Apostel Thomas.

      Ebenso wie diese späteren Texte, die schon durch ihren Titel („Akten/Apostelakten des/der …“) eine Beziehung zur kanonischen Apostelgeschichte herstellen, hat auch diese viele unterhaltende Facetten. Apg 14,8–18 z.B. erzählt die Missionsreise des Paulus und Barnabas nach Lystra, wo sie irrtümlich für Zeus und Hermes gehalten werden. Das Publikum des Lukas dürfte hier die Anspielung auf Ovids Legende von Philemon und Baucis (aus den Metamorphosen) wiedererkannt haben, die ebenfalls in Phrygien spielt. Apg 20,7–12 beschreibt einen jungen Mann namens Eutychus (gr. „der mit einem guten Schicksal“, „der Glückliche“), der während einer Predigt des Paulus einschläft, aus einem Fenster im Obergeschoss fällt und stirbt, nur um von Paulus wiederbelebt zu werden, welcher danach mit seinen Lektionen bis zum Morgen fortfährt (Apg 20,7–12). Diese Ähnlichkeiten sollen jedoch nicht heißen, dass alle Erzählungen in der Apostelgeschichte Fiktion sind.

      Die Frage nach der Historizität der Apostelgeschichte stellt sich in ähnlicher Weise wie bei den Evangelien. Der Leser und die Leserin, die an Wunder glauben, werden die Wundergeschichten in der Apostelgeschichte vermutlich als Historie verstehen – von der Himmelfahrt Jesu (Apg 1,9) über zahlreiche Heilungswunder (z.B. Apg 3,1–8; 5,15–16; 8,6–7; 9,17–18.32–43; 10,38; 14,7–10; 16,16–18; 19,11–12; 20,9–12; 28,3–19) bis hin zu den Befreiungen aus dem Gefängnis durch Engel (Apg 5,22–23; 12,6–11; 16,26–27). Andere werden die Geschichten als literarische Mittel zum Zweck wahrnehmen, theologische Botschaften wie „Christus befreit aus allen Fesseln“ oder „Christus heilt“ zu verkündigen. Wieder andere werden diese Passagen als zeitgebundene Legenden verstehen, die in der frühen Gemeinde der Christusgläubigen aufkamen und die wenig oder gar nichts mit gegenwärtigen Ereignissen zu tun haben.

      Auch hier erweist sich ein Vergleich mit Josephus als hilfreich, der ebenfalls behauptet, Geschichte zu schreiben. In seinen Jüdischen Altertümern (zu denen, wie manche behaupten, auch Lukas Zugang hatte,) verleiht Josephus seiner Absicht Ausdruck, die Geschichte des jüdischen Volkes nachzuerzählen. Wenn man jedoch Josephus mit seinen Quellen vergleicht, dann sieht man, dass er durchweg Details abändert, Material hinzufügt und das überlieferte Material kürzt oder anderweitig abändert, damit es seinen eigenen apologetischen Zwecken dient. Lukas tut wahrscheinlich das Gleiche: Sowohl die Evangelien als auch die Apostelgeschichte beruhen zwar auf historischen Zeugnissen, aber der Autor erzählt die Geschichte – wie jeder andere gute Autor in der Antike auch – auf die Art und Weise, dass er damit seine Zwecke am besten verfolgen kann. Gerade die Reden der Apostelgeschichte, wie die Reden in vielen anderen antiken „Geschichten“ – sind Kompositionen des Lukas, ebenso wie die berühmte aufrüttelnde Rede des Elasar ben Jair auf Masada vor dem Angriff der Römer (Bell. 7,339–388) von Josephus verfasst wurde. Bereits Thukydides selbst erkannte die Notwendigkeit an, solche Reden selbst auszugestalten, insofern sie dem angemessen waren, was hätte gesagt werden müssen (hist. 1,22,1).

      In welchem Umfang die Evangelien und die Apostelgeschichte wiedergeben, „was wirklich geschah“, wird auch weiterhin umstritten bleiben – genauso, wie die Traditionen, die in den Schriften Israels aufgezeichnet worden sind, wie z.B. die Schöpfungsgeschichte und die Geschichte vom Garten Eden (Gen 1–3), der Exodus oder die Wunder, die Daniel und seinen jüdischen Freunden in Babylon widerfuhren, zumindest diskussionswürdig sind. Aber alle diese Materialien – gleich, ob sie im Tanach oder im Neuen Testament zu finden sind – sind eben mehr als einfache Annalen oder Ansammlungen von Details. Sie sind dazu gedacht, die Leserinnen und Leser zu inspirieren und

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