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heißt, Abweichungen von der gesellschaftlichen Norm lassen sich im realen Raum verorten. Dies geschieht durch, je nach kulturellem Kontext verschiedene Mechanismen der Ab- und Ausgrenzung. Im fünften Kapitel dieser Arbeit wird daher nicht nur zu untersuchen sein, in welcher Form sich weibliche Figuren bei Onetti dem patriarchalen System widersetzen, sondern auch, an welchen Orten diese Handlungen lokalisiert – und in diesem Sinne dort (und nur dort!) auch gesellschaftlich geduldet – sind. Die Heterotopie beschreibt damit eine Raumfigur, die eine gesellschaftliche Abweichung vom Inneren des Diskurses durch Abgrenzung in ein ‚Außen‘ verlagert.

      Je nachdem, unter welchen kulturellen Prämissen diese Grenzziehung vollzogen wird, unterscheidet Foucault Krisen- und Abweichungsheterotopien. Erstere seien vor allem in Kulturen zu finden, die Raum dichotomisch organisieren, etwa über die Zuschreibungen ‚heilig‘ und ‚profan‘ oder ‚privilegiert‘ und ‚verboten‘ – oder, wie sich hinzufügen ließe, ‚privat‘ und ‚öffentlich‘.115 In modernen Gesellschaften, so Foucault weiter, seien diese Formen der Raumaufteilung und damit die Krisenheterotopien jedoch „im Verschwinden begriffen“.116 Abgelöst würden sie von Abweichungsheterotopien. Diese bezeichneten „Orte, an denen man Menschen unterbringt, deren Verhalten vom Durchschnitt oder von der geforderten Norm abweicht“117.

      Insgesamt führt Foucaults sechs Punkte an, um die Merkmale und Modalitäten, die eine Heterotopie konstituieren, zu beschreiben.118 Zunächst bezeichnet er das Hervorbringen von Heterotopien als „eine Konstante aller menschlichen Gruppen“.119 Deren potentielle Veränderlichkeit bezüglich ihrer Funktions- und Bedeutungsweise im Laufe der Zeit bilde den zweiten Grundsatz.120 Für die vorliegende Arbeit bedeutet das, zu zeigen, welche Orte in Onettis Texten überhaupt als ‚Gegenorte‘ wirksam werden. Der dritte Grundsatz handelt von der räumlichen Vereinbarkeit eigentlich nicht vereinbarer Orte an einem einzigen Ort.121 Ein viertes Charakteristikum stellt die zeitliche Komponente in Form einer Heterochronie dar. Jede Heterotopie funktioniere demnach über „einen absoluten Bruch mit der traditionellen Zeit“122. Foucault unterscheidet dabei zwischen „ewigkeitsorientierten“ Heterotopien, wie etwa dem Friedhof oder der Bibliothek einerseits, und „zeitweiligen“, d.h. temporär begrenzten bzw. repetitiven Heterotopien, wie etwa dem Jahrmarkt oder dem Theater andererseits.123 In Kapitel 5.3 dieser Arbeit wird es jedoch weniger um die damit beschriebene ‚Akkumulation‘ von Zeit gehen, sondern vielmehr um die Frage, über welche Zeitspanne genderspezifische Heterotopien bei Onetti wirksam sind bzw. ob sich überhaupt ein entsprechender ‚Wirkungszeitraum‘ definieren lässt. Der fünfte Grundsatz handelt von den praktischen Zugangsmodalitäten einer Heterotopie. Er setzt „ein System der Öffnung und Abschließung voraus, das sie [die Heterotopie, eig. Anmk.] isoliert und zugleich den Zugang […] ermöglicht“124. Mit anderen Worten: Eine Heterotopie ist kein willkürlich wählbarer Ort, sondern bestimmten gesellschaftlichen Mechanismen und Gesetzen der Abgrenzung unterworfen, die den Zugang reglementieren – die Modalitäten dieser ‚Einlassbeschränkungen‘ sind wiederum abhängig von der jeweiligen Bedeutungszuschreibung und dem gesellschaftlichen Kontext, in dem eine Heterotopie zum Tragen kommt. Der sechste und letzte Grundsatz beschreibt das Verhältnis zur gesellschaftlichen Ordnung – und rekurriert damit auch stärker als alle anderen Charakteristika auf hegemoniale Machtverhältnisse. So gibt es einerseits die Heterotopien, wie etwa die Bordelle, die „einen illusionären Raum schaffen, der den realen Raum […] als noch größere Illusion entlarvt“125, d.h. einen Illusionsraum, der die Ordnung des realen Raums unterläuft. Das Gegenstück dazu bildet die „kompensatorische Heterotopie“, wie sie etwa in den Kolonien des 17. Jahrhunderts verwirklicht wurde und die sich durch „vollkommene Ordnung“ im Gegensatz „zur wirren Unordnung“ des realen Raumes ausweist.126 Über die Analyse weiblicher Widerständigkeiten in Kapitel 5 dieser Arbeit wird daher auch zu diskutieren sein, in welchem Verhältnis der fiktive Raum der Großstadt (Buenos Aires und Montevideo) und der metafiktive Raum Santa María zueinander stehen.

      Macht

      Wie bereits in den Ausführungen über die Heterotopien angeklungen, ist jede gesellschaftliche Ordnung von spezifischen Machtstrukturen geprägt.127 So konstituiert sich nach Foucault ein Machtgefüge allein darüber, dass es Dinge gibt, die offen zirkulieren, und andere, die nicht offen zirkulieren, sondern vermittels der Diskursanalyse erst als Negation an die Oberfläche befördert werden müssen. Die Verknüpfung des Foucault’schen Diskursbegriffs mit seinem relationalen Machtbegriff verläuft jedoch nicht geradlinig, sondern geht mit einem radikalen Umbruch in seinem Denken einher, sprich: Foucault wird vom Archäologen zum Genealogen. Diese Ruptur lokalisiert Sarasin in einem Aufsatz, den Foucault 1971 über Friedrich Nietzsches programmatische Frage ‚Wer spricht?‘ verfasst hatte.128 Auch wenn Foucault einen normativen Subjektbegriff nach wie vor ablehnt und das Subjekt weiterhin als historisch Geformtes begreift, kommt er nicht umhin, die Machtfrage auf das Subjekt bezogen neu zu stellen.129 Er spricht dabei von einer Bühne, auf der dasselbe Stück immer wieder gespielt werde, „jenes Stück nämlich, das Herrscher und Beherrschte unablässig aufführen“130. „Die Regel“ dafür sei, „die kalkulierte Lust am Gemetzel und die Hoffnung auf Blut“.131 Letztendlich läuft diese Machtfrage auf ein Durchsetzen des Stärkeren hinaus:

      Das große Spiel der Geschichte dreht sich um die Frage, wer sich der Regeln bemächtigt; wer an die Stelle derer tritt, die sie für sich nutzen; wer sie am Ende pervertiert, in ihr Gegenteil verkehrt und gegen jene wendet, die sich einst durchsetzten […].132

      Macht stellt bei Foucault demnach ein historisch veränderbares, relationales Konstrukt dar, das nur innerhalb eines bestimmten Diskurses betrachtet werden kann. Macht-Raum-Relationen bildeten gesellschaftliche Hierarchien ab und vice versa. Foucaults Machtbegriff ist damit relational und deskriptiv.133 Anstatt nach Legitimierung, Ursprung oder Grenzen der Macht zu forschen, untersucht Foucault spezifische „Machttechniken“134. Er fragt also nach dem WIE der Macht. Der Foucault’sche Machtbegriff eignet sich damit sehr gut für die Untersuchung genderspezifischer Machtstrukturen, wie diese Arbeit in den Kapiteln 4 und 5 zeigen wird, insofern durch den relationalen Charakter von Macht nicht nur eindimensionale Strukturen, sondern auch machtbesetzte Wechselwirkungen innerhalb der Geschlechterverhältnisse bei Onetti herausgearbeitet werden. Ein weiterer Aspekt des Foucault’schen Machtverständnisses, der sich aus der Relationalität ergibt und eben dieses für die nachstehende Textanalyse so fruchtbar macht, ist die Frage nach der Verortung von Macht. So argumentiert Foucault aus einer historischen Perspektive, dass sich Macht im Laufe der Neuzeit von einem ausübenden Subjekt gelöst und zu einem komplexen gesellschaftlichen Konstrukt verändert hat. Demnach wird eine bis ins 17./18. Jahrhundert gültige subjektabhängige Machtposition von einer relationalen abgelöst:

      Das Prinzip der Macht liegt weniger in einer Person als vielmehr in einer konzertierten Anordnung von Körpern, Oberflächen, Lichtern und Blicken; in einer Apparatur […] Folglich hat es wenig Bedeutung, wer die Macht ausübt.135

      Die alles erfassende Beobachterposition könne folglich von jeder beliebigen Person eingenommen werden und ist nicht mehr an einen bestimmten Herrschaftskörper, wie etwa den des Königs gebunden.136 Analog dazu lässt sich bei Onetti eine „Erzählmacht“ herausarbeiten, die insbesondere in den späten Texten nicht mehr zwingend einer Figur zugeordnet werden kann, sondern sich aus dem Textgeflecht selbst ableitet. Im vierten Kapitel wird dieser Gedanke weiter ausgeführt.

      Nach Foucault wird Macht also nicht mehr von einer bestimmten Person auf ein Objekt ausgeübt, wie etwa die Macht, die ein mittelalterlicher Herrscher durch das System der Leibeigenschaft auf einzelne Untertanen ausübte, sondern besteht aus einem Geflecht zwischen Personen und Institutionen. Grundlegend sei dabei die Freiheit aller Beteiligten sowie der Körper als (neben dem Raum) wichtigster Referenzpunkt der Macht. Da sie den Körper durchdringe, sei Macht ohne Körper grundsätzlich nicht denkbar. Sämtliche Maßnahmen zur Disziplinierung einer Gesellschaft oder Normierung von Subjekten adressierten den Körper. Dies wiederum führt Foucault auf Machttechniken zurück, die ab dem 17./18. Jahrhundert „Produktion und Leistung“ durch den Einsatz des Körpers zum Ziel hatten.137 Diese

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