Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion. Johanna Vocht

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Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion - Johanna Vocht Orbis Romanicus

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welche die Verfasstheit der Bevölkerung als Richtschnur betrachtet, werde auch von ökonomischen Dispositiven beeinflusst und vice versa. Diese seien wiederum nicht starr festgelegt, sondern historisch veränderbar.

      Die Begriffe Biomacht und Biopolitik verwendet Foucault in seinen Ausführungen überwiegend synonym.149 In Der Wille zum Wissen (2016 [1976 franz.]) beschreibt er den historischen Wandel von einer Souveränitätsmacht, die auf den Staatskörper als Ansammlung von Untertanen baut, und einer Biomacht oder Biopolitik, die den Gesellschaftskörper als biologische Einheit und vor allem Ressource begreift. Damit geht auch eine fundamentale Verschiebung in Bezug auf Leben und Tod einher, denn während die Souveränitätsmacht noch auf den Tod als Disziplinierungsmaßnahme einzelner Subjekte setzte, folgt die Biopolitik der Prämisse, Leben zu erhalten und vielmehr dessen Entstehen und Ausprägung mithilfe verschiedener Machttechniken zu disziplinieren.150 Foucault schreibt dazu:

      Der Souverän übt sein Recht über das Leben nur aus, indem er sein Recht zum Töten ausspielt – oder zurückhält. Er offenbart seine Macht über das Leben nur durch den Tod, den zu verlangen er imstande ist. Das sogenannte Recht ‚über Leben und Tod‘ ist in Wirklichkeit das Recht, sterben zu machen und leben zu lassen. Sein Symbol war ja das Schwert.151

      Die fundamentale Machttechnologie des Souveräns richtete sich folglich gegen die Körper Einzelner. Er entschied, ob ein Untertan sein Leben weiterführen durfte oder nicht. In letzterem Fall stehe das Schwert des Souveräns symbolisch für dessen physische Potenz, das Leben eines Untertanen zu beenden. Diese Macht des Souveräns markiert „die Grenzlinie […], die die gehorsamen Untertanen von den Feinden des Souveräns scheidet“152. Im Gegensatz dazu richte sich Biopolitik auf den Fortbestand eines biologischen Gesellschaftskörpers, der sich aus vielen einzelnen Körpern zusammensetzt. Damit änderten sich auch die Techniken der Macht: Aus einer (mit dem Tod) strafenden wird eine leitende, führende Herrscherinstanz, die sich stark an der christlichen Pastoralmacht orientiert, die bei Onetti durch die Figur des Pfarrers Antón Bergner verkörpert wird und im 16./17. Jahrhundert als „eine Kunst, die Menschen zu regieren“ Eingang in das moderne Staatswesen fand.153 Mit Rückgriff auf die Anti-Machiavellistischen Schriften Guillaume de La Perrières betont Foucault, „daß der wahre Führer keinen Stachel brauche, das heißt kein Werkzeug, um zu töten, kein Schwert, um seine Regierung auszuüben. Er muß eher Geduld haben als Zorn, oder mehr noch: Nicht das Recht, zu töten, nicht das Recht, seine Stärke geltend zu machen darf das Wesentliche einer Führungsperson sein.“154 Die Biomacht des modernen Staates setzt damit weit früher an, indem sie sich grundsätzlich um eine Vermehrung, Erhaltung und Verwaltung der eigenen gesellschaftlichen ‚Biomasse‘ bemüht. Statt in Getreue und Staatsfeinde zu scheiden, normiere und ordne die Biomacht die einzelnen Gesellschaftskörper zu einem großen Ganzen:

      Die Fortpflanzung, die Geburten- und die Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit allen ihren Variationsbedingungen wurden zum Gegenstand eingreifender Maßnahmen und regulierender Kontrollen: Bio-Politik der Bevölkerung. […]. [Sie] charakterisiert eine Macht, deren höchste Funktion nicht mehr das Töten, sondern die vollständige Durchsetzung des Lebens ist. Die alte Mächtigkeit des Todes, in der sich die Souveränität symbolisierte, wird nun überdeckt durch die sorgfältige Verwaltung der Körper und die rechnerische Planung des Lebens.155

      Biomacht operiert damit vermittels eines Wissens über die Lebensumstände. Sie generiert ihre Wirkmächtigkeit über eine Verwaltung des Lebendigen – im Gegensatz zu einer Verfügungsgewalt über den Tod, wie sie der Souverän innehält. Brausen als fiktive Schöpferinstanz setzt genau dort an: Indem er seinen Figuren verbietet zu sterben, bestimmt er über ihr Leben. So besteht Brausens Machttechnologie, die er gegenüber Díaz Grey und den anderen Figuren anwendet, eben gerade nicht darin, sie zu töten. Besonders ausgeprägt tritt diese Technologie in einem kategorischen Verbot von Abtreibungen zutage. Dies soll in Kapitel 4.3 näher ausgeführt werden. So gilt Selbstmord in Brausens moralischem Koordinatensystem als Todsünde und ‚Desertation‘, wie Díaz Grey in La muerte y la niña (1973) erläutert: „No le hablo de una destrucción total porque también eso sería pecado mortal. Y Brausen no perdona las deserciones.“ (MN 587)

      Ein Regierungssystem, das laut Foucault auf Bevölkerung als strategische (oder, bezogen auf das Analysekorpus, wie Brausen als poetologische) Ressource baut, zielt also einerseits auf das Hervorbringen, Vermehren und die Pflege dieses Gesellschaftskörpers. Andererseits versucht es, dessen Produktion durch Regeln und Normen zu kontrollieren, d.h. staatlich zu lenken. Diesen Wechsel von einem Machtverständnis ‚von unten‘, d.h. der grundsätzlichen Negierung einer staatlichen Macht und der Betonung des anarchischen Moments von Macht, zu einer leitenden, führenden Staatsmacht, vollzieht Foucault in seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität in den 1970er Jahren, wie Brigitte Bargetz, Gundula Ludwig und Brigit Sauer konstatieren. Sie stellen dar, dass Foucaults Verständnis von Macht in seinen frühen Schriften vor allem als Gegenentwurf zu einem rein staatlichen, juridischen Machtverständnis konzipiert war. Dieses sei vor allem durch eine umfassende Relationalität gekennzeichnet, die eine Herrscherinstanz ausschließe. Macht durchdringe damit bei Foucault sowohl gesellschaftliche als auch private Kontexte und sei unabhängig von einer übergeordneten Distanz, welche die Macht ‚innehalte‘.156 Diese allumfassende Relationalität wurde teilweise als Beliebigkeit, im Sinne eines „Kampfes ‚jeder gegen jeden‘“157, interpretiert und bildet damit auch einen der drängendsten Kritikpunkte an Foucaults Machttheorie. Bargetz, Ludwig und Sauer arbeiten jedoch heraus, dass Foucaults Machtkonzeption das Dilemma der vorgeblich fehlenden Herrscherinstanz (welche sich aus einer Negierung staatlicher Hegemonie ergibt) mit der Einführung des Begriffs der Gouvernementalität löst.158 So definiere der moderne Staat beispielsweise, welches Leben grundsätzlich als schützens- und vermehrenswert anzusehen ist. Daraus ergebe sich, so Foucault, auch das Problem des Rassismus als Grundlage für eine Bevölkerungspolitik, die nicht mehr genealogisch, sondern genetisch argumentiert.159 Das heißt, Foucaults Rassismus-Verständnis zielt auf eine Biopolitik, die innerhalb des biologischen Gesellschaftskörpers ansetzt und in ihren Disziplinierungsmaßnahmen ‚das Gesunde‘ vom ‚Kranken‘ scheidet und diese Grenzen auch nach außen hin, d.h. im Krieg mit anderen, verteidigt.160 Innergesellschaftlich manifestieren sich diese Unterscheidungen zwischen krank und gesund wiederum räumlich – etwa in den bereits angesprochenen Disziplinierungsarchitekturen, die er als Heterotopien beschreibt. Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird zu zeigen sein, inwieweit die dichotomische Unterscheidung in ‚krank‘ und ‚gesund‘, ‚schmutzig‘ und ‚sauber‘ den Machtdiskurs innerhalb Santa Marías prägt und welche Auswirkungen dies auf den Reproduktionsdiskurs hat.

      2.3 Gendertheoretische Anschlüsse an Foucaults Gouvernementalitätsansatz

      Entgegen einer allgemeinen Kritik an Foucaults ‚Genderblindheit‘ skizzieren Bargetz, Ludwig und Sauer mehrere feministische Anschlussmöglichkeiten an Foucaults Macht- und Gouvernementalitätsverständnis:161

      Foucaults Theorem des Staates als Effekt von Praxen evoziert aus einer feministischen Perspektive die Frage, wie hegemoniale Konstruktionen von Geschlecht diese Praxen mitformen. Und das Theorem kann dazu dienen, Erklärungen für den androzentrischen, weißen, heteronormativen, ability-zentrierten, bürgerlichen Charakter des modernen westlichen Staates jenseits von essentialistischen Setzungen zu Geschlecht zu finden. Die androzentrische Ausgestaltung des Staates ist somit nicht Ausdruck von Männerherrschaft oder ein Spiegel des ideellen Gesamtpatriarchen, wie dies in frühen feministischen staatstheoretischen Arbeiten argumentiert wurde. Vielmehr wird die historisch-spezifische Rationalität des Staates durch in Praxen gelebte androzentrische, heteronormative, rassisierende, kapitalistische und ability-zentrierte Gouvernementalität begründbar. Nicht zuletzt lassen sich darüber Debatten um (heteronormative) Familien- und Reproduktionspolitiken sowie (vergeschlechtlichte) Sicherheitsdiskurse neu fassen, wenn diese mit Foucault als staatliche Praxen und Teil von Bevölkerungspolitik ausgewiesen werden […].162

      Das Zitat adressiert zunächst die

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