Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion. Johanna Vocht

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Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion - Johanna Vocht Orbis Romanicus

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bzw. ist dieser autopoetischen Ordnung unterworfen. Onettis Texte sind nicht über eine kartographisch nachvollziehbare Topographie oder eine urbane Genealogie strukturiert, sondern über die Beziehungen der Figuren untereinander und zudem in Wechselwirkung mit dem Raum. Entsprechend wird Raum in vorliegender Arbeit als Träger kultureller Einschreibungen, Differenzen, Machtrelationen, Hierarchisierungen etc. fassbar. Konzeptionell geht diese Raumbetrachtung auf eine Reihe einflussreicher deutscher Vordenker wie Walter Benjamin und Georg Simmel oder Friedrich Ratzel zurück.91 Doch erst auf ‚Umwegen‘ fand diese Perspektive wieder Eingang in die aktuelle, deutschsprachige Raumtheorie: So zeichnete sich, wie u.a. Doris Bachmann-Medick feststellt, die deutsche Geisteswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst durch eine skeptisch-zurückhaltende Haltung gegenüber Raumfragen aus, die vor allem auf der historischen Erfahrung der imperialistischen Raum-Politik der Nationalsozialisten beruhte. Erst ab den 1970er Jahren griffen postkoloniale und soziologische Ansätze internationaler Forscher wie Edward Soja, Edward Said, Gayatri Spivak oder Homi Bhabha die analytische Verknüpfung von Raum- und Machtfragen wieder auf und leiteten damit eine (Re)Politisierung von Raum ein.92 Diese fand durch die Rezeption von Soja et al. auch wieder Eingang in den deutschen Diskurs.

      Entsprechend wissen wir im 21. Jahrhundert nicht nur um die geopolitische Bedeutung von Kriegen oder der Folgen des Klimawandels, sondern auch um die symbolische Situierung von Macht an bestimmten Orten, wie etwa Regierungsvierteln oder Finanz-, Wirtschafts- und Technologiezentren. Massey hebt zudem hervor, dass die Situierung von gesellschaftlicher, politischer oder ökonomischer Macht entscheidend von geschlechterspezifischen Prämissen abhängt und dadurch bis heute eine spezifische Machtverteilung zwischen Männern und Frauen manifestiert. Grundlegend dafür ist laut Massey eine bis in die Antike zurückreichende Aufteilung in öffentlichen und privaten Raum, der in der westlichen Tradition geschlechterspezifische Machtverteilungen eingeschrieben sind:

      One of the most evident aspects of this joint control of spatiality and identity has been in the West related to the culturally specific distinction between public and private. The attempt to confine women to the domestic sphere was both a specifically spatial control and, through that, a social control on identity. 93

      So wurden und werden Frauen durch ihre Limitierung auf den Bereich des Hauses sowohl räumlich als auch in der Ausbildung ihrer Identität kontrolliert. Während Massey in ihren Untersuchungen insbesondere die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser geschlechterspezifischen Segregation untersucht, soll in vorliegender Arbeit analysiert werden, inwieweit diese machträumliche Dichotomie zwischen Männern und Frauen in Onettis Texten reproduziert respektive unterlaufen wird. Im Vordergrund soll dabei die Frage stehen, welche Strategien Frauen-Figuren bei Onetti anwenden, um sich innerhalb eines männlich dominierten Diskursraums zu behaupten.

      2.1 Die Macht der öffentlichen Rede

      Bezogen auf eben beschriebene räumliche Aufteilung in öffentlichen und privaten Bereich liegt ein wichtiger Machtaspekt in der (Un)Möglichkeit sich zu äußern und öffentlich Gehör zu finden. So analysiert die britische Historikerin Mary Beard unter dem Titel Women and Power (2018), wie sich die räumliche Dichotomie von öffentlichem und privatem Bereich auf das Sprechverhalten von Männern und Frauen auswirkt. Beard weist nach, dass Frauen einem seit der Antike immer wieder reproduzierten öffentlichen, d.h. außerhäuslichen Sprechverbot unterliegen, und wie dadurch ein Machtgefälle zwischen Männern und Frauen entsteht. Diese öffentliche Sprach- und damit Machtlosigkeit von Frauen beruhe, so Beard, auf der Tatsache, dass öffentliche Rede und öffentlich Gehör finden Macht bedeuteten – und diese im Umkehrschluss durch Sprechverbote beschnitten werden könne. Als historisches Beispiel für ihre Untersuchungen wählt Beard eine emblematische Episode aus der Homer’schen Odyssee (und liefert damit nebenbei auch ein eindrucksvolles Beispiel feministischen Gegen-den-Strich-Lesens). Sie schildert eine Szene zwischen Penelope, der Frau des Odysseus, und ihrem Sohn Telemachos, in der Penelope einen Barden, der vor ihr und einer Schar Freier traurige Lieder singt, bittet, etwas Fröhlicheres anzustimmen. Ihr Sohn verbietet ihr daraufhin den Mund:

      ‘Mother’, he says, ‘go back up into your quarters, and take up your own work, the loom and the distaff … speech will be the business of men, all men, and of me most of all; for mine is the power in this household.’94

      Penelope fügt sich dem Verbot ihres Sohnes und zieht sich zurück. Diese kurze Episode zeigt nicht nur, welche Macht sich Männer seit der Antike Frauen gegenüber herausnehmen, wenn sie ihnen Sprechverbot erteilen, sondern auch die räumlichen Parameter, die starke Dichotomie zwischen öffentlichem und privatem Raum, die mit diesem Verbot verbunden und deren vielfältige sozioökonomische Auswirkungen bis heute sichtbar sind. So verweist Telemachos seine Mutter ins Innere des Hauses (zur Erledigung ihrer eigenen Geschäfte vulgo Hausarbeiten), reklamiert also den öffentlichen Raum für sich und die anderen Männer. Eine Stimme zu haben (im wörtlichen, nicht nur im übertragenen, politischen Sinn) und damit öffentlich Gehör zu finden, bedeutet damit Macht. Keine Stimme zu haben bzw. öffentlich kein Gehör zu finden, bedeutet hingegen Machtlosigkeit. Diese Macht respektive Machtlosigkeit sei, so Beard, klar geschlechterspezifisch organisiert, d.h. Frauen erhielten nicht nur klare Sprechverbote, sondern es galt schlichtweg als ‚unweiblich‘ öffentlich die Stimme zu erheben:95

      [P]ublic speaking and oratory were not merely things that ancient women didn’t do: they were exclusive practices and skills that defined masculinity as a gender. As we saw with Telemachus, to become a man (or at least an elite man) was to claim the right to speak. Public speech was a – if not the – defining attribute of maleness.96

      Das öffentliche Ergreifen des Wortes wurde somit zu einem kulturell konstruierten ‚männlichen Geschlechtsmerkmal‘ einer männlichen Elite.

      2.2 Diskurs, Heterotopie, Macht, Biopolitik und Gouvernementalität

      Während Beards Untersuchungen gezielt auf sprachliche Äußerungen als Ausweis von geschlechterspezifisch organisierter Macht bzw. Ohnmacht ausgerichtet sind und damit nur einen Teilaspekt der Machtbeziehungen zwischen Männern und Frauen fokussieren, ist Foucaults Denken einem lebenslangen Interesse an der Beschreibung und Analyse von Wissensstrukturen in ihrer Historizität sowie den daraus resultierenden gesellschaftlichen Macht-Effekten verbunden. Sprich: Foucault fasst sprachliche Äußerungen als einen von vielen Aspekten, die gesellschaftliche Machtbeziehungen abbilden und strukturieren – allerdings ohne expliziten gendertheoretischen Ansatz. Dass Foucaults relationaler Machtbegriff und in dessen Fortführung seine Konzepte von Biomacht, Biopolitik und Gouvernementalität für diese Arbeit dennoch grundlegend sind, soll mit Rückgriff auf einen feministischen Anschluss an seine Schriften in Kapitel 2.3 nachgezeichnet werden. Es wird zu zeigen sein, dass die Unterteilung in öffentlichen und privaten Raum sowie damit verbundene genderspezifische Machtzuschreibungen auch für Foucaults Überlegungen zur historischen Genese des Gouvernementalitätsbegriffs entscheidend sind, insofern dieser auf dem Konzept der Biopolitik oder Biomacht beruht und damit wiederum eng mit dem Aspekt der Reproduktion verknüpft ist.

      Bevor der Zusammenhang zwischen Biomacht, Biopolitik und Gouvernementalität näher erläutert wird, werden jedoch zunächst die von Foucault geprägten Termini Diskurs, Heterotopie und Macht konzeptionell entfaltet. Dadurch sollen die Zusammenhänge zwischen Raum und Macht in seinen Schriften sowie die Genese seines Gouvernementalitätsbegriffs deutlich werden.

      Diskurs

      Die Vorüberlegungen, die zu Foucaults Diskursbegriff geführt haben, gehen zurück auf die zeitgleiche Publikation zweier sehr unterschiedlicher Monographien. Dies war einerseits die literaturwissenschaftliche Analyse des Gesamtwerks von Raymond Roussel (1963) und andererseits die Geburt der Klinik (1963). Was diese beiden, in Methodik und Wissenschaftsdisziplin so verschiedenen Publikationen eint, ist der Gedanke, eine Sache von ihrem Ende her zu betrachten, sprich: den Tod nicht als Ende, sondern als Schlüssel zum Verständnis

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