Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion. Johanna Vocht

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Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion - Johanna Vocht Orbis Romanicus

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verweisen auf die Möglichkeit, über Foucaults Gouvernementalitätsverständnis geschlechtsspezifische Akkumulationen von Macht, wie sie insbesondere patriarchale Strukturen aufweisen, aufzuschlüsseln. Ihr Anschlussvorschlag richtet sich damit gegen feministische Patriarchatstheorien, die eine bestimmte Männlichkeit als eindimensional und alleinursächlich für die Unterdrückung der Frau gelesen haben.163 Mit Foucault, so ihre Argumentation, ließen sich spezifisch androzentrische, heteronormative, rassisierende, kapitalistische und ability-zentrierte Strukturen und Verhaltensweisen als Effekte von Macht und nicht als konstitutiv für eine moderne westliche Regierungsform herausarbeiten. Der zweite Punkt, auf den das obige Zitat verweist, ist die geschlechterspezifische Adressierung, die Bio- oder Bevölkerungspolitik beinhaltet und die über eine gendersensible Perspektive sichtbar gemacht werden kann. Das heißt, mit Foucaults deskriptiver Methode, Machtstrukturen offenzulegen, lassen sich genderspezifische Ungleichheiten und Asymmetrien ablesen. Ausführlich erläutert wird dieser Anschluss von Isabell Lorey in ihrem Beitrag "Das Gefüge der Macht" (2015). Nach der Analyse der konzeptuellen Veränderungen, die der Begriff der Macht innerhalb des Foucault’schen Gesamtwerks erfahren hat, fokussiert Lorey genderabhängige Strategien von Gouvernementalität und insbesondere solche, die sich auf die Lenkung weiblicher Sexualität sowie weiblicher Gebär- und Erziehungsfähigkeit beziehen. Sie macht Foucaults Machtbegriff damit für die Untersuchung weiblicher Widerständigkeit und Selbstbehauptung innerhalb eines, so eine der initialen Thesen dieser Arbeit, männlich dominierten Diskursraums Santa María fruchtbar. Als Hauptanknüpfungspunkt für ihre feministische Re-Lektüre der Foucault’schen Machtgefüge nennt Lorey die Verwendung des Wortes „sexe“. Sie übersetzt „sexe“, anders als die bei Suhrkamp erschienene deutsche Übersetzung seines Gesamtwerks, als ‚Geschlecht‘ und leitet daraus eine bei Foucault zwar nicht explizit ausgeführte, jedoch grundsätzliche Offenheit bezüglich gendertheoretischer Zugänge ab. Sie schreibt:

      Mit Geschlecht bezeichne ich im Folgenden jene identitäre Materialisierung biopolitischer Machtverhältnisse, die Foucault im Französischen als sexe bezeichnet und die in den deutschen Übersetzungen seiner Texte in der Regel missverständlich mit dem Wort ‚Sex‘ angegeben ist. Sexe/‚Geschlecht‘ umfasst hier die Konstruktion eines vereindeutigten und vereinheitlichten biologischen und sozialen Geschlechts mitsamt einer heteronormativen Sexualität.164

      Diese heteronormative Sexualität, die Lorey anspricht, thematisiert Foucault vor allem über ihre Normierung innerhalb der bürgerlichen Familie. Diese fungiere als „Element innerhalb der Bevölkerung und als grundlegendes Relais zu deren Regierung.“165 In seinen Vorlesungen zur Gouvernementalität erläutere Foucault die Transformation der bürgerlichen Familien von einem „Modell zum Instrument der Regierung“166 folgendermaßen:

      [D]ie Regierungskunst konnte bis zum Aufkommen der Bevölkerungsproblematik nur vom Modell der Familie, von der als Verwaltung der Familie verstandenen Ökonomie her gedacht werden. Von dem Moment an, wo die Bevölkerung im Gegenteil als etwas auftaucht, das sich durchaus nicht auf die Familie reduzieren läßt, wechselt die Familie im Verhältnis zur Bevölkerung folglich auf eine niedrigere Ebene; […] Sie ist also kein Modell mehr, sie ist ein Segment, ein einfach deshalb privilegiertes Segment, weil man, sobald man bei der Bevölkerung hinsichtlich des Sexualverhaltens, hinsichtlich der Demographie, der Kinderzahl, hinsichtlich der Konsumtion etwas erreichen will, sich an die Familie wenden muß.167

      Die bürgerliche Familie als symbolischer Ort biologischer Reproduktion, Erziehung und privater Fürsorge wurde somit zum wichtigsten Hebel biopolitischer Strategien. Über die Steuerung der bürgerlichen Familie ließen sich etwa medizinische Erkenntnisse zur Vermeidung von Kindersterblichkeit in den Gesellschaftskörper einspeisen. Familienpolitik wurde damit zum Schlüsselelement der Biopolitik – wodurch letztere als immanent geschlechterspezifisch gekennzeichnet war.168

      Wie Massey und Beard verweist auch Lorey auf die vergeschlechtlichte Dichotomie von privatem und öffentlichem Raum: So werde mit der von Foucault herausgearbeiteten Fokussierung der Familie als Kernelement biopolitischer Gouvernementalität der Gegensatz zwischen öffentlichem und privatem Bereich weiter geschlechtsspezifisch aufgeladen. Daraus ergibt sich folgende geschlechterspezifische räumliche Segmentation: Der Haushalt und insbesondere das ‚Innere des Hauses‘ fallen in den Aufgabenbereich der Frau, der dem Hause ‚äußerliche‘ Bereich in den des Mannes. Mit Foucault gesprochen lässt sich die Zuordnung der Frau zum Bereich des Hauses als spezifische Machttechnologie begreifen. Diese zielten, wie Lorey weiter schreibt, auf die Normierung der Frau als „‚gute[…]‘, das heißt, ‚natürliche[…]‘ biopolitische[…] M[u]tter[…] und Ehefrau[…]“.169

      Doch welche Position innerhalb der männlich dominierten Ordnung Santa Marías nimmt dann die Frau ein, die keine Mutter ist? In welchem Machtverhältnis stehen sich kinderlose Frauen und Männer gegenüber, wenn Reproduktion und Elternschaft wie in den ausgewählten Texten Onettis als dysfunktional dargestellt werden? Diesen Fragen soll, mit Fokus auf die Frauen-Figuren, im fünften Kapitel dieser Arbeit nachgegangen werden.

      2.4 Hegemoniale Männlichkeit

      Auch das Konzept der hegemonialen Männlichkeit entstand in Auseinandersetzung mit Foucaults Machtbegriff.170 In den wissenschaftlichen Diskurs eingeführt wurde es 1985 von den Soziologen Tim Carrigan, Robert Connell171 und John Lee in dem Aufsatz „Toward a new sociology of masculinity“ (1985). Breitere wissenschaftliche Rezeption erlangte es jedoch erst durch Connells nachfolgende und mittlerweile vielfach neu aufgelegte Klassiker der Gender-Studies, die Monographien Gender and Power (1987) sowie Masculinities (1995).172 Mit Rückgriff auf Antonio Gramscis Begriff der kulturellen Hegemonie definiert Connell hegemoniale Männlichkeit darin folgendermaßen:

      The concept of ‚hegemony‘, deriving from Antonio Gramsci’s analysis of class relations, refers to the cultural dynamic by which a group claims and sustains a leading position in social life. At any given time, one form of masculinity rather than others is culturally exalted. Hegemonic masculinity can be defined as the configuration of gender practice which embodies the currently accepted answer to the problem of the legitimacy of patriarchy, which guarantees (or is taken to guarantee) the dominant position of men and the subordination of women.173

      Hegemoniale Männlichkeit beschreibe demnach eine kulturell herausgehobene Position und fungiere als Legitimierung der aktuell herrschenden patriarchalen Ordnung einer Gesellschaft. Dies impliziere gleichsam die Unterordnung von Frauen. Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit versteht sich damit auch als analytische Weiterentwicklung der lange den feministischen Diskurs bestimmenden Patriarchatstheorien. Diese sollten die strukturelle Dominanz der Männer wissenschaftlich greifbar machen. Während beispielsweise der radikale Feminismus Männer in der Täter-, und Frauen in der Opferrolle festschrieb, argumentierte der sozialistische Feminismus zusätzlich mit dem kapitalistischen System als Mechanismus für die Unterdrückung der Frau. Beide Patriarchatsbegriffe, sowohl der radikal-feministische als auch der sozialistisch-feministische, ignorieren Gewalt-, Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse innerhalb der Geschlechter und betrachten allein die Frau als Opfer männlicher physischer, psychischer und systemischer Gewalt.174

      Das Konzept der hegemonialen Männlichkeit sei hingegen nur pluralistisch und relational fassbar.175 Zum einen beschreibe es ein Abbild von, je nach historischem und kulturellem Kontext veränderlichen gesellschaftlichen und sozialen Realitäten.176 Zum anderen basiere es auf der Annahme, dass nicht die eine, singuläre Männlichkeit existiere, sondern eine Vielzahl an Männlichkeiten. Daraus folge, dass (mitunter gewaltgeprägte) Abhängigkeitsverhältnisse nicht nur zwischen Männern und Frauen, sondern auch unter Männern bestünden. Das heißt, das Konzept der hegemonialen Männlichkeit umfasst immer auch zusätzliche Männlich- und Weiblichkeiten und berücksichtigt nicht nur heterosoziale, sondern auch homosoziale Kontexte und Hierarchisierungen:

      ‚Hegemonic masculinity‘ is always constructed in relation to various subordinated masculinities as well as in relation to women. The interplay between different forms of masculinity

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