Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion. Johanna Vocht

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Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion - Johanna Vocht Orbis Romanicus

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stronger than men.“197 In Analogie zur heiligen Maria verstehe sich die Frau im Marianismo als dem Mann moralisch und spirituell überlegen – und wird auch so wahrgenommen. Sie gelte als das Abbild der Muttergottes, deren passive Geschlechterrolle durch die unbefleckte Empfängnis festgeschrieben ist:

      In the patriarchal Catholic culture – where God was the father and only men could become priests – the Virgin Mary stood as the most prominent image of what an ideal woman should be.198

      Die ‚echte Frau‘ ist laut Stevens‘ Untersuchungen moralisch unfehlbar, bleibt keusch bis zur Ehe und betrachtet Geschlechtsverkehr als exklusiv eheliche Pflicht im Dienste Gottes.199 Sie bete für die Vergebung der Sünden ihrer männlichen Verwandten, vor allem die des Ehemannes und der Söhne – wohlwissend, dass diese Gebete ob der grundsätzlichen männlichen Fehlbarkeit und deren kindlicher Unreife200 weitestgehend wirkungslos blieben. Die wichtigste Fähigkeit dieser idealisierten Frauenfigur sei indes die Mutterschaft. Als solche erlange ‚die Frau‘ einen halbheiligen (semidivine) Status innerhalb der Familie. Das Erdulden der Geburtsschmerzen und das Wissen um die moralischen Fehlbarkeiten des Ehemannes spiegle sich, wie Stevens fortfährt, im Bild der mater dolorosa201 wider: Es steht für mütterliche Leidensfähigkeit, die Erduldung von Trauer und Schmerz.202

      Indem Stevens Marianismo in Abhängigkeit zum Begriff des Machismo setzt, argumentiert sie gegen ein als ungleich wahrgenommenes Machtverhältnis zwischen lateinamerikanischen Männern und Frauen: „It is time to set the record straight: from the Rio Bravo south to Patagonia it is at least 50 percent a woman’s world, even though the men don’t know it.“203 Machismo sei demnach kein Phänomen rein männlicher Alleinherrschaft, sondern könne seine Suprematie über die Frau erst im Zusammenspiel mit dem weiblichen Analogon, dem Marianismo, entfalten: „Our historical perspective enables us to see that far from being an oppressive norm dictated by tyrannical males, marianismo has received considerable impetus from women themselves.“204 Sie betont damit die Reziprozität beider Phänomene oder anders gewendet: ‚Die marianistische Frau‘ begehre nicht gegen ihre Unterordnung auf, sondern stütze und reproduziere die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern – da sie selbst, so Stevens weiter, innerhalb eines großfamiliären Verbundes von diesem Arrangement profitiere. Zugespitzt spricht Stevens in diesem Zusammenhang auch von „female chauvinism“205, denn Frauen seien innerhalb dieser stark christlich heteronormativ geprägten Geschlechterordnung keineswegs machtlos. Ihre gesellschaftliche Machtposition finde ihre Ausprägung insbesondere in der Erziehung (männlicher) Kinder. Als Manifestationen der Muttergottes profitierten sie von der moralischen und spirituellen Erhöhung, die ihnen durch die kulturelle Hegemonie des christlichen Glaubens in Lateinamerika zukomme – solange sie sich an die ihnen zugewiesene passive sexuelle Rolle hielten:

      For women do enjoy great power in Latin America, based on their acknowledged spiritual superiority. In the hierarchy of values of Latin American culture, matters of the spirit stand undisputedly above all others. […] A married woman can be lazy, bad tempered, improvident, but as long as she is not found to be sexually promiscuous, she will be regarded as a good wife and mother.206

      Entscheidend für eine positive gesellschaftliche Reputation seien demnach ihr Status als verheiratete Frau, sowie ihre Mutterfunktion. Das heißt, das marianistische Bild der ‚guten Frau‘ ist sowohl an eine erfüllte Reproduktion als auch an den rechtlichen Rahmen der Ehe gebunden, woraus sich wiederum eine Limitierung weiblicher Sexualität auf eben diese Institution, oder wie Foucault schreibt, eine exklusive räumliche Verortung im ehelichen Bett ergibt.

      Machismo definiert Stevens als ‚Männlichkeits-‘ oder ‚Virilitätskult‘, welcher tief im gesamten lateinamerikanischen Kulturraum verwurzelt, und je nach historischen Kulturkontakten der Bevölkerung stärker oder schwächer ausgeprägt sei:

      [T]he term Machismo will be used to designate a way of orientation which can be most succinctly described as the cult of virility. The chief characteristics of this cult are exaggerated aggressiveness and intransigence in male-to-male interpersonal relationships and arrogance and sexual aggression in male-to-female relationships.207

      Machismo zeichne sich demnach vor allem über einen hohen Grad an Aggression aus. In homosozialen Kontexten zeige sich dies in der Härte und Unnachgiebigkeit gegenüber anderen Männern. In heterosozialen Kontexten finde diese Aggression ihren Ausdruck oftmals in sexualisierter Gewalt und einer grundsätzlichen Abwertung der Frau. Die beschriebenen Aggressionen ließen sich daher nur in den wenigsten Fällen in „business or professional activities [that] can be nonphysical expressions“208 kanalisieren – in der Mehrzahl entlade sie sich in heterosozialen Konstellationen, sprich: gegen Frauen. Machistische Männlichkeit erfordere außerdem, die eigene sexuelle Potenz ständig unter Beweis zu stellen – bestenfalls durch das Zeugen von Kindern, im Idealfall von Söhnen, oder zumindest durch das öffentliche Sich-Zeigen mit Geliebten. Diese stammten häufig aus sozial niedrigeren Schichten und profitierten ihrerseits von diesem gesellschaftlich akzeptierten Arrangement, indem sie für ihre Rolle als Geliebte materielle Zuwendungen erhielten.209 Auffällig ist, dass die machistischen Codices überwiegend innerhalb eines homosozialen Referenzahmens verortet sind; das bedeutet zum Beispiel, dass laut Stevens der Beweis sexueller Aktivität und Potenz, die in der Zeugung eines Kindes manifest werden, für eine ausschließlich männliche Peergroup außerhalb des eigenen Hauses erbracht werde.210 Machistische Männlichkeit ist demnach mit einer kontinuierlichen ‚Beweispflicht‘ bezüglich der eigenen Potenz verbunden, marianistische Weiblichkeit hingegen mit der Negierung der eigenen Sexualität. Innerhalb des Machismo und Marianismo ist Sexualität damit stark kontrastiv markiert; der Mann als sexuell aktiver, die Frau als sexuell passiver Part. Was beide, männliche und weibliche Sexualität als reflexive Körperpraxis wiederum eint, ist die grundsätzliche Ausrichtung auf Reproduktivität. Doch auch darin unterliegen sie einer starken Dichotomie: Männliche reproduktive Fähigkeiten gelten als Affirmation ihrer Potenz und sind nicht an den christlich-institutionellen Rahmen der Ehe gebunden, weibliche Reproduktionsfähigkeit ist hingegen exklusiv darauf beschränkt. Die Rigidität dieser Dichotomie birgt ein starkes Subversionspotential, welches in Kapitel 5.3 am Beispiel mehrerer weiblicher Figuren in Onettis Texten analysiert werden soll.

      Kritik, die das Konzept des Machismo erfährt, zielt unter anderem auf die Tendenzen zu Generalisierung und Exotisierung, die einige Untersuchungen aufweisen.211 So sieht etwa Rafael L. Ramírez Machismo als einen vielgebrauchten, medial überstrapazierten und damit als Beschimpfung in die Alltagssprache eingegangenen Begriff. Er kritisiert dessen konzeptuell schlechte Ausarbeitung, da durch dessen Singularität die Vielfalt lateinamerikanischer Männlichkeiten nicht abgebildet und in den meisten Fällen die positiv konnotierten Eigenschaften des typischen ‚Macho‘ ausgespart würden:212

      Although many authors (Abad, Ramos, and Boyce 1974: Padilla and Ruiz 1973) pointed out some purportedly positive aspects of Machismo, such as courage, responsibility, and perseverance, the fact remains that the term is associated with male traits or behaviors to which negative qualities are attributed: ‚the sum total of simultaneous brutality, arrogance, and submissiveness (De Jesús Guerrero 1977, 37).213

      Ramírez‘ Kritik richtet sich damit gegen eine essentialistische Form von Rollenzuschreibung, wie sie etwa Robert Brannon und Elisabeth Badinter in den 1970er und 1990er Jahren formulierten.214 Ramírez plädiert jedoch trotz seiner Kritik an den „conceptual limitations of studies on Machismo and their limited explanatory power“ für einen Erhalt von Machismo als wissenschaftlichem Terminus. Allerdings fordert er eine kritische Diskussion und stärkere Kontextualisierung des Begriffs in Bezug auf die grundsätzliche Pluralität von Männlich- und Weiblichkeiten.215

      Mit Fokussierung auf Männlichkeiten in Peru leistet dies Norma Fuller in ihren Forschungsarbeiten:216

      Uno de los objetivos que me propuse al iniciar mis investigaciones sobre las identidades masculinas fue criticar la identificación del llamado macho con la masculinidad típica en América Latina.

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