Systemische Beratung der Gesellschaft. Ruth Seliger

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Systemische Beratung der Gesellschaft - Ruth Seliger Systemische Horizonte

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Wandel, für eine gute Zukunft für alle engagieren: Menschen, die in NGOs, in Unternehmen oder in Initiativen und Bewegungen aktiv sind – oder aktiv werden wollen. Es ist ein Angebot von Themen, Methoden und wissenschaftlichen Erkenntnissen und eine Einladung, das für sich herauszuholen, was für das eigene Engagement hilfreich ist. Man muss dieses Buch nicht von vorne bis hinten lesen, man kann das herausfiltern, das neu oder hilfreich ist.

      Noch ein Wort zum Gendern: Ich habe nicht durchgehend die üblichen Genderformen verwendet, sondern jeweils entschieden, an welchen Stellen ich es wichtig finde, die weibliche und die männliche Formulierung zu verwenden, und an welchen nicht.

       Danksagung

      Ich danke den vielen Freunden und Freundinnen, mit denen ich mich in den wilden Achtundsechziger-Jahren gemeinsam durch Marx und Hegel, durch Horkheimer und Adorno durchgearbeitet und in zahllosen Nächten über das gesellschaftliche Paradies diskutiert habe. Ich danke meinen beiden Lehrern Fritz B. Simon und Gunthard Weber, die mir systemisches Denken nahegebracht haben, Dirk Baecker, der mir mit seinen verwirrenden Gedanken zu mehr Klarheit geholfen hat, und meinem Kollegen Paul Tolchinsky, von dem ich vieles über Change-Management gelernt habe.

      Möglicherweise werden nicht alle Menschen, die dieses Buch lesen, mit allen meinen Thesen und Formulierungen einverstanden sein, manche werden sich daran reiben. Für manche werden einige meiner Gedanken vielleicht unverständlich oder unlogisch sein. Dieses Buch enthält keine endgültige Wahrheit über die politischen Zustände und wird sich vermutlich selbst immer wieder transformieren. Lieber Leser, liebe Leserin, Ihr Feedback wird mir zur Anregung dienen, weiter zu lernen und meine Gedanken und auch dieses Buch zu verändern. Es ist »collaboration in progress«.

       Wien, im Februar 2022

       Ruth Seliger

       1Modelle von Veränderung

       »Wo immer Menschen etwas bewirken wollen, brauchen sie Modelle, die Veränderung erklären.« 2

      Fritz B. Simon

      Es geht um Veränderung. Veränderung ist ein schillernder Begriff, unter dem wir alles Mögliche verstehen können: Lernen, Entwicklung, eine andere Richtung einschlagen, vorläufige Veränderungen oder den Tod, eine unumkehrbare Veränderung.

      In diesem Buch geht es um Veränderungen lebender Systeme, insbesondere des Systems Gesellschaft.

      Nur lebende Systeme haben die Fähigkeit, sich zu verändern, sich im Rahmen ihrer Strukturen aus sich selbst herauszuentwickeln und etwas anderes, etwas Neues aus sich zu machen. Nicht lebende, also technische Systeme wie ein Auto oder die unbelebte Natur, verändern sich nicht selbst, sie können verändert werden: Ein technisches System kann durch Beschädigung oder Materialabnutzung kaputtgehen und repariert werden, ein Stein kann zertrümmert oder zu Sand vermahlen werden.

      Mich interessieren Prinzipien der Veränderung lebender Systeme – von der Amöbe bis zur menschlichen Gesellschaft. Lebende Systeme durchleben in ihrer Genetik angelegte Entwicklungen – Wachstum, Reife, Reaktionsmuster. Aber sie können sich auch selbst verändern. Meistens tun sie das nicht ohne Grund. Lebende Systeme leben am liebsten vor sich hin, sind damit beschäftigt, zu leben und am Leben zu bleiben, ihre Grenzen zu erhalten, ihre Prozesse mit ihrer Umwelt – den Stoffwechsel – und in ihrem Inneren – die Verdauung – zu regulieren. Sie nehmen Veränderungen in der Regel dann vor, wenn sich in ihrer Umwelt etwas verändert oder sie in ihrem Inneren Probleme haben, sie also krank werden. Dann muss Veränderung das weitere Leben sicherstellen. Dies kann bedeuten, einen anderen Lebensraum zu suchen, den Lebensraum zu verändern, sich an den veränderten Lebensraum anzupassen oder im Inneren »Heilung« zu versuchen.

      Veränderung ist nicht gerade die Lieblingsbeschäftigung lebender Systeme. Sie ist anstrengend, unangenehm, und ihr Ausgang ist ungewiss. Lebende Systeme sind ihrem Wesen nach daher träge und eher konservativ. Sie verändern sich nur dann, wenn sie mit ihrem Latein am Ende sind, wenn sie eine Grenze des Machbaren erreicht haben.

      »Die gesammelten Theorien über den Wandel sagen uns, dass menschliche Systeme Homöostase und Gleichgewicht suchen.«3

      Veränderungen müssen aber sein, besonders wenn es Probleme gibt, die unser Leben im weitesten Sinne bedrohen. Wenn in unserem Leben alles gut läuft, hält sich die Lust auf Veränderung in Grenzen.

      Auch Organisationen sind lebende Systeme, die am liebsten so bleiben möchten, wie sie sind, sich aber aufgrund äußerer oder innerer Bedingungen immer wieder verändern müssen. Wenn sich Marktbedingungen, Eigentumsverhältnisse, gesellschaftliche Rahmenbedingungen oder technologische Instrumente verändern, dann müssen Organisationen mitziehen. Organisationen setzen sich ungern in Bewegung. Wenn es denn sein muss, dann bekommt man es mit starken Beharrungstendenzen und Gegenbewegungen zu tun.

      Wie verändert sich das größte lebende System, das für uns alle die relevante Umwelt bildet: die Gesellschaft? Was löst Veränderungen aus? Wie können sie gestaltet werden? Wie hat sich die Gesellschaft in der Vergangenheit immer wieder verändert? Wie ist ihre Geschichte entstanden?

      Die Frage nach dem Wesen von Veränderungen ist, wie vieles in unserem Leben, eine – wie Heinz von Foerster es nennt – »prinzipiell unentscheidbare Frage«4, also eine Frage, auf die es keine eindeutige Antwort gibt, kein definiertes Maß, auf das wir uns beziehen können. Die Frage nach dem Wesen von Veränderungen ist anders zu beantworten als die Frage, bei welcher Temperatur Wasser zu kochen beginnt. Für solche Fragen wurden bereits Antworten bereitgestellt, die konkrete Frage wurde bereits »entschieden«: Die Antwort heißt »100 Grad Celsius« (wenn man nicht gerade auf einem hohen Berg steht).

      Auf die Frage, wie sich die Gesellschaft, die Welt, das Leben verändert, ob die Veränderungen gut oder schlecht sind, gibt es jedoch keine endgültigen Antworten: Das sind prinzipiell unentscheidbare Fragen. Wir kommen nicht darum herum: Solche Fragen müssen wir für uns selbst entscheiden, und für unsere Entscheidungen müssen wir Verantwortung übernehmen. So ist es auch mit der Frage: Wie werden Veränderungen in der Gesellschaft beschrieben und erklärt? Auch ich habe darauf keine Antwort. Ich mache mir mein eigenes Bild, gestützt auf eigene Überlegungen und Erfahrungen, vor allem auf Fachliteratur, für deren Auswahl ich verantwortlich bin.

      Der Begriff der Veränderung hat sich in der Geschichte selbst immer wieder im Rahmen der jeweiligen historischen und gesellschaftlichen Bedingungen verändert. In alten Zeiten hat man Veränderungen damit erklärt, dass ein Plan der Götter dahintersteckt, dass Veränderungen also als göttliche Macht über uns hereinbrechen. In autoritär geführten Gesellschaften beruht Veränderung auf Entscheidungen der Herrschenden. Unsere aufgeklärte Welt kann dem nichts oder wenig abgewinnen. Die Aufklärung interpretiert gesellschaftliche Veränderung als das Ergebnis unseres eigenen Willens. Wir erforschen die Welt und suchen nach vernünftigen Erklärungen, um, auf diesen aufbauend, die Welt zu verändern.

      Für moderne Historiker und Historikerinnen beginnen Veränderungen der Gesellschaft mit der Entwicklung von Sprache, mit der Fähigkeit der Menschen, einander über Generationen hinweg Geschichten zu erzählen. Damit konnten Ereignisse in eine Reihenfolge, in Bewegungen und Zusammenhänge strukturiert und Veränderungen markiert werden.5 Durch Sprache hat sich das Koordinatensystem der Menschen von Raum und Zeit verändert, was seinerseits das Bewusstsein der Menschen und ihr Handeln verändert hat.

      Es zeigt sich: Der Begriff der Veränderung ist uneindeutig und abhängig von den jeweiligen zeitlichen,

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