Systemische Beratung der Gesellschaft. Ruth Seliger
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Die Phase des Übergangs ist eine Zeit des Kampfes, in der es um die Frage geht, welches Prinzip, welche Interessen, welche Standpunkte sich durchsetzen. Es sind Machtkämpfe, die diese Wendepunkte der Gesellschaft prägen.
Yuval Harari drückt das so aus: »Wir leben an der Schwelle zwischen Himmel und Hölle.«10
1.3Das systemische Konzept11
Ausgangspunkt für systemisches Denken ist der Begriff »System«. Ein System wird als ein Set von Elementen beschrieben, die miteinander verbunden und zusammengehörig sind. Diese Elemente markieren gemeinsam eine Systemgrenze und schaffen eine Differenz zwischen dem Innen, dem System, und dem Außen, der Umwelt des Systems.
Wer aber wählt die Elemente aus, wer setzt sie in einen Zusammenhang, wer markiert die Grenze des Systems und seiner Umwelt? Die Antwort aus systemischer Sicht lautet: Es ist der Beobachter, wir sind es selbst, die Systeme schaffen, indem wir Elemente auswählen und zusammenstellen und indem wir unterscheiden, was zum System gehört und was nicht. Systeme sind daher nicht einfach so da, sie sind unsere eigenen Konstruktionen.
Systemisches Denken ist ein komplexes Theoriegebäude12, das sich mit folgenden Fragen beschäftigt:
1)Wie konstruiert der Beobachter, wie entstehen Wahrnehmung und Erkenntnis über die Welt?
2)Wie konstruiert der Beobachter Interaktionen und Bewegungen zwischen den Elementen des Systems, und welche Regeln, welche Muster zeichnet er bei den Operationsweisen lebender Systeme?
3)Welche Systeme unterscheiden wir? Biologische Systeme wie Pflanzen und Tiere; kognitive Systeme, damit sind Menschen gemeint, und soziale Systeme wie Gruppen, Familien, Organisationen bis hin zur menschlichen Gesellschaft.
Ein systemisches Konzept von Veränderung setzt bei der Frage an, welche Prozesse in lebenden Systemen zu beobachten sind, welche Veränderungen diese Prozesse aufweisen und nicht zuletzt bei der Frage, welche Rolle Beobachter innehaben. Dabei spielt die Kybernetik eine zentrale Rolle.
Kybernetik
Das Wort Kybernetik bedeutet Steuerung und Regelung und beschreibt Phänomene der wechselseitigen Beeinflussung der Elemente eines Systems. Kybernetische Prozesse sind Regelkreise, bei denen jedes Element zugleich Ursache und Wirkung der Interaktion ist. Niemand steuert diese Interaktion, sie steuert sich gleichsam selbst (siehe Abb. 4).
Abb. 4: Kybernetischer Regelkreis
Ein für solche Regelkreise häufig herangezogenes technisches Beispiel ist die Zentralheizung: Der Thermostat wird auf eine bestimmte Temperatur eingestellt, die Therme heizt, bis die gewünschte Temperatur erreicht ist, daraufhin gibt der Thermostat ein Signal an die Therme, die aufhört zu heizen, bis die Temperatur wieder absinkt. Der Thermostat gibt daraufhin ein Signal, damit die Therme wieder heizt, bis die gewünschte Temperatur wieder erreicht ist, usw. Genauso funktioniert auch die Steuerung des Füllstands eines WC-Spülkastens als wechselseitige Steuerung zwischen dem Schwimmer und dem Wasserzufluss. Das Besondere an solchen Systemen ist, dass sie so gebaut sind, dass sie keine Steuerung von außen brauchen, sondern dass die Elemente einander durch Feedback gegenseitig steuern. Es ist in diesem Prozess unentscheidbar, was Ursache ist und was Wirkung oder, anders gesagt, wo der Prozess beginnt.
Muster
Muster entstehen durch Wiederholungen. Das Gehen des immer gleichen Weges lässt einen Trampelpfad entstehen. Werden Interaktionen öfter wiederholt, entstehen Interaktionsmuster: Reagiert man in einer kybernetischen Schleife immer wieder in gleicher Weise aufeinander, kann man irgendwann nicht mehr feststellen ist, wer damit begonnen hat. Muster halten sich selbst durch Wiederholung aufrecht, sie bestätigen sich selbst und tragen zur Aufrechterhaltung bestehender Bedingungen im System bei. Muster sind das Symbol des Stillstands.
Im systemischen Sinne bedeutet Veränderung vor allem eine Veränderung von Mustern. In sozialen Systemen bedeutet sie die Veränderung von Mustern der Wahrnehmung, des Verhaltens und der Interaktion bzw. der Kommunikation. Veränderung sozialer Systeme ist der Prozess von einem Muster zu einem anderen (siehe Abb. 5).
Abb. 5: Musteränderungen (Flipchart von Fritz B. Simon)13
Nicht jede Veränderung ist allerdings ein Musterwechsel. Wenn Veränderungen lediglich ein oder mehrere Elemente im System betreffen, also etwa ein neuer Tisch für das Pingpongspiel benutzt wird, dann ändert sich damit nicht das Spiel, das Muster des Spiels bleibt gleich. Man kann möglicherweise besser spielen, aber es bleibt Pingpong. Solche Veränderungen werden im systemischen Feld Veränderungen erster Ordnung genannt.
Beziehen sich Veränderung in sozialen Systemen allerdings auf Muster der Kommunikation, also auf die Art und Weise, wie ein soziales System operiert, wie darin kommuniziert wird, dann wird die Kommunikation selbst zum Gegenstand der Veränderung. In diesem Fall sprechen wir von einem Musterwechsel und von einer Veränderung zweiter Ordnung. In Organisationen kann Veränderung zweiter Ordnung bedeuten, dass sich die hierarchische Struktur und das Muster der Top-down-Entscheidungen zu einer partizipativen Entscheidungsform verändert.
Veränderungen zweiter Ordnung bedeuten einen Paradigmenwechsel, eine fundamental andere Weltsicht und neue Prinzipien der Gestaltung von Kommunikation, Strukturen, Werten und Problemlösungen. Musterwechsel sind tiefgreifende Veränderungen und lassen keinen Stein auf dem anderen, sie verunsichern und irritieren. Veränderungen zweiter Ordnung sind aufwendig und mühsam: So etwas unternimmt man nur, wenn man mit seinem Latein am Ende und an der Grenze der Handlungsfähigkeit angekommen ist. Davon müssen Menschen überzeugt und für diese Veränderung gewonnen werden.
Es stellt sich die Frage, wie und woran die Mitglieder von sozialen Systemen erkennen können, dass das System mit seinem Latein am Ende ist und es Veränderungsbedarf gibt? Das kann nur geschehen, indem die Mitglieder des Systems, sich in eine neue Beobachtungsperspektive begeben, aus der sie so etwas sie einen Blick von außen auf das System erhalten. Wir sprechen hier von der Beobachtung zweiter Ordnung. Dieser Begriff geht auf Heinz von Foerster zurück, der von zwei Regelkreisen spricht: dem einen zwischen den Elementen des Systems und dem anderen zwischen dem Beobachter und dem von ihm beobachteten System. Er nennt das die »Kybernetik der Kybernetik«.14
Will ein Beobachter seine eigene Wirkung auf ein von ihm beobachtetes System erkennen, wird er sich in eine neue Beobachterperspektive begeben, in der er sich selbst beim Beobachten beobachtet, er wird zum Beobachter zweiter Ordnung. Der Beobachter begibt sich damit gleichsam auf den Balkon in der Muppet Show und sieht sich selbst beim Agieren gemeinsam mit den anderen Akteuren und Akteurinnen auf