Das grüne Gesicht. Gustav Meyrink

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Das grüne Gesicht - Gustav Meyrink

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antworten und, als er erstaunt aufblickte, stand der alte Jude, der Inhaber des Ladens, im Raum und starrte ihn an.

       Der Fremde entsetzte sich; ein Gesicht, wie das vor ihm, hatte er noch nie gesehen.

       Es war faltenlos, mit einer schwarzen Binde über der Stirn, und dennoch tief gefurcht, so, wie das Meer tiefe Wellen

       hat und doch nie runzlig ist. – Die Augen lagen darin wie finstere Schlünde und waren trotzdem die Augen eines

       Menschen und keine Höhlen. Die Farbe der Haut spielte ins Olive und war wie aus Erz; so, wie es die Geschlechter

       der Vorzeit, von denen es heißt, sie wären gleich schwarzgrünem Gold gewesen, ähnlich gehabt haben mögen.

       "Seit der Mond, der Wanderer, am Himmel kreist", sprach der Jude weiter, "bin ich auf der Erde. Ich habe

       Menschen gesehen, die waren wie Affen und trugen steinerne Beile in den Händen; sie kamen und gingen von Holz" –

       er zögerte eine Sekunde – "zu Holz, von der Wiege zum Sarg. Wie Affen sind sie noch immer – und tragen Beile in

       den Händen. Es sind Abwärtsstarrer und wollen die Unendlichkeit, die im Kleinen verborgen liegt, ergründen.

       Daß im Bauch der Würmer Millionen von winzigen Wesen leben und in diesen wieder Milliarden, haben sie

       ergründet, aber noch immer wissen sie nicht, daß es auf diese Art kein Ende nimmt. Ich bin ein Abwärtsstarrer und ein

       Aufwärtsstarrer; das Weinen habe ich vergessen, aber das Lächeln habe ich noch nicht gelernt. – Meine Füße sind naß

       gewesen von der Sintflut, aber ich habe keinen gekannt, der Grund zum Lächeln gehabt hätte; mag sein, ich habe ihn

       nicht beobachtet und bin an ihm vorübergegangen.

       Jetzt spült an meine Füße ein Meer von Blut, und da soll einer kommen, der lächeln darf? Ich glaub's nicht. – Ich

       werde wohl warten müssen, bis das Feuer selbst Woge wirft."

       Der Fremde zog sich den Zylinder über die Augen, um das schreckliche Gesicht, das sich immer tiefer in seine Sinne

       einfraß und seinen Atem stocken machte, nicht länger zu sehen, und daher bemerkte er nicht, daß der Jude zum Pult

       zurückging, die Verkäuferin auf den Zehenspitzen an seine Stelle trat, einen Totenkopf aus Papiermaché, ähnlich dem

       in der Auslage, aus dem Schrank nahm und geräuschlos auf ein Taburett stellte.

       Als dem Fremden plötzlich der Hut vom Kopf rutschte und zu Boden fiel, hob sie ihn blitzschnell auf, noch ehe sein

       Besitzer danach greifen konnte, und begann gleichzeitig ihren Vortrag:

       "Sie sehen hier, mein Herr, das sogenannte Delphische Orakel; durch es sind wir jederzeit in der Lage, einen Blick in

       die Zukunft zu tun und sogar Antworten auf Fragen, die in unserm Herzen" – sie schielte aus unbekannten Gründen in

       ihren Busenausschnitt – "schlummern, zu erhalten. Ich bitte, mein Herr, im Geiste eine Frage zu tun!"

       "Ja, ja, schon gut", brummte der Fremde, noch ganz verwirrt.

       "Sehen Sie, der Schädel bewegt sich bereits!"

       Langsam öffnete der Totenkopf das Gebiß, kaute ein paarmal, spuckte eine Papierrolle aus, die die junge Dame

       hurtig auffing und entrollte, und klapperte dann erleichtert mit den Zähnen; –

       "Ob deiner Seele Sehnsucht in

       Erfüllung geht? – Fahr drein

       mit fester Hand und setz das

       Wollen an der Wünsche Statt!"

       stand mit roter Tinte – oder war es Blut? – auf dem Streifen geschrieben.

       "Schade, daß ich mir nicht gemerkt habe, was es für eine Frage war", dachte der Fremde. – "Kostet?"

       "Zwanzig Gulden, mein Herr."

       "Schön. Bitte –", der Fremde überlegte, ob er den Schädel gleich mitnehmen solle, – "nein, es geht nicht, man würde

       mich auf der Straße für den Hamlet halten", sagte er sich, "bitte, schicken Sie ihn mir in meine Wohnung; hier ist das

       Geld."

       Er warf unwillkürlich einen Blick in das Bureau am Fenster, – mit verdächtiger Unbeweglichkeit stand der alte Jude

       vor seinem Pult, als hätte er die ganze Zeit über nichts als Eintragungen ins Hauptbuch gemacht, – dann schrieb er auf

       einen Block, den die Verkäuferin ihm hinhielt, seinen Namen nebst Adresse:

       Fortunat Hauberrisser

       Ingenieur

       Hooigracht Nr. 47

       und verließ, noch immer ein wenig betäubt, den Vexiersalon.

      Zweites Kapitel

      Seit Monaten war Holland überschwemmt von Fremden aller Nationen, die, kaum daß der Krieg beendet war und

       beständig wachsenden inneren politischen Kämpfen den Schauplatz abgetreten hatte, ihre alte Heimat verließen und

       teils dauernd Zuflucht in den niederländischen Städten suchten, teils sie als vorübergehenden Aufenthalt wählten, um

       von dort aus einen klaren Überblick zu gewinnen, auf welchem Fleck Erde sie künftighin ihren Wohnsitz aufschlagen

       könnten.

       Die billige Prophezeiung, das Ende des europäischen Krieges werde einen Auswandererstrom der ärmeren

       Bevölkerungsschichten aus den am härtesten mitgenommenen Gegenden zur Folge haben, hatte gründlich geirrt, und

       reichten auch die verfügbaren Schiffe, die nach Brasilien und andern als fruchtbar geltenden Erdteilen fuhren, nicht hin,

       die vielen Zwischendeckspassagiere zu befördern, so stand doch der Abfluß der auf ihrer Hände Arbeit Angewiesenen

       in keinem Verhältnis zur Zahl derer, die entweder wohlhabend waren und überdrüssig, sich ihre Einkünfte durch den

       immer unerträglicher werdenden Druck der heimischen Steuerschrauben zusammenpressen zu lassen – also der

       sogenannten Unidealen – oder zur Zahl derer, die bisher in intellektuellen Berufen tätig gewesen, keine Möglichkeit

       mehr vor sich sahen, mit ihrem Verdienst den unerhört kostspielig gewordenen Kampf um das auch nur nackte Leben

       weiterzuführen.

       Hatte schon in den verflossenen Zeiten der Friedensgreuel das Einkommen eines Schornsteinfegermeisters oder

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