Triaden-Liebchen. Edith Seo

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Triaden-Liebchen - Edith Seo

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erste Urlaubsabend (wir fuhren weder nach Monaco noch nach Nizza) auch unser letzter bleiben würde, ahnte ich nicht.

      Am nächsten Morgen kam es zum Streit. Bill wollte, wie geplant, von mir aber nicht mehr erwünscht, weiter nach Marseille. Ich wollte lieber bei den Schicki-Mickis bleiben. Innerhalb von 20 Minuten, nämlich der Strecke von Beaulieu nach Nizza, kochte ich ohne triftigen Grund über vor Wut. Ich war die Frau, ich wollte mich durchsetzen. Immer war ich nur zur Seite gedrängt worden, hatten meine Wünsche nicht gezählt, war meine Schwester schöner, mein Bruder klüger oder meine Tante kränker gewesen. Jetzt hatte ich Bill. Bill war nett zu mir, aber er ging nicht wirklich auf meine Wünsche ein. Einen Mann zu haben, und damit endlich jemanden, der nur für mich existiert und, ja, zugegeben, nach meiner Pfeife tanzt, hatte ich mir anders vorgestellt.

      Bill war cool und langhaarig. Er liebte mittelalterliche Feste, Halloween und morbide Musik. Er hatte von der Weinstraße bis nach Beaulieu immer den selben Scheiß gespielt und jetzt wollte er auch noch ins versiffte Marseille. Mir wurde bewusst, dass er Marihuana-süchtig war. Bei einem Besuch auf der Kerwe in Weinheim zwei Wochen zuvor hatte er zwei Autos angetitscht, die links und rechts der Straße geparkt waren.

      Meine einzige Freundin Heike, klein, noch unscheinbarer als ich und auf unerotische Art jungfräulich, saß hinten.

      Ein Passant winkte uns. Er hatte gesehen, dass Bill den Autospiegel eines Mercedes zerkratzt hatte. Bill öffnete das Fenster: „Ich schreibe ihm meinen Namen und Nummer auf.“ Ich kramte nach etwas zu Schreiben. „Wollen sie nicht die Polizei rufen?“ fragte der Passant.

      „Nein, bitte nicht. Ich habe getrunken.“

      „Du hast doch gar nicht getrunken.“ krähte Heike von hinten. Ich zischte sie giftig an. Als wir weiterfuhren beschwerte sie sich. „Man, meinste Gras wäre besser?“ fragte Bill sie gedehnt.

      Heike war angepisst und schwieg.

      Als Bill und ich also in Nizza in der Rush Hour standen, fluchte er, ich solle aufhören zu nörgeln, er sei froh, wenn er aus der Scheiß-Stadt raus wäre. Er drehte seine Schrott-Musik lauter und ich kochte vor Wut. „ Der neunte Schuß ging sauber durch die Stirn“ bummbummbummbumm, dröhnte die Musik. Ich sah Bill an und ich war mir sicher, ich hätte gleich beim ersten getroffen in dem Moment.

      Ich hasste ihn abgrundtief. Hass und Liebe liegen nah beieinander und können ineinander umschlagen, sagt man. Bill war wohl so was wie meine erste Liebe gewesen, wenn man von einem unerreichbaren Schwarm mit 13 absah. Ich öffnete die Tür und stieg aus. Ich lief über die Straße, als die Ampel der Autofahrer gerade grün wurde und so war mein Abgang wenigstens von einem Hupkonzert begleitet.

      “Wunderbar“ hätte meine Scheidungskind-Psychologin mich sicher gelobt: „Endlich sind sie mal aus sich rausgegangen.“

      Ich war immer ein nachdenklicher, stiller Mensch gewesen. Eigentlich schon vor der Scheidung meiner Eltern. Ich war nie wichtig. Normale Aggressionsabfuhr kannte ich nicht. Deshalb konnte ich mein Verhalten hier auch nicht recht einschätzen. Normalerweise hätte ich überlegt, ob es sich lohnt, Bill zu verlassen. Jetzt, ohne Geld, ohne Gepäck, ohne irgendetwas. Man sollte regelmäßig in kleinen Dosen aggressiv sein.

      Besser, als mit 19 ohne einen Cent in der Tasche am Strand von Nizza auf- und ablaufen.

      Ein alter, fettleibiger Franzose sprach mich an. Ob ich mit ihm einen Wein trinken mochte. Nein, danke. Ich verließ die Mauer zwischen Straße und Strand und lief in die andere Richtung.

      Was hatte ich nur gemacht? So ein Scheiß! Ich hätte doch mit ihm nach Marseille fahren können. Jetzt häng ich hier. Ich fragte eine Frau nach ein paar Cent und wollte meine Mutter anrufen. Ich war zu stolz und kaufte mir stattdessen einen Schokoriegel.

      In Marseille hätten wir jetzt sicher ein Motel gefunden. Bill würde einen Joint drehen und alles wäre gut. Warum musste ich nur so stur sein? Andererseits hätte er mich auch nicht mit diesem Scheiß beschallen sollen. Ich hatte mir das anders vorgestellt. Ich wollte ein junges Starlet sein, an der Côte d´Azur Champagner trinken und Yacht fahren. Aber so was passte nicht zu mir. Ich kam aus einem Dorf, dessen Name keiner kennt, ich war nicht besonders hübsch und auch kein draufgängerisches Sex-Kätzchen. Eher spießig und langweilig, aber mit dem festen Willen, „da raus“ zu kommen, wie Millionen anderer Mädchen. Äußerlich gesehen war meine Kindheit gar nicht so schlecht. Ich war nicht so wichtig, aber man war auch nicht lieblos zu mir. Fast alle Eltern sind geschieden, fast jeder hat überforderte Eltern, die arbeiten oder sich um krisengebeutelte Geschwister kümmern mussten. Ich hatte genug zu essen, ein warmes zuhause und war sogar jedes Jahr in den Urlaub gefahren. Warum fühlte ich mich also so zu kurz gekommen? Ich wollte halt einfach mehr. Viel mehr. Aufmerksamkeit.

      Jetzt hatte ich genug Zeit darüber nachzudenken. Der versiffte, bekiffte Bill war doch kein Mann für mich, dachte ich. Abgebrochene Bäckerlehre, abgedunkelte Dachkammer mit Totenkopfzeichnungen, Cannabiszucht auf dem Fensterbrett. Er war künstlerisch sehr begabt, das musste ich zugeben. Aber er hatte keinen Biss, aus ihm würde nie etwas werden.

      Als es dunkel wurde und seltsame Gestalten auf der Promenade zu lustwandeln begannen, löste ich mich vom Meerblick und traute mich langsam in die Stadt. Ich fragte nach dem Bahnhof und ließ mir noch einmal ein paar Cent geben. Der Markt schloss, ich stahl ein Stück Käse und kaufte mir eine Flasche Wasser. Ich wollte zum Bahnhof, ich würde zuhause anrufen. Mutter würde mich beschimpfen und alles veranlassen, dass ich mit dem Nachtzug heim fahren konnte. Der Entschluss stand. Ich kam noch an einem Einkaufszentrum vorbei. Ging hinein, in die Lebensmittelabteilung. Dort gab es eine Verkaufsaktion einer Streichwurst-Marke und ich aß so lange Häppchen, bis ich fast satt war. Im satten Zustand verwarf ich wieder den Gedanken, nach Hause zu fahren.

      Vor zwei Wochen hatte ich eine Doku über Edel-Penner gesehen. Sie reisten umher und schliefen nur manchmal draußen. Ansonsten fanden sie eine Frau, bei der sie übernachten konnten, bestahlen Touristen oder arbeiteten auf dem Bau. Ich verließ das Einkaufszentrum und fand einen zehn Euro- Schein in einer Belüftungsritze. Hunderte von Leuten mussten an ihm vorbeigegangen sein, aber ich war die einzige die ihn sah.

      Ich zog weiter und kam an einer hell erleuchteten Galerie vorbei. Gruppen von exaltierten Leuten standen herum und tranken Rotwein, zu dem sie Käsestangen knabberten. Ich blieb stehen und sah hinein. Eine Kellnerin kam und fragte mich und eine ebenso unschlüssig wirkende Passantin:

      „Möchten sie ein Glas Champagner?“

      „Oh, merci.“ Ich nahm das Glas, die andere auch, wir lächelten uns an. Das war Tingting.

      II. Die Kaiserin

      Han und ich standen vor der Umkleidekabine. Was in Han vorging, vermochte ich nicht zu sagen. Er war Tingting immer treu ergeben gewesen. Er war der Sohn eines Untergebenen von Tingtings Vater. Er war auch ein Einzelkind, sicher wurde er zuhause ebenfalls gehätschelt. Ich sah ihn jedenfalls nur in der Rolle des Lakeien.

      Tingting brauchte nur ein weinerliches Miauen von sich zu geben und er machte Männchen wie ein Schoßhund. Er apportierte sogar, dachte ich einen Moment amüsiert, als er Tingting immer neue Kleidungsstücke brachte. Ich war auch nur zum Publikum degradiert. Tingting stand alles, von Mao-Rot bis Kaiser-Gelb. Sie trug nur Seide und ich stellte mir vor wie sie, als Domina verkleidet und ohne eine Miene zu verziehen, jeder einzelnen Seidenraupe einen Peitschenhieb verpasste.

      Es war klar, Tingting war eine Kaiserin. Und sie wusste das. Es gab viele Kaiserinnen in Shanghai. Aber ich sah nur Tingting. Mit dem Neid ist es wie mit der Liebe. Man sieht nicht die anderen, die ähnliche Eigenschaften haben. Man sieht nur diesen

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