Triaden-Liebchen. Edith Seo

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Triaden-Liebchen - Edith Seo

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Was hast du mit der Leiche deines Bruders gemacht?“

      „Säure.“

      „Säure?“

      Die Angesprochene nickte zaghaft.

      Säure, dachte ich. Wäre das nicht auch ein Weg? Andererseits gäbe es Mitwisser. Und für mich, die eine Tat in Notwehr begangen hatte, wären Mitwisser beim Beseitigen einer Leiche, einem Schuldgeständnis, das Schlechteste, was mir passieren konnte. Andererseits, was, wenn Tingting nicht mitspielte. Ohne ihre Aussage und die Würgemale würde es schwierig werden. Ich hatte kein Motiv, aber…dann würde es unübersichtlich.

      „Hör zu, wenn es keine Leiche gibt, wird man auch nicht nachweisen können, dass mit dieser Waffe schon jemand getötet wurde. Also werde ich mich stellen.“

      Tingting sah mich an. Ihr Blick hatte jetzt etwas Gefügiges. Sie wollte nicht mehr, sie konnte nicht mehr. Unten wartete ihr Liebster.

      Ich ging zurück in den großen Salon und nahm mein Handy.

      Ich wählte den Notruf und sagte mit bebender Stimme: „ Bitte kommen sie schnell. Jemand wurde angeschossen.“

      „Hat er Puls?“ „Ich weiß es nicht.“ „ Gleich ist jemand bei ihnen.“

      Sekunden später hörten wir Notrufsirenen unter uns in der Tiefe.

      Tingting öffnete. Notarzt und Sanitäter stürzten herein. Hinter ihnen Claudio. Als er Tingting sah, war er erleichtert. Dann sah er mich. Nickte zum Gruß, als würden wir uns längst kennen. Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht, als wären wir in einer Bar und nicht an einem Tatort. Ich führte die Rettungskräfte ins Bad. Ein Blinder mit Krückstock konnte sehen, dass Xiao Li tot war. Der Notarzt sah mich vorwurfsvoll an. Ich reagierte wie ein Stummfilmstar und sank in Ohnmacht.

      IV. Bye Bye Shanghai

      Wenig später kam die Polizei. Sechs Mann Mordkommission.

      Mit verschmierter Wimperntusche saß Tingting neben mir im Salon und Claudio hielt ihre Hand. Anscheinend hatte sie vergessen, dass ihre Affäre geheim war, dass er überhaupt das Motiv für alles war.

      Der Pianist hatte aufgehört zu spielen. Ein Kripobeamter war eigens dafür abgestellt worden, die Kerzen zu löschen. Ich kauerte auf lila Samt und nippte gespielt verstört an meinem Wasser. Wir warteten auf den Staatsanwalt. Der war weiblich, alt und sprach kein englisch. Erst befragte sie Tingting. Auch, wenn ich kaum Chinesisch verstand, merkte ich, dass deren Stimme sich fast überschlug. Warum hatte ich ihren Dialog mit Xiao Li eigentlich verstehen können? Hatte sie Englisch gesprochen? Ich war mir nicht mehr sicher. Ich versuchte, ihr jetzt zu folgen. Sie brachte die Silben japsend und wahrscheinlich auch noch in Shanghai-Dialekt heraus. Aber dennoch konnte ich an ihren Gesten erkennen, dass sie sich an unseren Plan hielt. Sie war dankbar. Natürlich musste sie mich decken. Es war ja auch so gewesen, oder? Ich war mir selbst nicht mehr sicher. Tingting zeigte ihre Würgemale. Der Arzt hatte ihr eine Salbe da gelassen. Xiao Li hatte man im Bad fotografiert und abgemalt und ließ ihn noch etwas vor sich hingammeln.

      Die Staatsanwältin sah das scheinbar nicht so eng. Sie fragte dann mich und Tingting übersetzte. Das war mir zwar nicht ganz geheuer, aber ich musste ihr wohl oder übel vertrauen. Es war zu spät. Ein zurück gab es nicht. Ich bekam Schüttelfrost, aber man deutete dies Gottseidank nicht als Geständnis. Die alte Staatsanwältin lächelte wohlwollend.

      „Sie sind noch jung.“ sagte sie, „da ist es nicht so leicht, das zu verarbeiten. Aber sie haben alles richtig gemacht.“

      Nach und nach wurde mir klar, dass sie eine Triaden-Jägerin war und dass ein Boss weniger immer positiv zu werten war. Wenn sie, die Staatsanwältin, Glück hatte, würde es zu einem Bandenkrieg kommen und das wäre ein triumphaler Abschluss ihrer Laufbahn.

      Ich war erleichtert. Dann musste sie telefonieren. Sie verließ dafür nicht den Raum, sodass Tingting mithören konnte, was sie sagte. Tingting wurde blaß, dann rot, dann violett und wieder zurück.

      „Was ist?“ fragte ich sie, aber sie antwortete gar nicht. Ich zitterte. Hatte ich mich getäuscht?

      Würden sie mich verhaften? Einkerkern? Hängen?

      War die Staatsanwältin gar selbst eine Mafiosa und sie würden uns gleich alle umbringen? War das eine Masche? Alle möglichen Gräuel malte ich mir aus. Ich übergab mich. Es kam nur etwas Schleim und Galle. Claudio wich angeekelt zurück. Wir hatten uns noch gar nicht vorgestellt. Das war ein guter Einstieg, dachte ich sarkastisch. Da weiß er gleich, mit wem er es zu tun hat. Langsam schlich sich das alte Gefühl Tingting gegenüber zurück. Neid. Ich beneidete sie um Claudio. Als Eifersucht konnte man es kaum bezeichnen, denn wir kannten uns ja gar nicht, aber schon jetzt wusste ich, dass ich ihn wollte. Weil er ihr gehörte. Ganz einfach nur deshalb.

      Ist doch egal, wenn sie uns umbringen, dann sterben wir wenigstens alle zusammen. Die Staatsanwältin schaute mitleidig. Tingting schrie sie an, überschlug sich wieder.

      Mich ließ man lange im Ungewissen.

      Claudio mischte sich ein. Auf ihn reagierte auch keiner.

      Irgendwann packte die Staatsanwältin Tingting an den Schultern und brachte sie wieder zum Sitzen. Claudio und ich sahen sie erwartungsvoll an.

      „ Wir müssen raus aus China.“ Sagte Tingting. „Für immer.“ Dann brach sie in Tränen aus. Für immer raus aus Shanghai? War das hier eine Art Zeugenschutzprogramm? Was sollte das überhaupt? Ich verstand nicht richtig.

      „Ich bin hier geboren.“ Schluchzte Tingting. „Dort in Puxi. Und jetzt…“ ihre Stimme versagte.

      Die Staatsanwältin ging zur Tür, öffnete. Zwei weitere Männer traten ein. Sie trugen seidene Anzüge und Ray Ban- Brillen. Sie sahen aus wie die Unterwelt in personae. Sie würden sich um alles kümmern, sagte die Staatsanwältin. Claudio stand auf, die Staatsanwältin klopfte ihm auf die Schulter und ging. Hinter ihr die Polizisten, ähnlich wie bei der Chefarztvisite.

      Ich sah, wie die Leiche jetzt durch den Flur abtransportiert wurde.

      Tingting weinte immer noch. Ich legte meinen Arm um sie. Claudio stand hilflos rum. Dann sprachen die beiden Bebrillten in ausgezeichnetem Englisch mit uns.

      Wir müssten umgehend das Land verlassen. Unser Leben sei in Gefahr. Jemand sei bereits auf dem Weg zu Tingtings Wohnung und würde auf ihre Anweisung alles notwendige packen. Dabei reichte der Kleinere der beiden Tingting sein I-Phone. Tingting zog lautstark die Nase hoch. Das nervte mich. In China ziehen sie immer die Nase hoch, anstatt sie zu schnäuzen.

      Sie begann kleinlaut mit der Person am anderen Ende zu reden. Der Größere der Beiden sprach jetzt mit mir und Claudio. Wir seien Ausländer, gleichwohl könnten wir nicht einfach in unsere Heimat zurückkehren. Wir seien in Lebensgefahr.

      Claudio sagte, er sei gar nicht dabei gewesen und überhaupt. Der andere ließ sich nicht irritieren. Wir würden unsere Heimat nie wiedersehen. Es musste sein. Wir drei könnten zusammenbleiben, das sei alles, was er für uns tun könne. Man würde uns zu einem fernen Ort ausfliegen und wir bekämen eine neue Identität.

      Mir entwich ein affektiertes Lachen. Das war so klischeehaft. Mafia. Zeugenschutzprogramm. Ausreise ohne Rückkehr. Sowas sah man in Agentenfilmen. Sowas passierte nicht im echten Leben.

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