Tahiti. Gerstäcker Friedrich

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Tahiti - Gerstäcker Friedrich

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Augenblick.

      Der Erfolg zeigte denn auch, daß er darin vollkommen Recht gehabt. Die Insulaner wußten nicht recht, woran sie waren, und mußten erst wieder einen Boten nach unten /34/ schicken, neue Verhaltungsbefehle einzuholen. Allerdings begegnete diesem schon ein anderer, der ihnen die Ordre brachte, den jungen Fremden nur einstweilen einzufangen und mit herunter zu nehmen. Das war aber weit eher gesagt, als gethan; wenn er gutwillig kam, ja; aber sollten sie ihr Leben wagen, ehe sie einmal sicher wußten, ob das Schiff hierher zurückkäme?

      Die Frauen und Mädchen waren dem Zug aus Neugierde gefolgt und hielten sich im Anfang scheu zurück; da aber Alles friedlich abzulaufen schien, so kamen sie weiter vor, und suchten Plätze zu bekommen, von denen sie den jungen Fremden genau beobachten konnten. Nur ein junges Mädchen allein war schon früher so weit vorgedrungen, daß sie sich dem Umstellten auf einer andern kleinen Erderhöhung fast gegenüber befand, und hatte die ganze Zeit keinen Blick von ihm gewandt.

      Es war ein junges bildschönes Kind von vielleicht sechzehn Jahren, schlank gewachsen wie die Palme ihrer Wälder, aber mit vollem, rundem Gliederbau; die rabenschwarzen, mit wohlriechendem Cocosöl getränkten Locken wild um die braune Stirn flatternd, und die schönen großen dunkeln Augen halb ängstlich, halb mitleidig auf den jungen Mann geheftet. Sie war nach Art der übrigen Mädchen gekleidet: ein Lendentuch von farbigem Kattun, das ihr bis auf die feingeformten Kniee niederging, schloß sich ihr dicht um die Hüften, und ein anderes Tuch war nur lose über die linke Schulter gehangen und auf der rechten mit einem Knoten locker zusammengehalten, den rechten Arm vollkommen nackt und zu freier Bewegung lassend. In den vollen Locken trug sie einen dünnen Kranz weißer und rother Blüthen, mit den Fasern des Cocosblattcs fest zusammengebunden, in den Ohren aber zwei der großen weißen duftenden Sternblumen, und wie sie dort stand auf dem bröckeligen Gestein, um das sich dicht hinter ihr die vollen dunkeln Büsche schmiegten, den linken Arm um die dünne Casuarine geschlungen, die sie da oben auf ihrer etwas gefährlichen Stelle stützte, glich sie eher einer lauschend aus dem Dickicht gebrochenen Waldnymphe, als einem einfachen, schlichten Kind dieser Inseln. /35/

      René war im Anfang natürlich zu sehr mit der Gefahr seiner eigenen Lage beschäftigt gewesen, einzelne Gestalten der ihn umgebenden Insulaner beachten zu können. Vorzüglich hatte er die Männer und ihre Bewegungen im Auge behalten, da er ja auch gar nicht wissen konnte, ob sie nicht einen plötzlichen Angriff auf ihn beabsichtigten. Jetzt aber, als sein leichter Sinn ihn rasch über die geringere Gefahr hinwegsetzte, fühlte er mehr das Eigenthümliche, ja Interessante seiner Lage, und während das Blut in seine Wangen zurückkehrte und ein leichtes Lächeln über seine schönen Züge flog, schaute er sich nach den einzelnen Gruppen um. Da begegnete sein Blick zum ersten Mal dem dunkeln, brennenden Auge des Mädchens.

      Das holde Kind schlug aber verschämt den Blick zu Boden, und so zart war die lichtbraune Haut, daß René deutlich darauf das dunkle Erröthen, das ihre Schläfe und Wangen färbte, erkennen konnte. Gerade jetzt wurde aber seine Aufmerksamkeit wieder auf die Schaar der Männer gelenkt, die sich ihm näherten und ihn noch einmal frugen, ob er gutwillig zu ihnen heruntersteigen wolle oder nicht.

      „Gewiß!" rief René jetzt freudig, und war es früher schon seine Absicht gewesen, so hatte ihn jetzt die Gestalt des holden, ihm gegenüber stehenden Kindes nur noch darin bestärkt - „gewiß will ich hinunter kommen und bei Euch bleiben, aber Ihr müßt mir versprechen, daß Ihr mich nicht festhalten oder binden wollt. - Freiwillig komme ich in Eure Mitte, und freiwillig werde ich darin bleiben, denn das Schiff, was mich zurückforderte, hat die Insel verlassen, um nicht wieder zurück zu kehren. Wollt Ihr mir also fest und aufrichtig Sicherheit für meine Person versprechen, so steige ich augenblicklich zu Euch nieder, und ich hoffe, wir sollen recht gute Freunde zusammen werden. Seid Ihr das zufrieden?"

      Die Insulaner, denen Raiteo die Worte des jungen Mannes verdolmetscht hatte, besprachen sich kurze Zeit in lauter, lärmender Stimme mit einander, und dieser wandte sich dann wieder zu ihm und sagte, freundlich dabei mit der Hand winkend:

      „Gut, weißer Mann, - a haere mai - sei willkommen /36/ und bleib bei uns, bis Dein Schiff wieder zurückkommt, oder so lange Du willst!"

      „Vortrefflich!" rief der junge Franzose lachend - „das ist ein Vorschlag zur Güte, und die Sache löst sich freundlicher als ich erwarten durfte." Damit schob er seine Terzerole in die Tasche, drückte sich die Mütze wieder in die Stirn, und wollte sich eben über die Steine, die seine Festungswerke bildeten, hinüberschwingen, als ihn ein Ruf in gutem Englisch plötzlich nicht allein daran verhinderte, sondern auch erstaunt und überrascht ausschauen machte.

      Es war das junge holde Mädchen, das, den rechten Arm gegen ihn ausgestreckt, laut und fast ängstlich im reinsten Englisch rief:

      „Halt, Fremder - halt - sie sind falsch - sie wollen Dich binden und halten, und dem Schiff, das ihnen das Lösegeld zurückgelassen hat, wieder ausliefern - traue ihnen nicht und bleibe wo Du bist, bis Dich der König selber seines Schutzes versichert hat." Dann sich aber gegen die unten Stehenden wendend, unter denen Raiteo die hervorragendste und jedenfalls bestürzteste Persönlichkeit bildete, denn er allein hatte zu seinem Schrecken verstanden, wie das junge Mädchen ihre eigenen Landsleute an den Fremden, seiner Meinung nach, verrieth, rief sie mit zürnender, fast drohender Stimme in der schönen, klangvollen melodischen Sprache ihres Stammes:

      „Schäme Dich, ahina2 - schämt Euch Ihr Alle, den armen hutupanutai3 verrätherisch unter Euch locken und überfallen zu wollen. - Wo sind seine Verwandten - wo seine Eltern - wo seine Geschwister? - weit, weit von hier, und um schnöden Lohn drängt es Euch, ihn seinen Feinden zu überliefern. Und Ihr nennt Euch Christen? Ihr prahlt damit in den öffentlichen Versammlungen, daß Ihr Euern Nächsten lieben wollt wie Euch selbst, und Anderen /37/ nicht das zufügen möchtet, was Euch nicht selbst geschehen solle? Schämt Euch in Eure Seele hinein, daß Euch ein armes junges Mädchen zurechtweisen und Eure Ehre retten muß vor dem Fremden!"

      Kaum aber hatte sie diese Worte gesprochen, und sah wie Aller Blicke auf sie gerichtet waren, als auch die natürliche mädchenhafte Scheu wieder jedes andere Gefühl verdrängte. Das Blut schoß ihr in Strömen nach den Schläfen, und die Blicke niederschlagend, als ob sie selber jetzt gerade eine unrechte Handlung gethan, und nicht im Gegentheil Andere von einer solchen zurückgehalten hatte, glitt sie in die sie dicht umschließenden Büsche zurück, und war auch im nächsten Moment hinter dem Felsenhang verschwunden.

      René, der bei dieser so zeitgemäßen Warnung der Jungfrau rasch seine Stellung wieder eingenommen hatte, und jetzt mit gezogenen Waffen und finsterem Blick die etwas verlegen unter ihm stehende Schaar betrachtete, konnte an deren ganzem Betragen leicht und deutlich sehen, wie viel Grund zu jener Anschuldigung vorhanden gewesen. Raiteo besonders, der bei den allsonntäglichen religiösen „meetings" eine Hauptrolle spielte, schien sich über den ihn am tiefsten verletzenden Vorwurf zu ärgern. Die Mädchen und Frauen flüsterten aber lebhaft untereinander, und aus den freundlichen ihm zugeworfenen Blicken durfte René wohl urtheilen, daß er den schönen Theil seiner Feinde nicht mehr zu seinen Feinden zählen durfte, und daß dieser vollkommen mit dem Betragen einer ihrer Schwestern einverstanden sei.

      Die Männer beriethen sich indessen eine ganze Zeit lang mit einander, sahen dann wieder nach dem Schiff aus, das mehr und mehr in der Ferne, und zwar nach Westen hin verschwand, und schienen total rathlos zu sein, was sie eigentlich thun sollten. So verging der Nachmittag; René beschloß aber nichts zu unternehmen, bis das Schiff erst einmal gänzlich aus Sicht sei. Zeigten sich die Indianer dann morgen noch eben so hartnäckig, dann wollte er versuchen, ein Canoe zu bekommen und von der Insel zu fliehen, denn er /38/ konnte sich nicht verhehlen, daß der Delaware, nach Allem, was ihm das junge Mädchen davon gesagt, wenigstens die Absicht habe, die Insel wieder anzulaufen. Das hing indessen noch Alles theils von dem Weg ab, den die Fische nahmen, theils ob er an einem oder mehreren festkam, denn so lange er den Fisch langseit hatte, konnte er nicht segeln und trieb immer weiter nach Westen ab. Indessen stellte sich aber

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