Tahiti. Gerstäcker Friedrich

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Tahiti - Gerstäcker Friedrich

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Sonne eben über dem wieder vor ihnen liegenden Meeresspiegel emporstieg, betraten sie eine freundliche Ansiedelung wohnlicher Bambushütten, sogar mit einigen weiß übertünchten Häusern dazwischen, dicht in den Schatten hoher Cocospalmen und breitästiger Brodfruchtbäume hineingeschmiegt und von einer hohen, festen Umzäunung rings umschlossen.

      René zögerte im ersten Augenblick, den Ort zu betreten - er blieb stehen und betrachtete forschend den kleinen freundlichen Platz, der wie ein in sich abgeschlossenes Paradies /43/ stillen Friedens vor ihm lag. Sadie schaute nach ihm um und frug ihn lächelnd, ob er sich fürchte, näher zu kommen.

      „Fürchten?" sagte der junge Mann leise mit dem Kopf schüttelnd, „wenn ich überhaupt etwas fürchtete auf der weiten Welt - hätte ich da je diese Insel betreten?"

      „Fürchtest Du nichts?" sagte das Mädchen rasch und erstaunt, und schaute zu ihm auf - „fürchtest Du nicht Gott?" -

      Der junge Mann fühlte, daß er hier ein Feld berühre, das er vermeiden müsse. - So wenig er sich selber aus irgend einem Religionsbekenntniß machte, besaß er doch zu viel gesunden Sinn für Recht, es in Anderen zu achten, und er hätte besonders dem holden Kind nicht durch eine rauhe Antwort wehe thun mögen - er sagte deshalb ausweichend: „Ich sprach nicht von Gott, Sadie - ich sprach von den Menschen - also hier wohnt der weiße Missionär?"

      „Hier wohnt er, wenn er auf der Insel ist," erwiderte das Mädchen, durch seine Antwort vollkommen wieder beruhigt - „gerade jetzt aber besucht er mehrere andere Inseln in Missionsgeschäften. Doch schon seit drei Tagen erwarten wir ihn zurück, und jede Stunde kann er wieder eintreffen."

      „Also in diesem Augenblick wohnt kein Missionär auf dieser Insel?" - frug der junge Mann rasch und, wie es fast schien, erfreut.

      „Kein weißer Missionär wenigstens," sagte die Jungfrau; „aber Du scheinst Dich darüber eher zu freuen, und ich hatte geglaubt, es würde Dich beruhigen, wenn Du einen Landsmann in der Nähe wüßtest."

      „So habt Ihr auch eingeborene Missionäre hier?" umging der junge Mann die halbgestellte Frage durch eine andere - „und sind die auf allen Inseln?"

      „Nicht auf allen, doch auf vielen - hier aber," fuhr sie auf das Haus deutend fort - „wirst Du jedenfalls Schutz finden, bis Dein Schiff zurückkehrt, denn von den Bewohnern dieser Insel wird es keiner wagen, Hand an Dich zu legen, so lange Du Dich in den Mauern dieses kleinen Wohnortes befindest. Was Deine eigenen Landsleute freilich thun, wenn sie zurückkommen, weiß ich nicht, doch ich fürchte, sie werden /44/ kaum die Heiligkeit dieses Ortes anerkennen, obgleich sie alle dem Namen nach Christen sind. Mein Pflegevater hat mir oft erzählt, daß auf den Schiffen viel böse, gottlose Menschen hausen, und wir Insulaner hier manchmal viel bessere Christen sind als jene - aber nicht wahr, Du gehörst nicht zu denen?"

      „Oh, da mag Dein Pflegevater wohl vollkommen Recht haben," lächelte René, „denn viel Christenthum darf man auf den Walfischfängern nicht suchen. Darum sind aber doch auch viel gute, brave Menschen zwischen ihnen, liebe Sadie, und ich mag leichtsinnig sein," setzte er gemüthlich hinzu - „aber schlecht bin ich doch wohl nicht. Du wußt mir das freilich auf mein ehrlich Gesicht hin glauben, denn andere Bürgen habe ich weiter nicht dafür."

      Das Mädchen lächelte, vollkommen zufrieden gestellt, vor sich hin, und jetzt zum ersten Mal seine Hand ergreifend, führte sie ihn durch die ihrem Druck nachgebende kleine Gartenpforte, durch den breiten gutgehaltenen Gang des Gartens und eine dichte Allee regelmäßig gepflanzter Bananen oder Pisang dem Hause zu, unter dessen Schutzdach René die kleine, etwas wohlbeleibte Gestalt eines, wie es schien, halbcivilisirten Insulaners erkannte.

      René konnte ein leises Lächeln kaum verbergen, als er die Gestalt mit flüchtigem, aber forschendem Blick überflog, und fast unwillkürlich drängte sich ihm der wunderliche Gedanke auf, daß der Mann, wenn ihm der Geist und die Civilisation wirklich von oben gekommen sei, jedenfalls noch mit den Beinen im Heidenthum stecke.

      Der kleine gelbbraune Missionär sah auch in seiner halb frommen, halb wilden Tracht eigenthümlich genug aus. Er ging in bloßem Kopf, aber die sonst langen schwarzen Haare waren kurz abgeschnitten und zugestutzt - ferner trug er ein weißes baumwollenes Hemd und eine weiße leinene Halsbinde, mit hellgelber, blankknöpfiger Weste, und über diesem allen einen, dem Klima keineswegs zusagenden - schwarzen Frack. Bis so weit also war der Geist gekommen, darunter aber fing der Heide wieder an - der Mann konnte sich an die fremde Religion, aber nicht an Hosen gewöhnen, und /45/ während er um die Lenden ein langes Stück roth und gelben Kattun, der höchst freundlich gegen den schwarzen Frack abstach, mehrfach geschlagen hatte, trug er die Beine vollkommen nackt. Nur unter dem Kattun schauten noch die alten heidnischen Tätowirungen früherer Zeiten, wie scheu, von dem christlichen Kleidungsstück bedroht, hervor.

      Der kleine Mann schien übrigens ungemein erstaunt über den Besuch und auch vielleicht gerade nicht besonders erfreut, als ihm Sadie in seiner Sprache mit kurzen Worten das auf der andern Seite der Insel Vorgefallene erzählte und ihn um seinen Schutz für den Verfolgten ansprach. Er hatte auch erst, wie es René vorkam, eine Menge Einwendungen dagegen zu machen, und das Wort Mitonare kam sehr häufig dabei vor. Sadie oder Pu-de-ni-a, wie sie der kleine Missionär in seinem wunderlichen Kauderwelsch statt Prudentia nannte, wußte diesem Allen aber zu begegnen, und da er wohl selber gutmüthig und gastfrei war, schien er sich endlich zu fügen. Er streckte dem jungen Mann mit einem halb freundlichen, halb salbungsvollen Blicke die dicke, fette Hand entgegen, deren Finger auch noch frühere Tätowirungen zeigten, und sagte in einer Sprache, die jedenfalls Englisch sein sollte, aber meistens wieder auf Tahitisch auslief:

      „Gu – day bodder – gu day – a haere mai gu fend here – ehoa ino – very gu fend -" und dann folgte noch eine längere Auseinandersetzung, jetzt auf einmal in reinem Tahitisch, als ob er glaube, daß der Fremde durch die vorigen einleitenden Worte in seiner eigenen Sprache nun auch vollkommen vorbereitet für jede weitere Anrede in gutem Insulanisch sein müsse.

      Sadie, die übrigens mit halbverstohlenem Lächeln sah, wie der junge Fremde verlegen vor ihm stand und nicht recht zu wissen schien, was er aus dem Ganzen machen solle, übersetzte ihm schnell, was der kleine Mann gesagt hatte, und bat ihn, in das Haus zu treten, sich mit Speise und Trank zu stärken und von den überstandencn Strapazen auszuruhen.

      „Aber wie kann ich jetzt erfahren," frug René das junge Mädchen - „was aus dem Schiff geworden ist, das schon /46/ vielleicht in diesem Augenblick die Insel wieder von anderer Seite ansegelt?"

      „Kümmere Dich nicht deshalb" lächelte das Mädchen. „Eben habe ich einen Knaben nach der nächsten Bergspitze gesandt, von wo er das Meer rings überschauen kann, der bringt uns Nachricht, ob das fremde Segel noch in der Nähe ist. - Und nun in's Haus, denn wie ich Dir schon gesagt habe, bis das Schiff zurückkehrt, bist Du sicher - und selbst dann finden sich vielleicht, Mittel Dich zu verbergen," setzte sie freundlich hinzu.

      Der kleine Mitonare, denn als solchen hatte er sich René – mi mitonare — mi mitonare - schon selber vorgestellt - ging ihnen jetzt geschäftig voran in's Haus, und obgleich heute wirklich ihr Sonntag fiel5, brachte er nichtsdestoweniger eigenhändig erst Teller und Messer und Gabel, die, sonst wahrscheinlich nur wenig benutzt, tief in einer Schrankecke zu ruhen schienen, und dann kaltes Fleisch, Früchte und Cocosnußrnilch herbei, und lud nun den jungen Mann auf das Freundlichste ein, sich niederzusetzen und nach Herzenslust zuzulangen.

      René sah Sadie au und dann die Speisen - er schämte sich, sie zu bitten mit ihm niederzusitzen, und doch hätt' er es gar zu gern gethan. Das schöne Mädchen mochte aber errathen, was er wünsche, denn sie schüttelte lächelnd mit dem Kopf und war im nächsten Augenblick schon durch die offene Thür verschwunden.

      Der kleine Missionär begann nun eine Unterhaltung, die Rcné

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