Justice justified. Kendran Brooks
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Selbstverständlich hatte Michael den sauberen Mr. Wolfgang Lee bei den Behörden angezeigt. Und nach etwas über drei Monaten fanden sie ihn tatsächlich in der Nähe von Shanghai, bereits halbtot, mit Opium vollgepumpt, abgemagert und vollkommen blank. Man brachte Lee in ein Hospital, wo man ihn aufpäppelte, danach kam er ins Gefängnis und anschließend für den Rest seines Lebens in ein Umerziehungslager irgendwo in der Provinz. Michael Langton hingegen musste nach diesem erneuten Flop das quirlige Hafenquartier nicht nur mit seinen Unternehmungen verlassen, sondern für alle Zeiten persönlich meiden. Zu viele Leute erinnerten sich an den dunkelblonden und blauäugigen Halb-Chinesen mit seinem zweifachen, geschäftlichen Ruin. Später, als er wieder auf die Beine gekommen war, zog Michael Langton ins Happy Valley, wo er sich ein Apartment mit seiner Freundin Jin Wang teilte. Die 83 Quadratmeter waren zwar sündhaft teuer, doch das war seine Freundin ebenso.
Jin Wang, die sich selbst Gin Davis nannte, war eine Festland-Chinesin aus Kengwei, einem Provinznest nahe Guangdong. Sie war als Fünfzehnjährige illegal nach Hongkong gelangt, hatte sich hier korrekte Papiere besorgt, arbeitete, seit sie mit Michael Langton liiert war, als selbstständige Marketingberaterin. Womit sie zuvor ihr Geld verdient hatte, verriet sie ihm nicht, beantwortete seine Fragen wage und ausweichend.
Viel Geld kam bei ihrer Tätigkeit allerdings nicht zusammen, denn Gin Davis wurde nur selten für mehr als ein paar Stunden engagiert. Und so verbrachte sie die meiste Zeit in ihrem gemeinsamen Apartment, verließ es eigentlich nur, um sich mit einer ihrer zahlreichen Freundinnen zu treffen. Zumindest erzählte sie das ihrem Freund Michael.
Langton verspürte kein gutes Gefühl, als er in diesem Moment an seine Ginnie dachte. Bestimmt würde sie ihm wieder Vorhaltungen machen, dass er ein schlechter Geschäftsmann wäre, hoffnungslos vertrauensselig, viel zu naiv, ganz einfach nicht geschaffen für das harte Leben auf den Straßen von Hongkong. Und sie hatte leider Recht damit, seine Ginnie.
*
Sie flogen am nächsten Tag von London aus nach Dallas-Fort Worth. Als einzige Reisende in der ersten Klasse wurden sie vom Steward auf das Angenehmste umsorgt. Jules las die meiste Zeit über in einem Buch, nur unterbrochen von den beiden Mahlzeiten und gelegentlicher Beschäftigung mit Alina. Sein Lesestoff berichtete über Volksbräuche im Südosten von Asien. Von den meisten hatte Jules noch nie zuvor gehört, auch wenn er in früheren Jahren des Öfteren nach Vietnam und Südkorea gereist war und auch die Philippinen mehrmals besucht hatte. Der Champagner, ein 1999er Bollinger rosé, schmeckte ihm ausgezeichnet und er genehmigte sich das eine oder andere Glas zu viel, fühlte sich jedoch keineswegs angetrunken, als sie recht pünktlich gegen halb sechs in Texas landeten.
Sie wollten in der Nähe des Flughafens im Embassy Suites übernachten, hatten dort ein Zimmer für die Nacht gebucht. Zuvor mussten sie noch den Mietwagen abholen, den sie sich auf sechs Uhr abends reservieren ließen. Eilig hatten sie es also nicht und so schlenderten sie gemütlich in Richtung der Einreiseschalter, wurden von eiligeren Passagieren überholt. Doch die drei hatten die Immigration-Halle noch nicht erreicht, als zwei Männer in Uniform auf sie zukamen.
»Mr. Lederer?«, fragte der eine, ein hochgewachsener Afro-Amerikaner mit fleischigem, rundem, aber gar nicht gemütlich wirkenden Gesicht und verfetteten Hüften.
Jules nickte.
»Sie wünschen?«
»Kommen Sie bitte mit uns mit.«
Der Afro-Amerikaner drehte sich um und ging voraus. Jules und Alabima blickten sich einen Moment lang stumm und erstaunt an, folgten ihm jedoch. Alina ging zwischen ihnen, geführt an den Händen von Vater und Mutter. Auch sie hatte erkannt, dass etwas nicht stimmen konnte und blickte entsprechend kritisch auf den großen Mann in der dunkelblauen, fast schwarzen Uniform und dem schwabbeligen Hinterteil, über den sich die Hose so seltsam spannte. Auf der oberen Hälfte seines Popos saß sie straff, so als würde der Stoff gleich platzen, an der unteren schlotterte sie, so als wäre der Hintern des Beamten in der Mitte durchgeschnitten.
Der zweite Beamte, ein schlaksiger Kerl von Mitte dreißig, mit ungesund gelber Gesichtsfarbe und blondiertem, fast weißem Kopfhaar und stechenden, kleinen, dunkelgrauen Augen, ging hinter ihnen her, hielt jedoch zwei, drei Meter Abstand, als müsste er den Überblick behalten.
Sie gingen quer durch die Halle hinüber zu einer unauffälligen Seitentür. Der Afro-Amerikaner zog einen Schlüsselbund vom Gürtel und öffnete, trat ein und hielt die Türe für die Lederers und seinen Kollegen auf. Der Flur dahinter war recht lang und in einem langweiligen Ockergelb gestrichen. Links und rechts zweigten graue Türen ab. Sie gingen an einigen vorbei, bis der Beamte stehen blieb und eine davon aufschloss, aufstieß und zu Alabima meinte: »Bitte warten Sie mit Ihrer Tochter hier drin. Wir müssen mit Ihrem Ehegatten reden.«
Jules und Alabima sahen sich wiederum in stummer Zwiesprache an und Jules zuckte dann mit den Achseln. Die Äthiopierin führte Alina hinein. Der Raum war erstaunlich freundlich eingerichtet. Ein Dreiersofa lud zum Sitzen ein, ein Tisch mit zwei Stühlen stand nicht weit davon entfernt und sogar an eine Topfpflanze, eine Yucca Palmlilie, hatte man gedacht. Das breite Fenster war zur Hälfte mit einer weißen Gardine verdeckt. Da der Raum im zweiten Stockwerk des Gebäudes und somit gut fünf Meter über dem Boden lag, sah man nur die Krone eines Baumes, dessen Blätter seltsam gekräuselt waren und wie vertrocknet wirkten, als bekäme der Baum schon seit langer Zeit zu wenig Wasser.
Alabima und Alina ließen sich auf dem Sofa nieder. Der Beamte von Mitte-Dreißig war ihnen gefolgt, zog die Türe hinter sich ins Schloss, nahm sich einen Stuhl und setzte sich an den Tisch, beachtete Mutter und Kind nicht weiter, sondern begann mit seinem Smartphone zu spielen.
»Was ist mit Papa?«, fragte Alina schüchtern und flüsternd.
»Es ist nichts. Mach dir keine Sorgen. Der Mann will Papa bloß ein paar Fragen stellen. Er wird bald wieder zurück sein.«
Der Blonde verzog bei ihren tröstenden Worten seine Mundwinkel zu einem spöttischen, ja zynischen Lächeln, blickte kurz und triumphierend zur Äthiopierin hinüber, widmete sich danach wieder seinem elektronischen Spielzeug. Kurz darauf knackte das Funkgerät an seinem Gürtel und eine Stimme fragte nach Henderson. Der Beamte meldete sich leise, drehte die Lautstärke zurück und hielt sich das Gerät nah an sein Ohr. Dann nickte er, stand auf, steckte das Funkgerät an den Gürtel zurück und ging zur Tür. Er öffnete sie mit seinem Schlüsselbund und trat hinaus, zog sie hinter sich zu.
Alabima bemerkte erst jetzt, dass die Türe weder eine Falle noch einen Drehknopf aufwies und darum nur mit einem Schlüssel zu öffnen war. Man hatte Alina und sie eingesperrt. Die Äthiopierin stand auf, trat zum Fenster. Es besaß weder Scharniere noch Schiebemöglichkeiten, konnte nicht geöffnet werden.
»Was ist, Maman?«, fragte Alina auf Französisch. Sie hatte von ihrem Märchenbuch aufgeblickt und ihre Mutter beobachtet.
»Nichts, meine Kleine, nichts«, versuchte sie die Tochter nicht zu beunruhigen.
»Hat der Mann uns eingesperrt?«, wollte das aufgeweckte Kind als nächstes Wissen.
»Nein. Er musste bloß kurz weg. Und die Türen können hier halt nur mit Schlüssel geöffnet werden.«
»Also doch eingesperrt«, stellte die Kleine fest, »sind das böse Männer, Maman?«
Alabima setzte sich wieder zu ihrer Tochter, strich ihr über das Haar.
»Nein, Alina. Das sind gewöhnliche Beamte. Sie machen sich bloß ein wenig wichtig, weißt du? Sie spielen uns etwas vor. Wie im Theater.«
»Aber