Der dritte Versuch Die Drachenjägerin. Norbert Wibben

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Der dritte Versuch Die Drachenjägerin - Norbert Wibben Der dritte Versuch

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der Kleidung, die sie vorhin achtlos auf einen Haufen geworfen hat. Sie sucht sehr gründlich, findet das Buch jedoch nicht. »Sollte der Drachengeist deshalb verschwunden sein, weil das Buch nicht mehr existiert?« Dieser Gedanke ist bestürzend, da sich die Elfe sozusagen mit den Fähigkeiten des Greifs angefreundet hatte. Andererseits hätte der Fall auch etwas Positives. Ihre Mom käme nicht erneut auf die Idee, dieses gefährliche Wesen für ihre Zwecke zu nutzen. Cloe betrachtet im Licht der von ihr hervorgerufenen Lichtkugel Junas Gesicht. Hinter den geschlossenen Lidern bewegen sich die Augen unstet hin und her. Was mag sie wohl träumen? Von ihren Eltern oder ihrem Mann, die alle durch den Feueratem eines Drachen umkamen? Kämpft sie möglicherweise gerade mit einem derartigen Lindwurm? Die Elfe schüttelt den Kopf. Sie wird es erfahren, wenn es Juna wieder besser geht und setzt sich auf den Stuhl. Obwohl die Nacht mittlerweile weit fortgeschritten ist, verspürt sie keine Müdigkeit.

      Doch plötzlich schreckt sie auf. Sollte sie vor Erschöpfung kurz eingeschlafen sein? Was ist es nur, was sie stört? Irgendetwas hat sich geändert! Es ist beunruhigend still. Das Pfeifen des Atems fehlt! Wie lange dauert der Atemaussetzer wohl schon? Cloe springt auf. Der Brustkorb hebt sich nicht! Sie breitet die Hände über ihre Mutter.

      »BEATHA! BEATHA! B E A T H A!«, ruft sie verzweifelt, doch das goldene Gleißen stellt sich nicht ein! Sie packt ihre Mutter an den Schultern und schüttelt sie. »Atme! Wach auf!«, ruft sie verzweifelt, während ihr Tränen übers Gesicht laufen. Doch Juna reagiert nicht. Cloe wirft sich über sie. »Nein! Mom. Bleib bei mir!«, schluchzt sie verzweifelt. Obwohl sie weiß, dass es vergeblich sein wird, versucht sie immer wieder, Lebensenergie zu übertragen. Als sich der Morgen durch einen leisen Schimmer ankündigt, herrscht in Cloe tiefste Nacht. Sie hört weder das erste Zwitschern der frühen Vögel, noch achtet sie auf die Sonnenstrahlen, die das Zimmer bereits mit einem goldgelben Licht erhellen. Dann erhebt sie sich erstaunt, sollte jetzt doch noch Lebensenergie übertragen werden? Dann erkennt sie ihren Irrtum, es ist nur das Sonnenlicht. Sie streichelt verzweifelt das verbrannte Antlitz ihrer Mutter, fällt auf die Knie und vergräbt ihr Gesicht an deren Schulter.

      »Warum? Warum?«, jagt es in einer Endlosschleife durch ihren Kopf. Dann schreit sie ihre Wut heraus. »Diese grässlichen Drachenwesen. Sie haben meine Familie, ALLE meiner Familie getötet. Ich hasse euch. Ihr sollt verflucht sein!« Schließlich verlieren sich die Worte in einem Meer unendlicher Traurigkeit. Sie sperren den Sonnenschein aus, der schon bald das Zimmer hell erleuchtet. Immer wieder schluchzend erbebt die Gestalt der Elfe, bis sie ermattet zu Boden sinkt.

      Es ist Mittag, als Cloe ihre Augen öffnet. Wider besseres Wissen hofft sie, dass sie den Tod der Mutter nur geträumt hat. Doch der erste Blick auf den reglosen Körper Junas zeigt ihr die bittere Realität. Langsam richtet sich die Elfe auf, streicht zuerst zögernd, dann ganz vorsichtig und sacht über das liebe Gesicht ihrer Mutter. Sie befürchtet, ihr Schmerzen zuzufügen, da die Haut immer noch die großflächigen Verbrennungen aufweist. In der Nacht meinte sie, erste Zeichen eines Heilungsprozesses gesehen zu haben, den sie mit »Salvus« erreicht hätte. Aber das war ein Irrtum, wie sie jetzt erkennt. Der Widerstand des stark verbrannten Körpers war trotz der Übertragung von Lebensenergie nicht groß genug gewesen, um sich zu regenerieren. Wenn sie daran denkt, dass nicht nur das Gesicht, sondern auch Arme und Beine verbrannt wurden, wäre es vermutlich ein Wunder gewesen, wenn Juna hätte gerettet werden können. Doch Cloes Kopf ist leer, sie sinkt erschöpft auf den Stuhl und streichelt immer wieder die Hand ihrer Mutter.

      Sie weiß nicht, was sie als Nächstes beginnen soll, also bleibt sie einfach da, wo sie jetzt ist. Welchen Sinn sollte es auch machen, etwas Essen herzurichten, wo sie keinen Hunger verspürt, oder jemandem vom Tod ihrer Mom zu berichten? Das würde nichts ändern. GAR NICHTS! Dunkelheit und Verzweiflung hüllen Cloe ein.

      Die letzten Sonnenstrahlen färben den Abendhimmel rot. Dessen Widerschein leuchtet in das Zimmer und scheint Wärme zu verbreiten, obwohl das nur eine Täuschung ist. Cloe spürt die Kälte, die sich im Leichnam, aber auch in ihr selbst ausbreitet. Welchen Sinn macht das Leben noch, jetzt, wo ihre nächste Verwandte, ihre Mutter, von ihr gegangen ist. Sie wird nun bei denen sein, die ihr vorausgegangen sind, bei Dad und ihren Eltern. Am liebsten wäre es der jungen Elfe, wenn sie einfach hätte mitgehen können. Dann wären sie jetzt vereint und glücklich.

      »Nein, das wären wir nicht!«, wispert es in ihrem Kopf. Es dauert einige Zeit, bis der Satz in Cloes Bewusstsein dringt. Sie hebt langsam den Kopf und meint nachträglich eine Ähnlichkeit dieser Stimme zu erkennen. Das war doch ihre Mutter, aber wie sollte das möglich sein? Ihre Augen schwimmen in Tränen, verhindern einen klaren Blick auf die Gesichtszüge Junas. Da sie immer noch deren Hand umschlossen hält, bemerkt sie keine Bewegung, wohl aber die Kälte. Sie lässt den Kopf hängen und Tränen fallen auf ihre Hände. »Warum wären wir das nicht?«, fragt sie sich.

      »Weil der Drache immer noch tötet.«

      »Mom?« Obwohl sich das erneut nach Juna anhörte, bekommt sie keine Antwort. »Werde ich jetzt verrückt?«, überlegt Cloe. »Das wäre vielleicht nicht schlecht. Dann könnte ich die Einsamkeit vermutlich besser ertragen.«

      »Könntest und wirst du nicht! Du hast eine Aufgabe: Töte dieses Ungeheuer, verbanne es aus deiner Welt!«

      Die Elfe schüttelt sich. Woher kommen diese Gedanken? Ihre Mom vermag sich doch nicht mehr mit ihr zu unterhalten!

      »Ist das ihr Geist, der zu mir spricht?« Ein kleiner Hoffnungsfunke glimmt in Cloe auf. Falls das möglich sein sollte, wäre sie doch nicht so allein und eine Aufgabe hätte sie außerdem. Durch ihre Trauer hindurch dringt langsam die Frage, wie sie diesen Drachengeist besiegen könnte. Wenn ihre Mutter dabei versagt hatte, lediglich eine magische Variante, sozusagen ein Spiegelbild der wahren Drachenkreatur zu bezwingen, wie sollte sie dann gegen den Drachen bestehen, der ihren Vater und ihre Großeltern tötete? Plötzlich drängt sich ein flüchtiger Einfall in den Vordergrund.

      »Es gibt etwas, dass dir helfen kann.« Doch im nächsten Moment, noch bevor sie den Gedanken richtig zu fassen vermag, ist diese Zuversicht verschwunden. Cloe weiß, sie sollte wissen, was ihr gegen einen Drachen helfen kann. Es müsste sozusagen auf der Hand liegen. Aber, nein. Es hat keinen Zweck. Sie bekommt die sich eben noch andeutende Idee nicht aufs Neue aufgerufen.

      Die Dämmerung ist vorüber und Dunkelheit herrscht im Zimmer. Erneut leuchtet eine Lichtkugel auf. Die Elfe betrachtet das Gesicht ihrer Mutter und fragt sich, ob sie die Aufgabe, die sie von ihr übernommen hat, erfüllen kann. Ihre Gedanken wandern Tage zurück. Sie erinnert sich daran, wie zuversichtlich Juna gewesen war, als sie eine Haselmaus hierherbrachte, von der sie annahm, dass sie ein magisches Wesen sei. Was mag wohl aus dem Tier geworden sein, ob die Katze es damals doch gefressen hat? Aber nicht deshalb denkt sie daran zurück. Das war der Zeitpunkt gewesen, als ihre Mutter ihr zum ersten Mal ausführlich davon berichtete, weshalb sie die Dubharan und besonders das Drachenwesen so hasst. Plötzlich verdrängt ein neuer Gedanke die anderen: Wo ist das Buch geblieben, mit dem die magischen Kreaturen heraufbeschworen werden können? Cloe versucht, sich zu erinnern. Hat sie es möglicherweise im Keller übersehen? Sie war zu sehr um ihre Mutter besorgt gewesen, als dass sie sich dort gründlich umgesehen hätte. Und anschließend suchte sie zwar in den Überresten der Kleidung danach, aber nicht erneut dort unten.

      »Ich bin gleich wieder zurück, Mom«, wendet sich die Elfe mit Tränen in den Augen an die Tote. Dann blinzelt sie diese entschlossen weg und steht im nächsten Moment im Keller. Die Lichtkugel erhellt das Chaos, das ihr gestern Abend nicht so schlimm vorgekommen war. Ihre Augen ruhten da nur auf der reglosen Gestalt Junas. Wie soll sie das Buch in diesem Durcheinander finden? Sie versucht es zuerst mit einem Aufrufzauber, obwohl sie nicht sicher ist, dass der auf das Artefakt wirkt.

      »Evoco »Magische Wesen und ihre Macht«. Evoco!« Doch das Buch erscheint nicht. Obwohl es immer noch nach Verbranntem riecht, beginnt die Elfe systematisch zu suchen. Es ist mittlerweile Mitternacht, als sie enttäuscht wieder

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