Himmelsvolk. Waldemar Bonsels
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einzig entsetzt, sondern zugleich wunderbar erhoben. Sie hatte wieder und wieder denken müssen:
Wie gewaltig ist das Leben, das sich auch in mir offenbart, wie gewaltig ist der unvermeidliche Tod.
Man wird nun viel besser verstehen, weshalb sie so lange und nachdenklich auf die Katze schauen
mußte, die auf die Waldwiese gekommen war. Sie blieb übrigens nur für kurze Zeit und, soviel ich
weiß, ist sie nicht wiedergekommen.
Fünftes Kapitel ‐ Der Tod der Eiche
Ein wenig von der Waldwiese entfernt stand am Rand des Tals die Eiche, sie war der älteste Baum im
Land; in diesem Frühling ist sie gestorben.
Man wußte es überall, weit im Umkreis. Ihre letzten Worte aus dem vergangenen Herbst rauschten
in den Büschen und Bäumen des Landes als Erinnerung wieder, und nun im Frühling nahm sie
Abschied.
Um ihre mächtige Gestalt umher sproßte und blühte es, ihre großen dunklen Glieder reckten sich
gewaltig über den wirren, grünen Lebenstrubel der neuen Jugend dahin, in den Himmel empor, ihre
Klage erfüllte das Land, alle Herzen. Viele hundert und wieder hundert Jahre des Lebens beschlossen
sich nach einem unbegreiflichen Ratschluß, der alle in heiliger Scheu erbeben ließ. Die langen Nächte
hindurch, in der Frühe und am verständlichen Tag wehte es aus der kahlen Höhe ihrer Krone klagend
im Wind über das Land, durch den Vogelgesang dahin, durch das selige Seufzen der vom Frühling
begnadeten Geschöpfe und durch das strahlende Tageslicht, das seine Macht über die Lebensgeister
des alten Baums verloren hatte.
Eines Tages vernahm der Elf die Klage der sterbenden Eiche im Wind und konnte sie nicht vergessen.
Nun ward er gewahr, daß alle sie wußten, und seit jener Stunde zwang es ihn plötzlich, im Schreiten
innezuhalten, wenn er durch den Wald ging, um zu lauschen, ob durch die Lebensmelodien der
lebendigen Bäume wieder diese Klage dränge, die den ganzen Wald erfüllt hatte. Und er vernahm die
Töne und erschauerte. Sie erklangen so heimlich, daß sein Gemüt in der Erkenntnis erzitterte, daß
diese bescheidenen Wehelaute eine so stille Wildheit zu bergen vermochten, und daß Geduld so
schmerzhaft sein könne.
Da ging er der Stimme nach, um den sterbenden Baum zu finden. Wie es zum Herzen griff! Er sah
eine Blume, die zu blühen anfing, den Tau trinken; in der Erwartung ihrer Sonne sangen alle Vögel, da
warf er sich ins Moos und lauschte. Seit jener Stunde trieb es ihn wieder und wieder herzu, am Tag,
in der Nacht, immer wieder zog es ihn an diesen Waldort ohne Schatten, wo die große Eiche stand.
Rings der Himmel über ihm war wie mit Sterben angefüllt, und die Seele des Elfen füllte sich mit
dieser Schwermut des Scheidens vom Leben, wie ein Becher mit Wein.
Er verstand den Baum. »Es ist kalt,« rief er einmal des Nachts, »der große Wald ist leer! Ich sehe hin
und zurück, zurück und hin, schaue, forsche und suche, und bin doch allein. Ich erinnere mich, ich
träume und bin doch allein.
Der Mond leuchtet hell, wenn seine Strahlen die Erde erreichen, scheint mir die Welt ohne Elend,
ohne Schmerz, alles und alle erscheinen mir sanft. Er bringt helle Tücher, als wollte er mich vor dem
schützen, was kommen soll, als wollte er mich erwärmen, und ich fühle wieder wie durstige Pflanzen,
die sich öffnen und zu blühen anfangen.
Enttäusche ich euch jetzt, weil ich dürr und kahl dastehe? Ihr habt mich grün gesehen! Ich gab der
Erde Schatten, den Vögeln Ruhe und den Tieren Früchte. Ich habe die Blicke entzückt, und nun liebt
ihr mich weniger, weil ich es nicht vermag? Müßt ihr nicht stets an jene Zeit denken, wo ihr mich
anders saht?
Ihr denkt nicht mehr daran! Meine Klage erniedrigt mich. Nun fühle ich zum erstenmal, daß mein
irdisches Gefühl mich von der Welt trennt. Einst erzählte ich, ich teilte das Neue, das Leben den
Blumen, den Bäumen mit. Dort oben liebkoste mich der Wind, als wollte er zu mir sagen: Du hast
nicht unrecht. Da wußte ich, daß mein irdisches Gefühl mich mit der Welt verband. Ich rief: Nehmt
mich nur auf, laßt mich euer Teil sein, ein Glied eurer reichen Familie. Ich fühlte die Welt und
vereinte mich mit ihr und wurde zum erstenmal mündig. Alles tönte in mir und mein Herz strömte
über. O, wie ich der Erde verschuldet bin, wie kein Wesen vor mir!«
Der Blumenelf lag im Moosgrund und lauschte der Klage, er begriff die Wirklichkeit des Todes und
erbebte. Aber er vermochte seine Sinne nicht vom Sterben des Baumes abzuwenden.
Da hörte er wieder die alte Stimme über sich im Wind:
»Es forscht ohne Aufhör in mir und will doch von nichts wissen. Meine Wurzeln werden vom Wasser
berieselt, das alle Pflanzen zu neuem Sprossen ernährt. Ich fürchte mich vor dem Tage, die Sonne, die
mein Blut beeinflußt hat emporzudrängen, blendet mich nun. Wie lockt mich die Weite, die ich lange
ohne Begehren im Bild erblickt habe! Wo sind die Tiere? Ich höre nur die Vögel. Und doch ist alles
Weite so nah, so möglich geworden.
Mein Herz war einst in der Sonne so weit offen, daß es nicht nur sich selber trug und ahnte, sondern
die ganze Welt. Da wußte ich die Wahrheit über mich. Nun umgibt es mich rings wie eine Wand,