Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis. Stephan Waldscheidt

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Über das Schreiben eines Romans: 55 Schreibtipps für Profis - Stephan Waldscheidt

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ein Café in einer Straße in einem Haus, das es in der realen Welt dort nicht gibt? Wo sind die Grenzen? Und wer legt sie fest?

      Dass man alles bis ins Letzte recherchieren solle, ist keine realistische Vorgabe. Irgendwelche Lücken wird man lassen müssen, bei manchem wird man glauben, man wüsste genug und wird von Lesern eines Besseren belehrt.

      Ich empfehle bei der Recherche Pragmatismus – was öfters heißen kann: Mut zur Lücke. Die Geschichte sollte im Vordergrund stehen. Und nicht selten wird das eben auch bedeuten, dass Sie Fakten verbiegen, verfälschen oder schlicht ignorieren. Die Wahrheit von Literatur ist größer als die Wirklichkeit. Falls Sie damit ein Problem haben, schreiben Sie lieber ein Sachbuch.

      Letztlich muss jeder Autor selbst festlegen, wie genau er jedes Krümelchen recherchiert. Ob seine Recherche gut genug war, werden die Leser entscheiden.

      Zurück zu »Erlösung«. Durch die knappen Dialoge, die gegen Ende auf die Sprecherzuordnung verzichten, gewinnt der Einstieg nicht nur an Dynamik und Dringlichkeit. Das Tempo des Dialogs spiegelt das Tempo des Notarztwagens wider. Außerdem gibt bereits der Einsatz eines NAW dem Leser ein deutliches Signal: Hier ist gerade etwas Schreckliches passiert. Seine Neugier ist angestachelt. Er hängt am Haken.

      Achten Sie bei Ihren Einstiegen aber nicht bloß darauf, Ihre Leser an den erzählerischen Haken zu nehmen. Sondern liefern Sie, wie das C. C. Fischer tut, ein stimmiges Gesamtpaket ab aus Setting, Dialog, Handlung und, vor allem, Einführung der Heldin.

      Die Heldin Ella wird, ohne sie explizit zu beschreiben, allein durch ihren Beruf als Notärztin und ihre konzentrierte, knappe Art, in einer Notsituation zu sprechen, dem Leser deutlich vor Augen geführt. Sie wirkt sofort sympathisch. Vor allem aber wirkt sie wie eine Frau, die als Heldin den lebensbedrohlichen Anforderungen eines Thriller-Plots gewachsen sein könnte. Obwohl wir als Leser ahnen, dass sie weit Extremeres durchmachen wird als einen an sich schon fordernden Einsatz am Unfallort, der hier natürlich der Schauplatz eines Verbrechens ist.

      Seien Sie sich bewusst, dass Sie am Anfang Ihres Romans auf der ersten Seite schon Ton und zu einem gewissen Maß auch das Tempo vorgeben, die der Leser dann auch im Rest des Romans zu finden erwartet. Bei C. C. Fischers Roman »Erlösung« erwarten wir nichts weniger als einen schnellen, packenden Thriller.

      Der Einstieg über langwierige Beschreibungen und Info-Dumps ist auch unter diesem Aspekt problematisch: Beides lässt den Leser ähnliche Langatmigkeit für den Rest des Romans erwarten. Ob zu Recht oder zu Unrecht, spielt keine Rolle, denn bis es eine Rolle spielen könnte, hat der Leser den Roman womöglich schon zur Seite gelegt.

      Ich empfehle Ihnen daher, selbst wenn Ihr Roman eher eine ruhigere Geschichte erzählt, nicht allzu behäbig anzufangen, sondern zumindest anzudeuten, das auch Ihre ruhige Geschichte durchaus Spannendes, ja, Aufregendes zu bieten hat.

      Wie bei einem gelungenen Menü sollte bereits der Gruß aus der Küche erahnen lassen, welche Gaumenfreuden auf den Gast zukommen. Und wie der Gruß aus der Küche ein eigenes Gericht ist, sollten Sie auch den Anfang Ihres Romans als eigene Geschichte auffassen, durchaus mit Spannungs- und Chrakterbogen (was übrigens auch für jede Ihrer dramatischen Szenen gilt).

      Wenn Sie sehen, welche Bedeutung der Anfang für Ihr Buch haben wird, ergibt das Sinn: In Leseproben, vielleicht auf Lesungen, womöglich in Vorabdrucken, ganz sicher bei Agenten und Verlagen und in der Hand des Lesers im Buchladen wird diesem Anfang die Aufgabe zukommen, Ihren Roman zu verkaufen – nicht dem tollen 17. Kapitel und auch nicht der herzergreifenden Sterbeszene am Ende des 2. Akts, nein Ihrem Romananfang. Dementsprechend werden Sie auch keinen anderen Teil Ihres Romans so oft überarbeiten. Und das ist gut so. Was hieß noch gleich NAW? Richtig: Nehmen Sie den Anfang wichtig!

      [Meinen Dank an Henny, Jasmin und Sabine, durch deren wertvolle Kommentare im Blog ich diesen Artikel weiter vertiefen konnte.]

      Informationsüberflutung des Lesers

       Dazu fällt mir noch folgende Geschichte ein …

      Wir finden ihn am Anfang von Fantasy-Romanen, auch in historischen Romanen erwartet er schon die arglosen Leser. Science-Fiction-Freunde sind vor ihm ebenso wenig sicher wie die Leser anspruchsvoller Literatur – kurz: Er lauert überall, wo Papier zwischen zwei Buchdeckeln steckt oder E-Ink hinter einer Plexiglasscheibe.

      Der Info-Dump.

      Was auf Deutsch nichts anderes heißt als: eine ganze Kippe voll mit Informationsmüll. Manche Autoren schütten ihren Lesern einen Haufen davon vor die Füße, nach dem Motto: »Da, habt ihr, sucht euch raus, was ihr brauchen könnt. Und wenn ihr fertig seid, legen wir mit der Geschichte los.«

      Statt in die Geschichte einzusteigen, wird erst einmal um den heißen Brei herumgeschlichen. Ach ja, da fällt mir noch das ein. Und geschlichen ... Und dann müsst ihr noch das wissen. Und geschlichen ... Und wenn es dann losgeht, ist der Brei kalt und der Leser vergrätzt. Und greift hungrig zur nächsten Schüssel. Der von einem besseren Koch.

      In einigen Genres wird naturgemäß mehr Müll ausgekippt. Leser von Fantasy und SF, aber auch solche von historischen Romanen sind es gewöhnt, sich erst durch viele Seiten hindurchzuwühlen, bis es mit der Geschichte losgeht. »World building«, Weltenbau nennt man das so schön. Nicht wenige genießen dieses ganze Drumherum sogar, für sie sind die kleinen Anekdötchen am Rande, die wenig bis nichts mit der eigentlichen Handlung zu tun haben, nicht das Haar, sondern das Salz in der Suppe. Oder die Suppe selbst. Oder, um im Bild zu bleiben: der heiße Brei. Den sie gerne auch kalt genießen, denn bei dem ganzen Drumherumgeschwätz bleibt selbst der heißeste Brei nicht warm.

      Zugegeben: Das Wort Müll ist in vielen Roman unangebracht. Oft sind die Informationen nett und lesenswert aufbereitet. Vielleicht ist gerade das das Problem. Wäre die Informationen tatsächlich Müll, würden die meisten Autoren und spätestens ihre Lektoren das merken und den Müll trennen vom Rest des Romans. Schöne und gelungene Stellen streicht man aber nicht so gerne. Oft geht es auch gar nicht ums Streichen. Sondern ums Verlagern der Information dorthin, wo sie notwendig ist oder ihre dramaturgisch größte Wirkung erzielt.

      Schreiben ist eben nicht nur die richtigen Worte finden, sondern diese auch an den richtigen Stellen zu platzieren.

      Wer hat den Prolog etwa von »Der Herr der Ringe« wirklich genossen? Und wer, um aktuell zu bleiben, braucht wirklich schon zu Anfang all die netten, kleinen Histörchen und Informationen über die phantastische Welt, die Andreas Gößling in seinem Fantasy-Roman »Der Ruf der Schlange« (Klett-Cotta 2010) zu Beginn vor dem Leser ausbreitet? Nach dem dramatischen Prolog wird erst einmal der Held beschrieben – und so ziemlich alles andere auch.

      Das 1. Kapitel beginnt so:

       Auf dem Schindanger vor dem Schiffstor von Phora baute ein bakusischer Zirkus seine Zelte auf und damit begannen Samu Rabovs Probleme. Jedenfalls sollte er auch später noch hartnäckig an dieser Version festhalten.

       In Wahrheit hatten seine – und keineswegs nur seine – Schwierigkeiten lange vorher angefangen. Jahre zuvor, an einem von Schlingpflanzen mit fleischigen Blättern und tiefgründigen Blüten (schorfroten, mitternachtsblauen) überwucherten Ort im zarketumesischen Nebelwald, dessen Name Rabov damals nicht einmal hätte buchstabieren können.

       Naxoda. Gesprochen, unterwarteterweise: Nachkodá.

       Es war ein Spätsommertag

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