Die Hoffnung aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen
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Читать онлайн книгу Die Hoffnung aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen страница 14
Carolin war daraufhin beunruhigt nach Hause gefahren, nachdem wir uns für den nächsten Tag verabredet hatten.
Ich war in mein trostloses Hotelzimmer zurückgekehrt. Dort hatte ich zu analysieren versucht, was meine Liebe zu Carolin und der Umstand, dass ihr Bruder auch meiner ist, zu bedeuten haben könnte. Ich versuchte herauszufinden, warum ich immer wieder geträumt hatte, dass er es sein wird, der uns etwas antun würde. Ich versuchte zu verstehen, warum er sie, und vielleicht auch mich, bedrohen und sogar töten sollte. Und was hatte das Ganze mit Kurt Gräbler zu tun?
Ich konnte mir damals auf nichts eine Antwort geben. Das einzige, was ich klar wusste war, dass ich Carolin beschützen wollte - mehr denn je. Aber die Angst, die meine Träume und mein Zusammentreffen mit Julian geschürt hatten, lagen wie ein dunkler, beißendkalter Nebel auf allem und verunsicherte mich. Genauso, wie ich Carolin an mich binden wollte, so sehr wollte ich auch allem entfliehen und für immer nach Wolfsburg zurückkehren. Ich war hin und her gerissen. Aber letztendlich siegte die Gewissheit, dass Carolin zu mir gehört und ich sie daher beschützen muss.
Daher hatte ich dem nächsten Treffen auch regelrecht entgegengefiebert. Ich glaubte, dass sich dort alles entscheiden würde und Carolin und ich ganz zusammenfinden würden. Schließlich gehörte sie zu mir. Aber die Realität sah anders aus. Dort war Carolin ein eigenständig handelnder Mensch mit eigenen Gedanken und Gefühlen, die meinen oftmals zuwiderliefen.
Als wir uns dann am nächsten Tag an der Hütte wiedertrafen, fiel Carolin mir schluchzend um den Hals.
Ich hatte meine Arme sofort um ihren schmalen Körper geschlungen und sie an mich gezogen, während sie weinte: „Oh Mann, es ist alles so schlimm! Wir sind verflucht! Ich halt das nicht mehr aus! Alles ist durcheinander und völlig aus den Fugen.“
Sie so zu sehen und die gleiche Verzweiflung bei ihr zu fühlen, die auch mich immer wieder durchdrang, ließ mich sie noch fester halten. Aber irgendwann löste sie sich von mir und wir gingen in den Wald, um uns in Ruhe und ohne Gefahr zu laufen, von jemandem aufgemischt zu werden, unterhalten zu können. Dort sprachen wir über unsere Träume, über unsere Ängste und das Gefühl, einen Alchemisten in uns zu tragen, der uns manipulierte.
Ich erzählte ihr an diesem Tag, dass ich immer wieder von ihr geträumt hatte und ich schilderte ihr auch meine Albträume aus dem Labor. Während ich sie über diesen düsteren, feuchten Waldweg zog, versuchte ich ihr meinen Albtraum und meine Angst um sie zu erklären. Ich konnte und wollte diese Bürde nicht mehr allein tragen.
„Dieser Traum! Es war so entsetzlich! Ich sah mich mit Kurt in einem Labor stehen. Ich spürte eine ängstliche Erregung, die den kalten Raum erfüllte und sah im Schatten eines großen Holztisches auf eine Gestalt hinunter, die stöhnend auf dem Lehmboden lag. Ich sah Kurts Hand, die ein Messer ergriff und ich erkannte voller Angst und Abscheu, dass er etwas Schreckliches tun würde.“ Ich versuchte ihr klar zu machen, wie sehr ich mich gegen diese Art von Traum immer wieder gewehrt hatte, der sich aber daraufhin nur zu ändern begann. „Kurt Gräblers Gesicht begann darin andere Züge anzunehmen. Je bedrohlicher er für das Mädchen wurde, je mehr verwandelte er sich. Und es wurde … das Gesicht … von deinem Bruder! Natürlich wusste ich das da noch nicht. Dieses Gesicht war mir erst noch fremd“, hatte ich ihr erklärt, und dass ich nichts gegen das tun konnte, was er vorhatte. Meine hilfloses: „Das Mädchen warst du!“, hatte Carolin dann zu etwas bewogen, dass alles zwischen uns änderte. Sie zog mich in eine tröstliche Umarmung, was meine innerlichen Mauern vollends zusammenbrechen ließ. Dabei erklärte sie mir: „Aber Tim! Das war doch nur ein Traum!“
Die Erinnerung an diese Umarmung, und meine folgende Schilderung der Schrecken und Ängste, die ich in meinen Träumen immer wieder erlebt hatte, verhängten eine seltsame Stimmung über uns.
In dem Bett in dem Kölner Hotel liegend, spüre ich noch heute das Durcheinander meiner Gefühle und Emotionen, aber auch die Hoffnung, die es in mir ausgelöst hatte. Carolin hatte mich in ihre Arme gezogen und ich hatte meine Arme um sie geschlungen und sie an mich gepresst. Dabei versuchte ich ihr begreiflich zu machen: „Er sagte, dass du sterben musst, damit endlich alle Teile zusammengeführt werden können, und dass ich … als nächstes dran sein werde.“
Weil sie mir nicht zu glauben schien, gestand ich ihr, dass diese Träume mich dazu gebracht hatten, sie zu suchen, und dass ich mir immer sicher gewesen war, sie auch zu finden.
Sie sollte damals erkennen, was uns wirklich zusammengeführt hatte und was uns wirklich verband. Aber sie entgegnete mir nur: „Tim, hör mir zu! Julian wird mir nichts tun. Er ist doch mein Bruder!“
Aber ich sah den Zwiespalt in diesen großen, fast grünen Augen und den Schmerz in ihren Gesichtszügen. Sie war damals genauso verunsichert wie ich gewesen. Und diese Anspannung und diese Unsicherheit hatten sie den ersten Schritt machen lassen. Ihre Hände hatten sich um mein Gesicht gelegt und sie hatte mich zu sich heruntergezogen, um mich zu küssen …
Ich war davon überrascht und verwirrt. Aber in mir brachen dadurch auch alle Dämme. Ich zog ihren Körper an meinen und erwiderte den Kuss.
Noch nie hatte ich so etwas in diesem Ausmaß gespürt, wie an diesem Tag und in mir tobten mehrere Stürme gleichzeitig. Ich spürte eine Erregung, die schon schmerzhaft war und erlöst werden wollte. Alles andere rückte in den Hintergrund. Und dieses Gefühl raubte mir den Verstand.
Die Stärke dieser Gefühle erschreckte mich anfangs und machte mir Angst. Ich glaubte damals sogar, dass sie der jahrzehntelange Hunger dieses Alchemisten in mir waren, der sie verschlingen wollte. Aber das war Quatsch. Carolin und ich sind einfach füreinander bestimmt. Und das wollte ich ihr klarmachen. Die ganzen folgenden Monate lang. Aber an diesem Abend war sie nicht überzeugt. Während ich meine Gefühle kaum unter Kontrolle hatte und unbedingt mit ihr schlafen wollte, wehrte sie alles ab. Sie wollte Küsse und sie wollte Nähe … aber mehr nicht.
Noch heute fühle ich dieses brennende Gefühl in mir, das sie beendet hatte, bevor wir dem ganz nachgegeben hatten. Sie kam mit fadenscheinigen, unsinnigen Ausflüchen, dass jemand uns sehen könnte und sie nicht verhüten würde.
Als wenn mich das jemals interessiert hätte.
Ich wollte ihr alles von mir geben. Ich war bereit für sie zu sterben. Aber sie dachte nur daran, ihre Hose zu verteidigen.
Noch heute kann ich nicht fassen, dass sie so energisch geblieben war und ich mich aufhalten gelassen hatte. Ich glaube, es war ein Fehler gewesen, sie damit durchkommen zu lassen. Das hatte unser Schicksal gewendet, das sonst vielleicht anders verlaufen wäre. Mir sollte sich schließlich nie jemand widersetzen und sie schon gar nicht. Aber sie blieb erbarmungslos und ich hatte schwer damit zu kämpfen, das zu akzeptieren.
Letztendlich tauschten wir unsere Handynummern aus … für den Notfall. Auch das wollte ich erst nicht, völlig gekränkt von ihrer Abfuhr. Als sie dann auf ihr Fahrrad stieg und mich ein letztes Mal ansah, blieb ich nur sitzen. Ich hatte zu sehr mit dem Gefühl zu kämpfen, dass sie mir ihre Zuneigung und ihren Körper eigentlich nicht verwehren durfte.
Sie löste schon immer etwas in mir aus, dass ich nicht immer kontrollieren konnte. Aber ich hielt mich auch oft zurück, wo ich das nicht hätte tun sollen.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich in der darauffolgenden Nacht diesen erschreckenden Traum hatte, der wie eine Vorahnung war. Ich war darin in Wolfsburg und meine Mutter brachte mir jemanden in mein Zimmer. „Tim, du hast Besuch!“