Juwelen, Mörder, Tote - Sechs Extra Krimis Juni 2018. Alfred Bekker

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schwach. Und dieselbe Schwäche machte sich plötzlich auch in seinen Armen und Beinen breit. Seine Knie begannen zu zittern.

      „Na, endlich merkst du es, Berry. Jetzt lass den Kerl los. Zwing mich nicht dazu, dir eins überzubraten. Du kannst von Glück sagen, dass die ›Zehntausend legalen Steuertricks‹ von Konz nicht an ihrem Platz im Regal stehen, warum auch immer.“ Berringer atmete tief durch. Vanessa Karrenbrock, Mitte zwanzig, BWL-Langzeitstudentin ohne den Ehrgeiz, den man Studierenden dieses Fachs für gewöhnlich nachsagte, arbeitete stundenweise in Berringers Detektivbüro, und Berringer fragte sich manchmal, ob das Chaos in seinen Ermittlungen, für das ihr loses Mundwerk stets sorgte, durch die Ordnung aufgewogen wurde, die sie in seine Buchhaltung und Steuerunterlagen brachte.

      Aber so sehr Berringer die Erkenntnis auch widerstrebte – in diesem kritischen Moment hatte sie auf ihre rustikal-schrille Art sogar etwas Ordnung in sein zertrümmertes Seelenleben gebracht. Zumindest für den Augenblick.

      Berringer wandte den Blick dem völlig verängstigten Dreitagebartträger zu, dessen Nasenflügel vor Angst bebten. Berringer ließ ihn los, strich sein Jackett glatt und trat einen Schritt zurück.

      Bei dem Dreitagebartmann übernahm Vanessa das Glattstreichen des Jacketts. „Er hat’s nicht so gemeint“, versicherte sie – Worte, die etwa die gleiche Überzeugungskraft hatten, als wenn ein Lude seinen Mastiff spazieren führte und jedem Passanten versicherte: „Der macht nix. Der will nur spielen.“ Endlich kam der Mann, der vor diesem Ereignis zumindest potenziell als „Klient“ der Detektei Berringer anzusehen gewesen war, zu Atem, während er sich mit einer unbewussten fahrigen Geste erst einmal selbst die Gelfrisur nachhaltig ruinierte, woraufhin ihm die Haare zu Berge standen. „Der Typ ist ja nicht ganz richtig im Kopf! Ich frage mich, wie so ein Psycho frei herumlaufen kann!“

      „Sag, dass es dir leid tut, Berry“, forderte Vanessa auf ihre unnachahmliche nachdrückliche Art und Weise. „Fix!“

      Berringer schluckte. Allmählich begriff er, was er angerichtet hatte. Er bückte sich, um die Sonnenbrille aufzuheben, die bei dem Handgemenge zu Boden gefallen war.

      Ein Billigmodell, das teuer aussehen sollte, erkannte Berringer gleich. Er reichte sie dem Mann. „Es war wirklich nicht meine Absicht, Sie zu erschrecken. Sie müssen verstehen, ich ...“

      „Klar, jemand versucht mich umzubringen, vor meinem Büro fliegt ein Wagen in die Luft, die Polizei hilft mir nicht, und der Typ, auf den ich meine letzte Hoffnung setze, nimmt mich in den Schwitzkasten und erwürgt mich fast. Aber ich kann das natürlich alles verstehen und sehe das ganz easy!“

      Er schielte zu dem Feuerzeug, das noch am Boden lag.

      Berringer hatte es eigentlich genau wie die Brille aufheben wollen, aber er konnte es einfach nicht. Er fühlt sich wie gelähmt.

      Nein, du darfst nicht wieder abdriften!, versuchte er sich selbst zurechtzuweisen und mental an die Kandare zu nehmen. Die Vergangenheit ist Vergangenheit. Deine Frau und dein Kind sind tot, und du lebst jetzt!, versuchte er sich selbst auf dem Pfad der Realität zu halten – einem sehr schmalen Pfad. Nimm das Feuerzeug! Überwinde dich! Setz dich dem Trigger aus und erfahre, dass er dich nicht mehr beherrscht!

      Aber es ging nicht. Wie zur Salzsäule erstarrt stand Berringer da.

      Der Kerl mit der selbst ruinierten Gelfrisur wagte es ebenfalls nicht, sich zu rühren, geschweige denn, das Feuerzeug selbst aufzuheben, denn dazu hätte er dem in seinen Augen völlig unberechenbaren Berringer zu nahe kommen müssen.

      Vanessa erfasste die Situation. Seufzend schob sie Berringer noch ein Stück weiter zurück, sodass sich der Abstand zwischen den beiden Männern noch vergrößerte, und bückte sich nach dem Feuerzeug.

      Anschließend versuchte sie, ihr Lächeln charmant aussehen zu lassen, als sie das Feuerzeug seinem Eigentümer zurückgab.

      „Danke“, murmelte der Mann. „Ich mach mich dann besser vom Acker. Irgendwie bin ich hier anscheinend fehl am Platz.“

      „Bleiben Sie“, sagte Berringer. „Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was Sie mir gerade so beiläufig entgegengeschleudert haben, dann sind Sie hier sogar genau richtig.“

      „Ach ja?“

      „Es gibt nur wenige, die Ihnen helfen können. Viele werden das von sich behaupten, aber das sind Kaufhausdetektive und Leute, die nur Ihr Geld wollen, denen Ihre Sicherheit aber vollkommen gleich ist.“

      „Ich hatte gerade nicht den Eindruck, dass sie Ihnen was bedeutet.“

      „Fangen wir von vorn an. Ich heiße Berringer, und das ist meine Hilfskraft Vanessa Karrenbrock, die Ihnen die Rechnung schreiben wird, wenn wir für Sie tätig werden. Ich bin ehemaliger Polizeihauptkommissar und kenne mich aus. Außerdem habe ich noch einen guten Draht zu den Kollegen und komme so an Informationen heran, die nicht so einfach zugänglich sind.“

      „Das war's also. Ein Zwei-Mann-Betrieb. Ich habe gehört, dass amerikanische Detekteien oft mehr als ein Dutzend Mitarbeiter haben, und selbst hier in Deutschland ...“

      „Wir haben noch einen dritten Mann“, warf Vanessa ein - wobei sie ihrer Formulierung nach dann ebenfalls ein Mann sein musste, aber die Herausstellung ihrer weiblichen Identität schien ihr wohl im Moment von zweitrangiger Bedeutung.

      „Herr Mark Lange ist ein hoch qualifizierter Mitarbeiter aus der Sicherheitsbranche, den wir glücklicherweise abwerben konnten. Tja, Sie sehen, gute Leute sind überall rar. Das ist bei Ihnen wahrscheinlich genauso. Ich ... äh, ich meine ... das schätze ich mal, obwohl ich noch nicht weiß, wer Sie sind und was Sie so machen.“

      „Frank Marwitz, Event-Agentur EVENT HORIZON“, stellte er sich vor, und die Geschäftsmäßigkeit, mit der er dies tat, verriet, dass er diesen Halbsatz wahrscheinlich jeden Tag fünfzig Mal am Telefon aufsagte.

      „Setzen wir uns“, schlug Berringer vor. „Kaffee ist leider alle, aber mich würde Ihr Problem interessieren.“

      Marwitz schien noch nicht so recht entschieden zu haben, ob er dem Braten nun trauen sollte oder ob nicht doch sein ursprünglicher Entschluss, die Detektei fluchtartig wieder zu verlassen, die bessere Idee war.

      Berringer ging zum Tisch und setzte sich auf einen der einfachen Stühle. Abgesehen von einer Computeranlage und allem Telekommunikationszubehör, was man in einer Detektei so brauchte, war die Einrichtung eher spärlich. Es gab in diesem etwas heruntergekommen wirkenden Büro im Düsseldorfer Stadtteil Bilk nur das Allernötigste – dafür aber einen großartigen Ausblick auf die uralte, langsam verblassende Blümchentapete, deren unmerkliche Verwandlung vom schrillen Hippie-Design zum zarten Aquarell wohl Jahrzehnte in Anspruch genommen hatte.

      Das Telefon klingelte.

      Berringer ging ran. Es war Mark Lange, der von Vanessa so hoch gepriesene, hoch qualifizierte dritte Mann der Detektei. In Wahrheit war er ein arbeitslos gewordener Angestellter des Sicherheitsunternehmens Delos, das vor ein paar Jahren in die Insolvenz gegangen war, weil einige leitende Mitarbeiter die Kundengelder von Banken und Versicherungen, die sie eigentlich von A nach B transportieren und dabei bewachen sollten, in die eigene Tasche gesteckt hatten. Das Ganze hatte nach dem berühmten Schneeballprinzip funktioniert, und folgerichtig war diese Blase irgendwann geplatzt. Die Verantwortlichen saßen nun im Knast und die Mitarbeiter auf der Straße, wobei dieses Schicksal alle gleichmäßig unbarmherzig getroffen hatte, die Ehrlichen wie die Halunken.

      Mark

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